Historie auf Kante
Der neue Archivraum im Kunstverein München

6. März 2020 • Text von

Ein Raum für institutionelle Selbstbefragung. 2023 feiert der Kunstverein München zweihundertjähriges Jubiläum, anlässlich dieses Termins hat die neue Leitung des Ausstellungshauses einen Archivraum als festen Bestandteil der Institution konzipiert. Der Künstler Julian Göthe hat in Auseinandersetzung mit den architektonischen Strukturen der Ausstellungsfläche einen inszenierten Raum geschaffen, der Platz für die Verhandlung sowie die Aufbewahrung der Historie bieten soll.

Ansichten Archivraum Kunstverein München e.V. gestaltet von Julian Göthe; Courtesy Kunstverein München e.V.; Julian Göthe; Fotografie: Sebastian Kissel.

In seiner künstlerischen Praxis, die Collage, Skulptur, Zeichnung und Installation umfasst, setzt sich Julian Göthe mit kulturgeschichtlichen Abschnitten auseinander: Er setzt Referenzen auf Gestaltungsideen des Art Déco, Set-Dekoration und eine alltägliche Anwendung unterschiedlicher Formen. Der Künstler gab uns einen Einblick in die Konzeption und Umsetzung des „Archivraums“.

Ansichten Archivraum Kunstverein München e.V. gestaltet von Julian Göthe; Courtesy Kunstverein München e.V.; Julian Göthe; Fotografie: Sebastian Kissel.

gallerytalk.net: Du arbeitest in diesem Projekt an den Schnittstellen von Kunst, installativer Raumgestaltung und Inszenierung.
Julian Göthe: Ich beschäftige mich in meiner künstlerischen Praxis unter anderem mit Interior und Dekoration, Architektur spielt auch eine wichtige Rolle. Mich faszinieren bestimmte Formen, exzentrische Formen der Möbelkunst. Formen die vom Funktionalen abweichen. Es gibt den vernünftigen Bauhaus- oder Charles-Eames-Stuhl, aber ich finde z.B. Möbel von französischen Designern wie Jean Royer oder Raphael interessanter. Das sind natürlich bourgeoise High-End Produkte aber gleichzeitig werden durch sie Räume inszeniert und es stellt sich die Frage: Ist das für das alltägliche Leben gedacht oder ist man bereits Teil eines Schauspiels. Mich hat das gleichzeitig fasziniert, aber auch abgeschreckt. Ich finde es interessant, in diesem Kontext einen eigenen Weg zu finden, diese Inszenierungen zu brechen. Da war das Angebot von der Direktorin des Kunstvereins Maurin Dietrich, den Archivraum zu gestalten natürlich fantastisch. Da hat sie bei mir offene Türen eingerannt.

Ansichten Archivraum Kunstverein München e.V. gestaltet von Julian Göthe; Courtesy Kunstverein München e.V.; Julian Göthe; Fotografie: Sebastian Kissel.

Der Archivraum hat eine spezielle Funktion. Geschichte soll sichtbar gemacht werden und ein Ort geschaffen werden, an dem sich die Institution Kunstverein selbst reflektiert.
Wenn man sich mit dem Haus auseinandersetzt erkennt man schnell, dass diese Räume unzählige Male überprüft und kritisiert, analysiert und neu gestaltet wurden. Natürlich muss man die lange Geschichte der Institution mitdenken – Der Kunstverein München ist einer der ältesten in Deutschland. Das ist zunächst wahnsinnig ehrfurchteinflößend. Die Geschichte des Kunstvereins hat auch düstere Aspekte: Die „Entartete Kunst“-Ausstellung fand in den Hofgarten-Arkaden statt. Was mich bei dem Projekt daher besonders interessiert hat, ist der Umgang mit der Raum-Hierarchie. Es gibt, wie das für eine solche Architektur typisch ist, unterhalb der Fenster eine Ebene, auf der die Kunst Bilder gezeigt wurde. Dort hingen die Bilder der Salon-Malerei genauso wie später die als „entartet“ bezeichneten Bilder. Heimo Zobernig hat die Raumstruktur später mit Hilfe von Spiegeln sichtbar gemacht. Aber das spielte sich immer unterhalb der Fenster ab. Meine Idee war es, diese Ebenen zu brechen, indem ich aus dem rechten Winkel in einen Winkel von 45° gehe. So will ich die Hierarchie auflösen. Um etwas zu überdecken aber gleichzeitig auch wieder besprechbar zu machen. Der Grundgedanke war es, die Historie auf Kante zu stellen.

Der Raum ist aber für das Archivmaterial konzipiert?
Im Prinzip habe ich einen Raum um Papp-Kartons herum entworfen. Diese Schachteln, in denen sich das Archivmaterial befindet, sind in die Regale eingefasst. Die Inszenierung mit den Seilarbeiten an den Wänden ist durchaus monumental, aber eigentlich nutzen wir „arme“ Materialien, wie aus dem Baumarkt. Wir wollten den Raum eben brechen und aus dem rechten Winkel herausgehen. Das „Zick-Zack“ der Seilarbeiten reibt sich mit der monumentalen Halle.

Ansichten Archivraum Kunstverein München e.V. gestaltet von Julian Göthe; Courtesy Kunstverein München e.V.; Julian Göthe; Fotografie: Sebastian Kissel.

Die Seilarbeiten sind ja auch Teil deiner künstlerischen Praxis, in der du auch viel mit gefundenen Bildern arbeitest. Mich interessiert hier die Überschneidung zur Inszenierung eines Raumes.
Wir haben für den Archivraum darauf verzichtet, mit Bildern zu arbeiten. Ich arbeite aber selbst auch mit Bewegtbildern, dabei schöpfe ich aus meinem reichhaltigen Archiv. Bevor ich Kunst gemacht habe, arbeitete ich Jahrzehnte beim Trickfilm, für die ich Hintergründe, Layout-Design und Art-Direction gemacht habe. Das waren aber sehr kommerzielle Projekte, die dann im Laufe der Produktion ziemlich in die Hose gegangen sind. Ich habe auch als Kameraassistent gearbeitet und in den 1980er Jahren an der Schaubühne in Berlin eine Bühnenbild-Hospitanz gemacht. Das war eine gute Ausbildung, klassisch Kunst studiert habe ich nie. Durch all diese Disziplinen, habe ich ein gutes Gefühl für Räume bekommen und auch gelernt, dass Raum nicht statisch ist, sondern ständig in Bewegung.

WANN: Zu sehen bis 2023
WO:
Kunstverein München, Galeriestr. 4 (Am Hofgarten), 80539 München.

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