Umgeben von Geschichte
200 Jahre Kunstverein München

14. Juni 2023 • Text von

Anlässlich des 200-jährigen Bestehens blickt der Kunstverein München auf Archivmaterial aus zwei Jahrhunderten zurück. Die Ausstellung “The Archive as …” zeigt die Historie des Hauses erstmals in vollem Umfang ungeschönt und kritisch. Die Ausrichtung und Rolle der Institution hat sich über die Zeit stark gewandelt – zum Glück.

Installationsansicht von der Ausstellung THE ARCHIVE AS ... im Kunstverein München.
Installationsansicht: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023, Foto: Maximilian Geuter.

Bereits 2020 wurde im Vorfeld des zweihundertjährigen Jubiläums im Kunstverein München ein konkreter Ort für die Aufbewahrung der eigenen Geschichte geschaffen. Damals konzipierte Julian Göthe einen Archivraum als festen Bestandteil der Institution. Im Rahmen der Ausstellung “The Archive as …” bleibt dieser Archivraum geschlossen, die Vorhänge sind zugezogen. Die Auseinandersetzung mit der Historie des Kunstvereins wird nun in den großen Ausstellungsraum verlagert, wo administrative Dokumente, Kunstwerke, Fotografien und Filmmaterial Einblick in die Geschichte geben, die hier in den zwei Jahrhunderten seit der Gründung 1823 stattgefunden hat.

Installationsansicht von der Ausstellung 
THE ARCHIVE AS ... im
Kunstverein München.
Installationsansicht: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023, Foto: Maximilian Geuter.

Vergangenheit und Gegenwart des Kunstvereins treffen im Ausstellungsdisplay auf einander. Besucher*innen erwartet ein Rundgang durch 200 Jahre Archivalien. Historische Dokumente, Abbildungen und Bücher ermöglichen einen Einblick in die Gründungsjahre der Institution, die der Zeit entsprechend von der Nähe zum Bayerischen König und von männlichen Künstlern geprägt waren. Zwischen Protokollen und Satzungen wird auf eine besondere Biografie aufmerksam gemacht, den Fall von Lola Montez.

Lola Montez war eine bekannte Tänzerin und Schauspielerin, die 1846 in den Kunstverein aufgenommen wurde. Weniger bekannt ist, dass ihr Mitgliedsantrag zuerst abgelehnt wurde. Ein Schriftstück aus diesem Jahr dokumentiert ihre Aufnahme auf ausdrücklichen Wunsch König Ludwigs I. von Bayern, dessen Geliebte sie damals war. Erst durch sein Zutun wurde ihr der Zugang zum Kunstverein ermöglicht. Das Beispiel von Lola Montez macht deutlich, dass nur durch die Präsentation solcher archivierten Dokumente verborgene Geschichten sichtbar gemacht werden können. Und der Kunstverein München hat viele solcher sonst unsichtbaren Geschichten. “The Archive as …” zeigt eine fragmentarische Auswahl. 

Installationsansicht von der Ausstellung THE ARCHIVE AS ... im Kunstverein München.
Installationsansicht: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023, Foto: Maximilian Geuter.

Besucher*innnen erhalten dabei auch einen Einblick in die faschistische Ausrichtung des Kunstvereins vor und während der Machtübernahme der Nationalsozialisten. 1936 wurden jüdische Mitglieder vom Verein ausgeschlossen, 1942 eröffnete die völkische Ausstellung “Blumen der Alpen” und der damalige Direktor beteuerte seine nationalsozialistische Haltung. Nach Ende des Krieges musste der Kunstverein das zerbombte Gebäude, das damals ebenfalls am Hofgarten lag, verlassen und zog in die angrenzende Galeriestraße, wo er auch heute noch zu finden ist.

Installationsansicht von der Ausstellung THE ARCHIVE AS ... im Kunstverein München.
Installationsansicht: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023, Foto: Maximilian Geuter.

In den Nachkriegsjahren änderte sich die politische Ausrichtung der Institution drastisch und die Moderne hielt Einzug ins Ausstellungsprogramm. Dennoch kam es immer wieder zu Konflikten mit der Stadtpolitik und innerhalb des Vorstandes, wie die Besucher*innen den Archivalien entnehmen können.

1970 wurde der damalige Direktor in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung abgewählt. Studierende der Akademie der Bildenden Künste München waren seiner Einladung gefolgt sich an der Ausstellung “Verändert die Welt! Poesie muss von allen gemacht werden!“ zu beteiligen. Sie nutzten die Räumlichkeiten des Kunstvereins, um ausgehend von dem Fall Hermann Kaspar – ein gefragter Auftragskünstler während der NS-Zeit und bis in die 1970er Jahre Professor an der Akademie – den Umgang der Kunstakademie mit dem Personal des Nationalsozialismus zu kritisieren. Dabei kam es zu Tumulten, was nicht allen im Verein gefiel und zu einem Ausschluss des Direktors führte, der dafür kritisiert wurde den Studierenden eine Plattform geboten zu haben. Zusätzlich bewirkte das Bayerische Kultusministerium eine vorzeitige Schließung der Ausstellung.

Installationsansicht von der Ausstellung THE ARCHIVE AS ... im Kunstverein München.
Detail: Ausstellung Pavillons von Dan Graham, 1988; Ausstellung Naturidentische Stoffe, 1989; in: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023; Foto: Maximilian Geuter.

Der Kunstverein München war schon immer ein Austragungsort politischer Diskurse, was sich in der protestlosen Übernahme der nationalsozialistischen Ideologie aber auch in Ausstellungen wie “Gastarbeiter. Zur Situation ausländischer Arbeiter in der BRD“ aus dem Jahr 1975 zeigt. Vor allem aber war der Kunstverein schon immer eine Institution mit wegweisenden und spannenden Ausstellungsprojekten. International bekannte Künstler*innen wie Dan Graham, Andrea Fraser, Adrian Piper und Mark Leckey stellten hier zu Beginn ihrer Karriere aus. Im Rahmen von “The Archive as …” können Besucher*innen durch die Ausstellungskataloge der vergangenen Jahrzehnte blättern und staunen, wer und was hier schon alles zu sehen war.

Videoarbeit und Installationsansicht von der Ausstellung THE ARCHIVE AS ... im Kunstverein München.
Installationsansicht: Videoraum, in: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023; Foto: Maximilian Geuter.

Die Präsentation der 200-jährigen Geschichte des Hauses ist nicht vollständig. Sichtbare Lücken durchziehen das Ausstellungsdisplay, in dem immer wieder ein Regalboden fehlt. Besonders die Zeit vor Endes des zweiten Weltkriegs ist auf Grund der Zerstörung des damaligen Gebäudes nur fragmentarisch dokumentiert. Mit einem diskursiven Veranstaltungsprogramm geht das Team des Kunstvereins, zusammen mit Künstler*innen, Mitgliedern, Theoretiker*innen und den Besucher*innen, der Frage nach, wie sich Geschichte konstituiert und was solche Lücken im Archiv bedeuten.

Installationsansicht von der Ausstellung THE ARCHIVE AS ... im Kunstverein München.
Installationsansicht: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023, Foto: Maximilian Geuter.

Das Programm findet wöchentlich, mitten im Ausstellungsdisplay, umgeben von Archivalien statt und bringt diese in Bewegung, auf inhaltliche und physische Art und Weise. Über die Dauer der Ausstellung werden Objekte ausgetauscht und neue Verweise geschaffen, basierend auf den Gedanken und Materialien, die die eingeladenen Gäst*innen mitbringen. So können Lücken bewusst wahrgenommen, geschlossen und weitergedacht werden.

Auch nach Ende der Ausstellung wird die Archivarbeit, die seit einigen Jahren fester Bestandteil der Institution ist, weitergehen. Der kritische Blick auf die Geschichte hat das Ausstellungsprogramm unter der aktuellen Direktorin Maurin Dietrich geprägt und findet mit „The Archiv as …“ seinen Höhepunkt. Nun stellt sich die Frage: Wie wird die Zukunft des Kunstverein Münchens aussehen? Das Kuratorinnen-Team, bestehen aus Maurin Dietrich, Gloria Hasnay und Gina Merz, kann sich nun neuen Projekten zuwenden, die Geschichte des Kunstvereins immer im Blick.

WANN: Die Ausstellung “The Archive as …” ist bis zum 27. August zu sehen. 
WO: Kunstverein München, Galeriestraße 4, 80539 München.

Im Rahmen des 200-jährigen Bestehens des Kunstverein Münchens wird vom 30. Juni bis zum 2. Juli ein Jubiläumsfest stattfinden.

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