Formale Tendenzen Das Neue im 21er Haus
14. März 2019 • Text von Leonie Huber
18 Künstler*innen und zwölf Projekträume repräsentieren in den nächsten Monaten die junge Wiener Szene. Die Ausstellung im Belvedere 21 lädt zu Erweiterung und Kritik ein und macht aber auch gegenwärtige Entwicklungen sichtbar.
Eine Ausstellung über das Neue zu konzipieren, ebenso wie einen Text über eine Ausstellung über das Neue zu schreiben, beginnt zwangsläufig mit der Frage, was das denn ist, das Neue. Neu ist das Gegenteil von Alt. Im Kontext der Wiener Kunstszene ist das Alte weder der Wiener Aktionismus, noch der Jugendstil von Gustav Klimt und Egon Schiele, denn beide Strömungen sind so alt, das sie schon historisch sind. Das Alte kann das Altbekannte sein, das Etablierte, alles, was regelmäßig in Institutionen präsentiert und damit kanonisiert wird. Im Umkehrschluss wäre das Neue das Nicht-Etablierte oder Noch-Nicht-Etablierte, was man im Englischen als up-and-coming bezeichnet. Da dieses Urteil vermehrt auf junge Künstler*innen zutrifft, lässt sich „neu“ leicht mit „jung“ verwechseln und, weil „jung“ wiederum das Gegenteil von „alt“ ist, ist die Verwirrung komplett.
Die Kurator*innen der Ausstellung „Über das Neue. Junge Szenen in Wien“ haben sich für eine Altersgrenze entschieden, um sich die Auswahl zu erleichtern: Alle 18 Künstler*innen sind nicht älter als 35 Jahre. Im Begleitheft wird eingangs hervorgehoben, dass eine Auswahl auch ausschließt, „subjektiv und zwangsläufig unvollständig“ ist. Dass sich eine Szene – ob jung oder neu, in jedem Fall in Bewegung – nicht mimetisch abbilden und ausstellen lässt, sollte eh‘ klar sein (wie man in Österreich sagt). Dennoch liegt die Qualität von Ausstellungen wie derjenigen im Belvedere 21 darin, bestimmte Tendenzen in gegenwärtiger Kunstproduktion aufzuzeigen und gleichzeitig durch die unvermeidliche Unvollständigkeit des Überblicks die Besucher*innen zu Erweiterung und Kritik anzuregen.
Grundlegend lassen sich die ausgestellten Werke in zwei Kategorien unterteilen: Einerseits Arbeiten, die eine geschlossene Form aufweisen und in denen sich die künstlerische Subjektivität in bildlichen Narrationen oder durch die Materialästhetik ausdrückt. Andererseits Arbeiten, die mehr auf der Sammlung von Ausdrucksformen aufbauen als deren singuläre Setzung, wobei Form und Medium hinter die multidimensionale Wahrnehmungswelt der Künstler*in zurücktreten.
Die erstgenannte Kategorie erstreckt sich von gegenständlicher Malerei über Material basierte Wandarbeiten bis zu skulpturalen und installativen Anordnungen, die einer Pop affinen Ästhetik à la Cosima von Bonin ähneln. Auf der Leinwand begegnen wir den luziden Traumlandschaften von Marc Alexandre Dumoulin, deren malerische Perfektion ein Gefühl von Doppelbödigkeit erzeugt, ebenso wie expressionistischen Großstadtszenen von Matthias Noggler, bevölkert von im gelblichen Licht der Straßenlaternen gestikulierenden Menschenwesen, und sich in abstrakte Farbfelder auflösende Körper von Edin Zenun. Bei Melanie Ebenhoch (surrealistische Assemblagen aus Architekturansichten, Porträts und Alltagsgegenständen) und Lukas Posch (Katzenteppiche) ist die Malerei schon weniger Medium, als mehr Platzhalter für einen von der Wand wegstrebenden Bildraum. Die aus Jute gewebten und lose auf der Wand montierten Bilder und vasenartigen Sandskulpturen von Birke Gorm nehmen die dritte Dimension schließlich vollständig ein. Im Raum platziert Angelika Loderer gegenstandslose Skulpturen, die sich mühevoll vom Boden erheben zu scheinen, und Sasha Auerbakh Metallskulpturen mit Hochglanzbeschichtung, aus den Schaufenstern, Dönerbuden und Interiorshops zwischen hier und LA entsprungen – eine Ästhetik, die sich auch bei Philipp Timischls mit flauschigen Decken überzogenen Bildschirmen wiedererkennen lässt.
Mit einer großen Selbstverständlichkeit behaupten sich all diese Werke in den offenen Räumen des Belvedere 21 und fügen sich mit Leichtigkeit in den institutionellen Kontext der Präsentation ein. Die kojenartige Anordnung der Stellwände im Inneren der Glasarchitektur unterstützt den Eindruck durch eine Messehalle zu schlendern. Insbesondere die Arbeiten von Maureen Kaegi und Mana Mandl, die mit einem installativen Gestus ganze Wände bespielen, sind ein Flashback zur letztjährigen Art Berlin mit ihren Pastelltönen, Garderobenständern und geometrischen Verkaufsschlagern. Tatsächlich haben 10 der 18 Künstler*innen der Ausstellung eine Galerievertretung, darunter fast alle nahmen haften Adressen in Wien. (Die Galerie Emanuel Layr ist mit drei Künstler*innen am meisten vertreten.)
Die Arbeiten der anderen Kategorie zeichnen sich durch eine mediale Gleichzeitigkeit und die Prädominanz von konzeptuellen Überlegungen aus, die – im Unterschied zu traditioneller Konzeptkunst – eindeutig die Subjektivität der Künstler*in als Ausgangspunkt der Auseinandersetzung markieren. Cäcilia Brown zeigt eine, auf der Reise mit der transsibirischen Eisenbahn entstandene, Fotoserie gemeinsam mit visuelle extrem anziehenden Betonabgüssen von Eisenbahnbrücken und Bahnschwellen. Johannes Gierlinger nähert sich mit einem dokumentarisch-aktivistischen Blick der Aktualität einer anarchistischen Subkultur in der ostpolnischen Start Białystok. Lucia Elena Průša schafft ein poetisches Nebeneinander von ausrangierten Bürostühlen, benutzter Damenunterwäsche und historischen Grafiken zum weiblichen Zyklus, das sich zu einer sinnlichen Reflexion über Ausschluss, Nähe und kreisförmige Kausalität zusammensetzt.
Schließlich erhebt sich die Subjektivität über jegliche Geschlossenheit des künstlerischen Ausdrucks. Obwohl sich die Praktiken von Rosa Rendl, Marina Sula und Anna-Sophie Berger nur schwer zusammenfassen lassen, stehen sie exemplarisch für eine Tendenz in zeitgenössischer Kunst, die in Galerien und vor allem Projekträumen all gegenwärtig ist. (Im Belvedere 21 wirkt der kursorische Gestus dieser Arbeiten ungewohnt und bedürfte eindeutig mehr Vermittlung um einem Museumspublikum näher gebracht zu werden.) Ausgehend von der zunehmenden Auflösung von identitätsstiftenden Kategorien und der Offenlegung von Ausschluss- und Ausbeutungspolitiken eines politischen und kulturellen Eurozentrismus, führt die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart immer wieder zu der Frage: Wo stehe ich? Wo beginne und ende ich? Die Grenze des eigenen Körpers, der eigene Blick auf die urbane Umgebung und die Verstränkung von biografischen mit geo-politischen Produktionszusammenhängen sind nur beispielhafte Untersuchungsfelder junger Künstler*innen. Während sich Information und Aktivität gleichermaßen hinter die Oberflächen unserer Bildschirme zurückzieht, tasten wir nach den materiellen Grenzen, die uns von der Welt trennen. In Barbara Kapustas Video „Empathic Creatures“ sterben artifizielle sprachliche Zeichen in einer digitalen Wüste ohne Raum und Zeit, während die Erzählerinnenstimme von einer kristallinen Fluidität spricht und im Ende feststellt: „The end of the world is so easy to picture, much easier that ist continuity.“
Als Teil des Projektes „Über das Neue. Junge Szenen in Wien“ realisieren zwölf unabhängige Projekträume jeweils für einen Zeitraum von drei Wochen ihre eigene Ausstellung innerhalb der Ausstellung. Wir haben mit den Künstlerinnen von GOMO über Kollektivierung, feministische Ausstellungspolitiken und ihre Pläne für das 21er Haus gesprochen, hier geht’s zum Interview.
WANN: Die Ausstellung läuft bis zum 02. Juni 2019 und ist jeweils von Mittwoch bis Sonntag, von 11 bis 18 Uhr, geöffnet.
WO: Belvedere 21, Quartier Belvedere, Arsenalstraße 1, 1030 Wien. Alles weitere hier.