Matisse in nichts nachstehen
Tom Wesselmann bei Almine Rech in Paris

30. Juni 2022 • Text von

Es ist farbenfroh, es ist lebendig, es ist erotisch. Es wird getanzt und posiert. Frei nach Henri Matisses bekannten Klassikern wie “Der Tanz” oder “Die Freude am Leben” ließ sich der amerikanische Pop-Art Künstler Tom Wesselmann für eine Reihe an Zeichnungen, Ölgemälden und Aluminium-Cut-Outs von dem französischen Vater des Fauvismus inspirieren. Die Werkschau ist in den Pariser Räumen der Galerie Almine Rech zu sehen. 

Ein in blau gehaltenes Aluminiumwerk von Tom Wesselmann
Tom WESSELMANN, Blue Dance, 1996/2000 © Courtesy of the Estate and Almine Rech © 2022 The Estate of Tom Wesselmann / Artists Rights Society (ARS), New York Photo: Jeffrey Sturges.

Die ausgeschnittenen bunten Farbfragmente erinnern an die Wandskulpturen seines Weggefährten Frank Stella. Was bei Stella aber eine Ansammlung an abstrakten Farbformen ist, zeigt sich in den Werken Tom Wesselmanns als figurative Komposition. Präsent in der Mitte des ersten Ausstellungsraumes hängt das monumentale aus ausgeschnittenen Aluminiumteilen bestehende Werk “Blue Dance”, eine deutliche Adaption von Matisses Gemälden “Der Tanz”. Wesselmann schafft mit seinem ins Pop-Art entrückte Aluminiumoeuvre jedoch nicht nur eine Adaption des Tanzes, sondern formt ihn um, denkt ihn in seiner Farbigkeit, Expressivität und im Material weiter und passte ihn somit seiner eigenen Zeit an. 

Zwei farbenfrohe Gemälde von Tom Wesselmann
Tom WESSELMANN, Sunset Nude with Matisse Odalisque, 2003 © Courtesy of the Estate and Almine Rech © 2022 The Estate of Tom Wesselmann / Artists Rights Society (ARS), New York Photo: Jeffrey Sturges // Tom WESSELMANN, Man Ray at the Dance, 2004 © Courtesy of the Estate and Almine Rech © 2022 The Estate of Tom Wesselmann / Artists Rights Society (ARS), New York Photo: Jeffrey Sturges.

Die sich reihenden Personengruppe aus Matisses Gemälden, von denen er zwei Versionen malte und von der sich heute eine im MoMa in New York, die andere in der Eremitage in St. Petersburg befindet, präsentieren sich auch in Wesselmanns “Man Ray at the Dance”. Ein monumentales Ölgemälde, das im Hintergrund die tanzenden, sich an den Händen haltenden Personen und im Vordergrund einen für Wesselmann typischen Frauenakt zeigt. Es wird deutlich, wie Matisses Ausdrucksweise, seine Farbigkeit, sein Umgang mit Linien und Formen eine Bandbreite an Inspiration und malerischen Möglichkeiten für Wesselmann darstellte – er diese aber gekonnt mit seiner Vielzahl der in den 1960er Jahren begonnenen Serien der „American Nudes“ verband. Figurativer Landschaftsmalerei oder Genredarstellungen verlieh Wesselmann etwas Comicartiges, versetzte es mit Witz und immer auch frecher Erotik. 

Eine Akt aus Aluminium von Tom Wesselmann
Tom WESSELMANN, Monica with Tulips, 1989 © Courtesy of the Estate and Almine Rech © 2022 The Estate of Tom Wesselmann / Artists Rights Society (ARS), New York Photo: Jeffrey Sturges.

Ähnlich wie sein Zeitgenosse Roy Lichtenstein, akzeptierte Tom Wesselmann, dass abstrakte Malerei nach dem Abstrakten Expressionismus kaum weiterzudenken war. Figurative Malerei hingegen schon. Tom Wesselmann, 1931 in Cincinnati geboren, kam während seiner Ausbildung an der Cooper Union School of Art and Architecture in New York zum ersten Mal mit dem Oeuvre des Franzosen in Berührung. Dass sein Lehrer Nicholas Marsicano ihm nahelegte, er habe seinen eigenen Weg zu finden, denn “[…] you can’t do what Matisse did” hielt den Maler nicht von seiner Beschäftigung mit dem Künstler des Fauvismus auf. Ein Glück, denn in seinen Gemälden, Aluminium-Cut-Outs und Zeichnungen beweist Wesselmann, dass er es aufnehmen kann mit dem Vorbild. Nicht nur die große Ausstellung von Matisses Cut-Outs im MoMa, New York, 1961, sondern ebenfalls die Retrospektive 1992 – für Wesselmann eine “überwältigende Erfahrung” – mag seine Begeisterung für die Schnitte des Franzosen einmal mehr beeinflusst haben. 

Zwei Zeichnungen von Tom Wesselmann
Tom WESSELMANN, After Matisse, 1959 © Courtesy of the Estate and Almine Rech © 2022 The Estate of Tom Wesselmann / Artists Rights Society (ARS), New York Photo: Jeffrey Sturges // Tom WESSELMANN, Drawing for Great American Nude #20, 1961 © Courtesy of the Estate and Almine Rech © 2022 The Estate of Tom Wesselmann / Artists Rights Society (ARS), New York Photo: Jeffrey Sturges.

Diese Ausstellung bei Almine Rech ist nicht nur für Matisse-Liebhaber eine wahre Freude und Explosion an Farbigkeit, sondern erreicht durch das an Erotik, Witz, und Verve reiche Werk Wesselmanns eine neue Expression und Dimension. Eine Dimension, die Matisse einmal mehr auf einen fiktiven Thron der Kunstgeschichte setzt und ein Beweis, dass Wesselmann seiner französischen Inspiration in nichts nachstand, sondern in seiner originellen Adaption eine ganz eigene Serie zwischen Pop-Art und Fauvismus kreierte. 

WANN: Die Ausstellung “After Matisse” ist noch bis Samstag, den 30. Juli, zu sehen.
WO: Almine Rech, 64 Rue de Turenne, 75003 Paris.

Weitere Artikel aus Paris