Zwischen No und Non-Violent
Wu Tsang im Gropius Bau

2. Dezember 2019 • Text von

Am Ende ihrer Residency im Gropius Bau präsentiert die Künstlerin Wu Tsang eine vielstimmige Ausstellung, die der Hierarchie visueller Wahrnehmung die Utopie eines Raumes zwischen Sehen und Gesehen Werden entgegensetzt.

Wu Tsang: Sustained Glass, 2019. Mit Fred Moten, boychild, Lorenzo Moten & Hypatia Vourloumis. Installationsansicht There is no nonviolent way to look at somebody, Gropius Bau, Berlin, 2019. Foto: Luca Girardini. Courtesy: die Künstlerin, Galerie Isabella Bortolozzi & Cabinet.

„There is no non-violent way to look at somebody“ ist das Epizentrum der aktuellen Ausstellung von Wu Tsang im Gropius Bau. Gleichzeitig Aussage über ihre eigene künstlerische Praxis und Mahnung an das Publikum entwickelt der Ausstellungstitel noch vor dem Besuch ein Eigenleben, zwingt zum Nachdenken über das apodiktische Statement. Er ist einem gemeinsam mit Fred Moten, Dichter und Wissenschaftler im Feld der Black Studies, verfassten Text entnommen. Auf einem sich in die Tiefe des ersten Ausstellungsraums ausdehnenden Triptychon aus Glas ist die Textpassage zu lesen, die zusätzlich von der Performancekünstlerin boychild handschriftlich kommentiert wurde. Die vielstimmige Genese des Textes findet ihre Spiegelung in der Materialästhetik des Überfangglases, das in einer Scheibe verschiedene Schichten von farbigen Glas vereint.

In „Sustained Glass“ manifestieren sich zwei zentrale Momente von Wu Tsangs künstlerischer Praxis: Einerseits eine formale Symbolkraft, die sich aus Material, Komposition und spezifischen, soziokulturellen Bezügen zusammensetzt; andererseits ein kollaborativer Arbeitsprozess. Dabei ist die Ablehnung einer individuellen Autor*innenschaft multidimensional. In der Vertikalen ist es das Kollektiv aller an einem Projekt Beteiligten, in der Horizontalen das Einbeziehen von dokumentarischen Materialien und Requisiten. Sie erzählen von dem vielstimmigen und zeitlichen Prozess, der zur Entstehung eines Werkes führt, und stellen sich entgegen die kapitalistische Vorstellung eines Endproduktes.

Wu Tsang, Untitled (Incommunicado), 2019. Installationsansicht There is no nonviolent way to look at somebody, Gropius Bau, Berlin, 2019. Foto: Luca Girardini. Courtesy: die Künstlerin; Galerie Isabella Bortolozzi & Cabinet.

So sind zum Beispiel Bilder aus dem Archiv von Wu Tsang ausgestellt, entstanden während ihrer langjährigen Arbeit im queeren Nachtleben, aus der unter anderem die Filme „DAMELO TODO (Give me Everything)“ und „Wildness“ hervorgegangen sind. Neben der Vitrine auf dem Boden steht eine aufgeschnittene Transportkiste, in deren Innerem der Neonschriftzug „The Fist is Still Up“ montiert ist. Die Mahnung war in einer von der Künstlerin mitbegründeten Initiative für queere Latinx in Los Angeles zu lesen. In einer für hochpreisige Kunsttransporte vorgesehenen Holzkiste problematisiert das Replikat das Ausstellen aktivistischer Projekte im kommerziellen Kunstbetrieb. Tsang situiert ihre Kritik jedoch nicht außerhalb der eigenen Praxis: Ihr Film „Wildness“ über die gleichnamige queere Performancenacht in der Bar Silver Platter war in Berlin zuletzt in der Julia Stoschek Collection ausgestellt. Ihr jüngstes Projekt „Into a Space of Love“ ist in Kooperation mit Frieze Magazine und dem Modelabel Gucci entstanden.

Der Titel des im Gropius Bau ausgestellten Neonobjekts „Safe Space“ verweist auf die feine Trennlinie zwischen Innen und Außen, zwischen Innerlichkeit einer Community und kommerzielle Veräußerung. Die von Tsang gefilmten Orte und Praktiken queerer Selbstbestimmtheit und Entfaltung sind Safe Spaces für marginalisierte Personen. Obwohl die Dokumentation dieser Lebenswelt auf politische Sichtbarkeit und Einbeziehung vielfältiger kultureller Ausdrucksformen abzielt, durchbricht die Kamera den geschüzten Raum und gibt ihn den Blicken von außen frei.

Filme zu machen kann als Widerstand gegen die Vergänglichkeit von Live-Performances verstanden werden. Für diejenigen, die ihre eigene Subjektivität und Körperlichkeit nur in geschützten Räumen außerhalb von einer heteronormativen und weißen Öffentlichkeit artikulieren, können Filme ein Aufbegehren gegen eine ihnen auferlegte flüchtige Gegenwärtigkeit sein. Der vermeintlichen Neutralität filmischer Dokumentation erteilte Tsang bereits in „Wildness“ eine Absage, sowie die Bar Silver Platter selbst von der Community erzählt, die sie beherbergt hat. Sowohl in „Duilian“, ihrem Beitrag für die Berlin Biennale 2016, als auch in dem im Gropius Bau ausgestellten Video „One emerging from a point of view“ verbindet Tsang Geschichte, Literatur, gegenwärtige Geografien und fantastische Utopien zu einem räumlichen, zeitlichen und identitären Hybrid, das aus seiner eigenen Form hinausdrängt.

Wu Tsang: We hold where study, 2017. Installation view Wu Tsang, Devotional Document (Part II), Kunsthalle Münster, Münster, 2017. Foto: Roman Mensing. Courtesy: die Künstlerin & Galerie Isabella Bortolozzi.

Drängend, treibend und schiebend klingt auch der Soundtrack von „We hold where we study“ und zieht die Besucher*innen des Gropius Baus in eine Black Box, wo das Video auf eine meterlange Leinwand projiziert wird. Zwei Aufnahmen – eine aus dem Inneren eines Tanzstudios, eine auf einer von Urbanität umschlossenen Wiese – vereinen sich visuell; in der Mitte eine opake, mäandernde Überblendung. Auf der linken Seite: In den Outskirts, im hohen Gras, von einer Ausfallstraße, blauem Himmel, Palmen und Häusern umschlossen improvisieren boychild und John Johnson zwischen auf dem Boden platzierten Spiegeln. Ihre Bewegungen sind voller Aufbegehren und Annährung gegen den eigenen Körper, gegen den Anderen, gegen die Umgebung. Die Kamera kreist, fällt, fragmentiert und verzerrt die Szenerie. Auf der rechten Seite performt Ligi Lewis’ ihre Choreografie „Minor Matter“ gemeinsam mit Jonathan Gonzalez in einem leeren, von rotem Licht spärlich erhellten Studio. Zwischenmenschliche Zweisamkeit, ein Auseinander, Miteinander und die Begrenzung des Raums durchmessende Bewegungen, an fliegende Vögel erinnernd, erzeugen ein spannungsgeladenes Gefüge. Die Kamera ist die dritte Akteurin im Raum, die sich der Bewegung in horizontalen und vertikalen Fahrten schubhaft annähert und aus der Beobachtung hinausgleitet.

„The hazard of movement, of moving and being moved, of knowing that we are affected, and that we are affective“, sagt eine Stimme aus dem Off zu Beginn des Videos. Der Raum zwischen zwei Menschen, zwischen Körper und Kamera, zwischen Kultur und Natur, zwischen Gegenwart und Dokumentation wird zu Schauplatz der Artikulation einer gewaltfreien Utopie. „There is no non-violent way to look at somebody“ impliziert die inhärente Hierarchie von Sehen und Gesehen werden. Wu Tsang gibt einen opaken Raum auf der Grenze zwischen dem Selbst und dem Anderen zu erkennen, an dem ein Miteinander jenseits der Autorität der eigenen Wahrnehmung möglich erscheint.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 12. Januar 2020 und ist von Mittwoch bis Montag, jeweils von 10 bis 19 Uhr geöffnet.
WO: Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin.

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