Später vernasch ich dich! Die Galerie Ciaccia Levi zeigt Amber Andrews
18. Februar 2021 • Text von Teresa Hantke
Die farbenfrohen Welten eines Matisse, das Surreale eines De Chiricos oder die Formenspiele eines Picassos kommen einem beim Anblick von Amber Andrews Gemälden in den Sinn. Für ihre Einzelausstellung in Paris hat die belgische Malerin nun den Mythos um die “Testa di Moro” und das Hauptwerk Boccaccios auf die Leinwand gebracht. Wir sprachen mit Andrews über Italien, unglückliche Liebschaften und geköpfte Häupter.
gallerytalk.net: Deine Malereien, die du in der kürzlich eröffneten Ausstellung “Too Many Tears For Lovers” in der Galerie Ciaccia Levi in Paris ausstellst, sind durch die Kultur Italiens und deine Reisen durch dieses Land inspiriert. Das hat mich sehr gefreut zu lesen, ich liebe Italien! Wo wart ihr genau unterwegs?
Amber Andrews: Mein Freund und ich sind diesen Sommer mit dem Auto von Antwerpen nach Italien gefahren. Das ist ziemlich weit (lacht), weshalb wir eher im Norden um den Lago Maggiore unterwegs waren. Das Piemont ist wirklich schön − Turin und die umliegenden Dörfer. Anschließend sind wir drei Wochen lang durch die Toskana gefahren. Es scheint keine Rolle zu spielen, wie lange eine Reise dorthin her ist − die toskanische Landschaft und Architektur hat einfach eine enorme Wirkung. Es macht einem deutlich, wie schön Häuser und Städte aussehen können!
Die architektonische Schönheit Italiens genieße ich auch immer sehr. Ich lebe in Berlin, dort fehlt mir das. Warst du schon einmal hier?
Ja, ich war einmal zu Besuch, und es hat mir nicht besonders gut gefallen (lacht). Ich finde es sehr traurig, dass eine Menge toller Architektur zerstört wurde. In Italien haben die meisten Häuser fröhliche Farben, es ist lebendig, das liebe ich. Auch das Licht ist so anders als bei uns im Norden. Es ist überraschend, dass aktuell nicht mehr bekannte junge MalerInnen aus Italien kommen. Aber vielleicht ist gerade diese einzigartige Architektur das Problem. Dann wüsste ich eventuell auch nicht, was ich tun sollte, wenn man die ganze Zeit von dieser Schönheit umgeben ist.
Neben der farbenfrohen Architektur in deinen Gemälden wie “Where It All Began” zieht sich eine Geschichte durch die ausgestellten Malereien. Unter anderem geht es um einen sizilianischen Mythos. Wie bist du darauf gekommen?
Die Idee kam mir in einem Keramikgeschäft. Ich wusste bereits, dass ich eine Einzelausstellung bei Ciaccia Levi in Paris haben werde, aber noch nicht, was ich inhaltlich zeigen möchte. Mir war es wichtig, eine gute Geschichte zu finden. In diesem Keramikladen in Italien haben wir dann diese “Testa di Moro” (Mohrenköpfe, dt. Übersetzung; Anm. d. Redaktion) gekauft und plötzlich kam die Idee, dass ich dazu arbeiten möchte. Ich mag den Mythos um diese Köpfe.
Was besagt dieser Mythos?
Eine alte Legende erzählt, dass um das Jahr 1100, während der Herrschaft der Mauren auf Sizilien, ein schönes Mädchen in Palermo lebte. Sie verbrachte ihre Tage damit, sich um die Pflanzen auf ihrem Balkon zu kümmern. Eines Tages fand sich ein junger Schwarzer Mann unter ihrem Balkon. Die beiden verliebten sich ineinander und erlebten eine wunderbare Zeit. Schließlich sagte er dem Mädchen, dass er zurück zu seinen Kindern und seiner Familie müsste. Daraufhin wurde das Mädchen so eifersüchtig, dass sie den Mann köpfte, damit er sie nicht verlassen konnte. Den Kopf behielt sie, stellte ihn auf ihren Balkon und pflanzte Basilikum darin. Dort wuchs das Basilikum dann so gut, was die DorfbewohnerInnen ganz neidisch machte. Also fertigten sie diese Köpfe, die “Testa di Moro” aus Keramik als Pflanzengefäße, dass ihr Basilikum genauso gut wachse.
Dein Gemälde “Tonight I Have You For Dinner” − den Titel finde ich übrigens sehr amüsant − nimmt diesen Gedanken der Enthauptung auf. Ich finde es sieht fast aus wie ein Remake eines Gemäldes von Judith mit dem Haupt des Holofernes.
Dieser sizilianische Mythos ist in meinen Augen eine Erzählung, die Frauen auf bestimmte Art Macht verleiht. Ich habe mich mit einem Italiener hier in Antwerpen unterhalten und anscheinend gibt es eine ähnliche Geschichte in fast jedem italienischen Dorf. Als ich dazu recherchiert habe, bin ich auf Giovanni Boccaccio, diesen Schriftsteller der italienischen Renaissance gestoßen. Er beschreibt ein ähnliches Drama in seiner Novellensammlung “Decamerone” (erschienen 1348–1353; Anm. d. Redaktion). Bei Boccaccio war es aber nicht das Mädchen, das dem Mann den Kopf abschlug, sondern ihre beiden Brüder.
Das ist tragisch!
Absolut! Außerdem grassierte, kurz bevor der “Decamerone” geschrieben wurde, im 14. Jahrhundert in Florenz die Pest. Also gingen die ProtagonistInnen, sieben Frauen und drei Männer in ein Landhaus und versteckten sich sozusagen vor dem “Schwarzen Tod”. Es ist ein ähnlicher Umstand, den wir heute haben. Das Virus ist im Umlauf.
Diese Parallelen zur heutigen Situation finde ich ziemlich spannend. Deine Ausstellung “Too Many Tears For Lovers” ist also eine inhaltliche Mischung aus Stadtflucht und unglücklicher Liebe?
Eigentlich sind es ja zwei Enthauptungs-Erzählungen − der Mythos und der “Decamerone”. Auch die Kunstgeschichte bietet dazu formal eine Vielfalt von Inspirationen. Wie eben diese intensiven Caravaggio-Gemälde, die Judith beim Köpfen des Holofernes zeigen. Es ist lustig, denn wenn man mal nach Enthauptungen sucht, stößt man in der Kunstgeschichte auf sehr viele Gemälde. Auf einmal tauchen in jedem Katalog geköpfte Häupter auf (lacht)!
WANN: Die Ausstellung von Amber Andrews “Too Many Tears For Lovers” ist bis Samstag, den 13. März, zu sehen.
WO: Galerie Ciaccia Levi, 34 Rue de Turbigo, 75003 Paris, Frankreich.