Der ewigen Jugend so nah
"Alter + Ego" in der ERES-Stiftung

25. Juli 2022 • Text von

Die Gruppenausstellung “Alter + Ego” in der ERES-Stiftung versammelt Skulpturen, Fotografien, Installationen und Videoarbeiten von zwanzig Künstler*innen verschiedener Genres und Jahrhunderte, von Marina Abramovic, Jürgen Teller, Thomas Silberhorn und Berenice Olmedo bis hin zu Karl Lagerfeld und einer Malerei von Daniel Preisler aus dem Jahr 1650. Diese enorme Bandbreite an künstlerischen Positionen zeigt, dass der Wunsch nach ewiger Jugend und Schönheit schon immer ein existenzieller gewesen ist.

Installationsansicht 1 (Alex Van Gelder: “Louise Bourgeois at home in 2009”, Stefan Panhans: “UP! UP!! UP!!!”, Juergen Teller: “Helen Mirren, London 2010”), Foto: ERES-Stiftung, Thomas Dashuber

Ein Mikrochip unter der Haut, um damit die Haustüre aufzusperren? Sich einfrieren lassen, um in der fernen Zukunft wieder aufzuwachen? Die eigenen Gedanken in einer Cloud abspeichern? Die größten Makel des biologischen Körpers sind seine Weichheit und sein stetiger Verfall. Durch Prothesen, Schönheitschirurgie, Body Hacking, Doping und Exoskelette versucht der Mensch, seiner Physis entgegenzuwirken. Der Körper wird überwacht, denn er muss leistungsstark und stressresistent bleiben. Wer gesund lebt, wird mit Prämien belohnt. Die Gesundheitsindustrie boomt und die Transhumanisten kündigen schon lange den nahenden, unausweichlichen Schritt in die nächste Evolutionsstufe zum Cyborg an.

Für immer schön, für immer jung. “Human Enhancement”, also die Leistungssteigerung, Erweiterung und Verjüngung des Körpers durch den Einsatz von Medizin und Wissenschaft, bildet den Ausgangspunkt der Ausstellung “Alter + Ego” in der Eres-Stiftung. Eine Fotografie der Künstlerin Louise Bourgeois aufgenommen von Alex Van Gelder steht am Anfang. Die Arbeit ist in ihren letzten Lebensjahren entstanden. Während sie ihren Kopf mit den beiden Händen abstützt, blickt sie den Betrachter*innen selbstbewusst und mit starker Präsenz entgegen. 

Installationsansicht “Alter + Ego” in der Eres-Stiftung, Foto: ERES-Stiftung, Thomas Dashuber.

Ausgehend von dieser Fotografie fächert sich die Ausstellung in verschiedene Themenschwerpunkte auf. Die zwanzig Positionen setzen sich mit neuen Technologien auseinander, hinterfragen Körpernormierungen und prognostizieren dystopische Zukunftsvisionen, in denen der Mensch von Apps und Mikrochips überwacht und gescannt oder durch technologische Maschinen modifiziert und erweitert wird. 

Dass das Altern nicht nur körperlichen und geistigen Verfall mit sich bringt, sondern auch Einsamkeit, Verlust und Überforderung, führt die Videoarbeit von Superflux zugleich humorvoll und bewegend vor Augen. “Uninvited Guests” erzählt die Geschichte eines siebzig Jahre alten Mannes, der nach dem Tod seiner Frau alleine zuhause lebt. Um ihn aus der Ferne zu unterstützen, statten ihn seine Kinder mit verschiedenen Technologien aus, die seine Vitalfunktionen überwachen und seine Bewegungen, Ruhephasen und Ernährung regeln sollen. Getrieben von den ständigen Benachrichtigungen der Apps, beginnt der Protagonist diese Geräte zu boykottieren und zu manipulieren. „Uninvited Guests“ zeigt eindringlich, wie vermeintlich hilfreiche Apps zu penetranten Kontrolleuren unseres Alltags werden können.

Bild links: Daniel Preisler, “Memento Mori” um 1650 / Bild rechts: Thomas Silberhorn, “Flow 2”, 2015, Fotos: ERES-Stiftung, Thomas Dashuber

Die Arbeit “Flow 2” von Thomas Silberhorn ist ein ausrangierter und umgebauter Treppenlift, der seinen ursprünglichen Nutzen nicht mehr erfüllen kann. Stattdessen schleift er seinen Körper unkontrolliert und unter tosendem Lärm am Boden entlang, so als würde er wie ein auf dem Rücken liegender Käfer verzweifelt versuchen, sich wieder aufzurichten. Seine langen Arme reiben unkontrolliert an den Ausstellungswänden und kratzen dabei die Farbe von den Mauern.

Wie ein Tier im Gehege wird der dysfunktionale, außer Kontrolle geratene Treppenlift in einem abgesperrten, für ihn viel zu schmalen Bereich der Ausstellung präsentiert. Beim Beobachten seiner verzweifelt anmutenden Rotationen, wirkt die Maschine eher bemitleidenswert als erschreckend und gefährlich. Während sie früher ein Hilfsmittel war, entzieht sie sich jetzt jeder menschlichen Kontrolle. Andererseits ist der Lift immer noch von der Fürsorge und Pflege des Menschen abhängig, der ihn mit Strom versorgen muss, damit er weiterhin seine Bahnen ziehen kann. Silberhorns Arbeit macht auf das ambivalente Verhältnis des Menschen zu seinen Maschinen aufmerksam. Was passiert, wenn der Mensch die Kontrolle über seine technischen Hilfsmittel verliert? 

Berenice Olmedo, “Regina”, 2020, HKAFO und Ballettschuhe, 76 x 25 x 16 cm. Foto: ERES-Stiftung, Thomas Dashuber

Welche Körper gelten als normal und von wem wird diese “Normalität” definiert? Berenice Olmedo arbeitet mit medizinischer Technik als künstlerisches Ausdrucksmittel. Die mexikanische Künstlerin setzt sich in ihrem Schaffen gegen körperliche Stigma und für eine Abkehr von körperlichen Standardisierungen ein, die auf imperialistische Strukturen zurückzuführen sind. So gelten beispielsweise die Körper weißer, europäischer Männer bis heute als Standard bei der Entwicklung von Medizin und Technik. 

Olmedos Arbeiten bestehen meist aus Prothesen oder Orthesen, die aus medizinischen Archiven stammen. Während wir unsere Körper immer mehr mit neuen technologischen Entwicklungen erweitern, gelten Prothesen oder Orthesen immer noch als Zeichen für körperliche Defekte und Defizite. In der Ausstellung “Alter + Ego” wird die Arbeit “Regina” gezeigt, eine an dünnem Faden hängende Orthese eines Kindes mit Riemen und rosafarbenen Ballettschuhen. Scheinbar schwerelos scheint die Figur auf den Spitzenschuhen zu stehen. Indem die Künstlerin die Arbeit nach ihrer ursprünglichen Trägerin benennt, lenkt sie den Fokus noch stärker auf das Individuum entgegen Körpernormen und Körperbildern.

Janina Totzauer, “Snow white”, 2016 / 2022, Dokumentationsfotos zur Performance, 3-teilig, Digitalprint auf Aludibond, 21 x 31 cm, Foto: ERES-Stiftung, Thomas Dashuber.

Die Münchner Künstlerin Janina Totzauer präsentiert in der Ausstellung unter anderem eine aus der gleichnamigen Performance stammenden Installation mit dem Titel “Snow White”. Die Gestalt des Schneewittchens verkörpert das Bild der hilflosen Prinzessin, die sich vor allem durch ihre Schönheit auszeichnet und deren einziges Lebensziel es zu sein scheint, gerettet und verheiratet zu werden.

Totzauers Arbeit besteht aus einem gläsernen Sarg, in den sich die Künstlerin für acht Stunden lang im Winter bei Schneefall einschloss, um das Gefühl nachzuempfinden, wie Schneewittchen lebendig begraben zu werden. Im Gegensatz zum Märchen entpuppte sich die Isolation für Totzauer jedoch nicht als Schönheitsschlaf, sondern als klaustrophobische Herausforderung. Denn je mehr Schnee in der acht Stunden langen Performance auf den gläsernen Sarg fiel, umso heftiger wurde das Gefühl von Enge und Panik. 

Installationsansicht 2 (Sibylle Fendt: „Gärtners Reise“, eres/colliders „On and On and On“), Foto: ERES-Stiftung, Thomas Dashuber

Manchmal humorvoll, manchmal mit purer Ernsthaftigkeit zeichnet die Ausstellung “Alter + Ego” ein Bild von dem, was noch kommen wird und den Gefahren, die sich hinter neuen Technologien verbergen. Immer stärker scheinen diese nicht nur in unser Privatleben, sondern auch in unsere Körper einzudringen. Am Ende bleibt es allen selbst überlassen, wie sehr sie diese technischen Apparate in ihr Leben integrieren, wie sehr sie mit ihnen verschmelzen wollen. 

WANN: Die Ausstellung “Alter + Ego” ist bis Samstag, den 29. Oktober zu sehen.
WO: ERES-Stiftung, Römerstraße 15, 80801 München.

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