Full Forces
Janina Totzauer über ihr Projekt "ille galerie"

11. August 2020 • Text von

Es ist immer wieder überraschend und erfreulich, dass in dieser Stadt Künstlerinnen leben, die etwas bewegen wollen und selbstständig neue, mutige Projekte realisieren. Janina Totzauer hat mit zwei befreundeten Künstlern letztes Jahr die ille galerie gestartet. Unsere Gastautorin Linn Born sprach mit einer Frau, aus der die Energie sprudelt und die sich nicht nur auf ihr eigenes künstlerisches Schaffen konzentriert, sondern anderen Künstler*innen eine Plattform bietet.

Ausstellungsansicht: ille Galerie München, Foto: Magdalena Jooss
Ausstellungsansicht: ille galerie München, Foto: Magdalena Jooss

gallerytalk.net: Die ille galerie liegt im Herzen Schwabings, wie seid ihr auf den Ort aufmerksam geworden und wie lange hat es gedauert bis zur Umsetzung?
Janina Totzauer: Die ille galerie liegt direkt an der Tramhaltestelle Nordendstraße, sie besteht aus vier Schaukästen an der Hauswand der Barerstr. 77. Die Schaukästen stachen uns schon seit Jahren ins Auge, wie sie langsam von Stickern und Graffitis überlagert wurden. Sie haben als Ausstellungsort den perfekten Standpunkt sowohl für Flaneurinnen und Flaneure, alt eingesessene Schwabinger*innen oder Kunststudierende, die mal eben von der Kunstakademie rüberkommen. Tornike, ein guter Freund und ebenfalls Künstler, wohnt gleich gegenüber und als wir eines kalten Dezembertages 2019 vor den Kästen standen, war der Plan geboren, jene zur Galerie zu erklären.

Ausstellungsansicht: ille galerie München, Foto: Magdalena Jooss.

Was hat euch gereizt und was ist es für ein Ort?
Gleich am folgenden Tag wurde ein Bolzenschneider organisiert und die Vorhängeschlösser aufgebrochen. Manchmal müssen Pläne schnell umgesetzt werden, bevor man zweifelt. Wir tauschten die Schlösser und die ille galerie war geboren. Damals studierten wir noch an der Kunstakademie, eine Woche später hatten wir zwei weitere Kommiliton*innen eingeweiht und bauten zusammen die erste Ausstellung auf. Da die Kästen keinen Strom haben, betrieben wir die Lichter und Monitore in den Schaukästen mit Powerbanks und holten uns für unsere erste Eröffnung Strom vom anliegenden Blumenladen, dem wir bis heute mit Herz und Stromkabel verbunden sind. Nervös erzählten wir damals nur unseren Freunden und Vertrauten von der Eröffnung. Lockten diese mit heißer Suppe.

Welches Konzept steckt hinter der ille galerie?
Während der ersten Ausstellung erarbeiteten wir noch ganz unterbewusst das zukünftige Konzept. Die Wochen verflogen und durch den durchweg guten Zuspruch sowohl der Besucher*innen, Nachbar*innen und Kunsttudierenden trauten wir uns immer mehr. Sebastian Quast, Tornike Abuladze und ich laden in regelmäßigen Abständen jeweils fünf junge Kunstschaffende ein, die Kästen zu bespielen. Wir wollen interessante Gruppen zusammenbringen und gleichzeitig der in München so oft vorherrschenden Cliquenbildung entgegenwirken. Die Künstlerinnen kennen sich vorher oft nur vom Akademieflur. Sie lernen sich beim Aufbau und beim obligatorischen gemeinsamen Suppe kochen vor der Ausstellung kennen. Ein bisschen stolz ist die ille galerie auf zwei Wohnungsvermittlungen und zwei Pärchen, die sich so gefunden haben. Der Mensch ist ein Rudeltier. In Gemeinschaft sind wir stärker und glücklicher.

Detail: Hannah Mitterwallner, ille galerie München.

Wie war die erste Ausstellung im Winter 2019 an einem Ort den ihr ungefragt übernommen habt; wissend, dass das Gebäude von einer großen Immobilienfirma gekauft wurde?
Es war sehr aufregend, aber auch unglaublich spontan. Wir hatten glaube ich, zu wenig Zeit um über die Konsequenzen nachzudenken; das kam der ille galerie zugute. Im Nachhinein erst erkundigten wir uns bei befreundeten Anwälten, wie kriminell wir denn genau waren. Wir lernten viel über den Münchner Mietmarkt, über die geplante Luxussanierung des Gebäudes und den künftigen Kaufpreis von ca. 16’000 Euro pro Quadratmeter.

Wen präsentiert ihr in der aktuellen Ausstellung?
Derzeit zeigen wir mit Hannah Mitterwallner und Lilian Robl zwei Künstlerinnen, die in den verschiedensten Medien arbeiten. Hannahs Arbeit erinnert an fragile Schmuckstücke. Da sie aus Zucker sind, ist es wunderschön zu sehen, wie sie in der Sonne langsam ihre Form verlieren. Lilian zeigt einen Fächer, der mit einem Hochglanz-Fotodruck bezogen ist. Dazu luden wir drei Kunststudierende ein. Inna Stepankova rundet Hannahs Werk mit ihrer äußerst auffälligen Bauchnabeltapete ab, die Bildhauerin Anna Keller, die sich nicht vor verschiedensten Materialien scheut, arrangiert mit Latex überzogene Metallhaken neben Fotografie und ausgestopftem Stoff. Julian Rabus zeigt eine konzeptionelle Papierarbeit; ein allgemeingültiges Storyboard zur Erarbeitung eines Films. Gemeinsam haben sie ortsbezogen ihre Werke erarbeitet, sich beim Fensterputzen und Leiter-Halten geholfen und zusammen ihre Ausstellung gefeiert.

Die ille galerie als digitaler Raum.

Ihr realisiert alle vier Wochen eine neue Ausstellung, wie habt ihr auf die Umstände der Pandemie reagiert?
Wir haben uns ein wenig Zeit gegeben und nachgedacht. Die Galerie war noch so jung und voller Energie, wir mussten einfach weitermachen. Sebastian hat uns dann die ille im digitalen Raum nachgebaut und wir konnten endlich aus dem Münchner Kontext ausbrechen. Wir hatten eine digitale Welt kreiert, die man sich wie ein Computerspiel vorstellen muss; man kann sich mithilfe eines Avatars bewegen und die Kunst betrachten. Für ille #7 wollten wir genau das nutzen, was uns das Digitale möglich machte: Wir wollten Landes- und kontinentale Grenzen überschreiten. Wir setzten uns zum Ziel fünf Künstler*innen von fünf Kontinenten einzuladen, was in einer grandios – einzigartigen Eröffnung endete. Während Deborah in Los Angeles um 8 Uhr früh bei einem Kaffee mit uns feierte, war Nunzio Madden um 1 Uhr nachts in Melbourne bereits angeschwipst.

Das Projekt ist zeitlich begrenzt, die Schaukästen sollen abgerissen werden und eigentlich wolltest du nach deinem Abschluss an der Kunstakademie bei Julian Rosefeldt diesen Sommer nach Mosambik auswandern. Wie ist es für dich, dass sich deine Pläne so drastisch geändert haben?
Erstmal kam da eine kurze ungläubige Starre nach dem Abschluss. Ich dachte ja, jetzt steht mir die Welt offen und ich kann endlich zu meinem Freund ziehen. Ich hatte ein Research-Stipendium für Mosambik bekommen und wollte einen neuen Film drehen. Die Koffer waren tatsächlich schon gepackt und stehen auch bis heute noch genauso neben meiner Zimmertür. Ich bin allzeit bereit. Aber ich glaube, der Mensch ist sehr flexibel. Rein evolutionär sind wir unheimlich anpassungsfähig. So hab ich hier einfach weitergemacht, Kunst gemacht. Und dann sind tatsächlich ein paar unerwartet gute Sachen passiert. Viele Leute haben meine Kunst und mich unterstützt und durch diese ungeplante Verzögerung bin ich einen großen Schritt in meinem künstlerischen Schaffen weitergekommen. Ich darf mich nicht beschweren.

Janina Totzauer

Eine Frage hätte ich noch, was war/ist das Bierstipendium an der Kunstakademie?
Haha, das Bierstipendium vereint quasi zwei wunderbar nützliche Dinge in einer Maschine: Bier und Geld. Vor zwei Jahren haben ein Kumpel und ich einen alten Getränkeautomaten aufgetrieben, ein italienisches Modell aus den 80er Jahren. Wir haben es hergerichtet, mit Bier, Spezi und Mate bestückt und in die Kunstakademie gestellt. Nun spendet der Automat den Studierenden zu jeder Stunde ein frisches Getränk und erwirtschaftet gleichzeitig Geld für das sogenannte Bierstipendium. Wann immer wir 100 Euro Gewinn in der Kasse haben, darf sich ein Studierender für das Stipendium bewerben. Bei der Bewerbung kommt es ausnahmsweise mal nicht auf Lebenslauf und Können an, sondern auf Humor und Einfallsreichtum. So können wir alle paar Wochen einem glücklichen, jungen Kunststudierenden 100 Euro in kleinen Münzen in die Hand drücken und ab und an auch mal ein neues Verlängerungskabel für die ille galerie kaufen.

WANN: Wechselnde Ausstellungen.
WO: ille galerie, Barer Str. 77,80799 München.

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