Stattfinden und Stadt finden nGbK in Hellersdorf
30. Juni 2021 • Text von Lara Brörken
Sich im eigenen Stadtteil als Teil der Stadt zu empfinden ist nicht selbstverständlich. Stigmatisierende Blicke kommen erschwerend hinzu. Viele Hellersdorfer:innen kennen das. Die Station urbaner Kulturen ist vor Ort und schubst die Kunstwelt des Innenstadtrings und Bewohner:innen selbst nach draußen. Kunst wird hier zum Treffpunkt zweier Welten, deren Kluft es zu schmälern gilt.
Eigentlich ist Berlin-Hellersdorf mit den öffentlichen Verkehrsmitteln super zu erreichen. Mit der U5 sind es vom Stadtzentrum bis zum Cottbusser Platz 45min, 45min in denen man in Ruhe lesen, Podcast hören – „Fuß in der Tür – der Podcast für urbane Praktiker:innen“ bietet sich an – oder ein Nickerchen machen kann. Fast jede:r Berliner:in innerhalb des S-Bahnrings kennt die Hellersdorfer „Gärten der Welt“-Ausstellung und die Seilbahn. Das hat allerdings wenig mit dem Hellersdorf zu tun, in dem gelebt wird. Irgendwie scheint diese Garten-Schau nur ein Versuch, Besucher:innen nach draußen zu locken und Hellersdorf mit einer ordentlichen Parkfläche aufzuwerten. Die Hellersdorfer:innen selber wurden bei derartigen Bauprojekten selten nach ihren Wünschen gefragt, erzählt Adam Page von der Station urbaner Kulturen. Es ist unwahrscheinlich, die Hellersdorfer:innen bei einem Spaziergang durch die „Gärten der Welt“ kennenzulernen, sie gehen dort eher selten hin. Auf den Hügeln der Seilbahn haben sie früher bis in die Nacht gegrillt, jetzt geht das nicht mehr.
Die Station urbaner Kulturen der neuen Gesellschaft für bildende Kunst hat sich die Überbrückung dieser Diskrepanz zwischen Stadt und Peripherie zur Aufgabe gemacht. Um zur Station urbaner Kulturen zu gelangen, muss man eine Hellersdorfer Wohnsiedlung durchqueren. Keine Umschweife, wer hier hinwill, muss auch hindurch. Genau aus diesem Grund ist es bereits die Wahl des Standortes, mit der die künstlerische Arbeit der Station beginnt. Das erste Standbein auf der pulsierenden Kreuzberger Oranienstraße wollte die nGbK mit dem zweiten Bein bewusst dort auftreten, wo sich das absolute Gegenteil ausgebreitet hat: Leere auf den Straßen, Enge hinter den Fassaden, kein Tourismus, kaum Gastronomie und trotzdem das echte Leben. Ein Standort, der wahrlich gekennzeichnet ist von der DDR, der Wende und dem politischen Jetzt, in dem sich Linke und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.
Die Räumlichkeiten der Station auf dem Kastanienboulevard haben einen für den gesamten Stadtteil symbolischen Ort gefunden: Im Sozialismus galt der Plattenbau zunächst als ein innovatives, entkrustendes Wohnprojekt „für das Volk“, mit dem Mauerfall kam die Rückkehr ins Stadtinnere, man rückte zusammen an den Ort des Geschehens – die Platte war out. Die Stadt wuchs, mit ihr die Mieten, Menschen von Überall zogen zunehmend zu und sozial Schwächere konnten sich das Leben in der Stadt immer weniger leisten. Sie wurden in die Peripherie und somit auch zurück in den Plattenbau gedrängt. Der Plattenbau wurde zum Sozialbau. So lief das ab und so läuft es bis heute. Diese Geschichte erzählt auch der Kastanienboulevard. Die Station steht hier, um der Stadt da draußen Kultur und Austausch zu ermöglichen, um sich hier zu vernetzen. Sie bietet Hellersdorfer:innen eine kreative Anlaufstelle, einen Ort der Kultur und Raum für Kommunikation und Mitspracherecht.
In der Station urbaner Kulturen, die zum einen White Cube ist, aber auch Kunst im öffentlichen Raum zeigt, laufen derzeit zwei Ausstellungen, die immer eine Brücke schlagen zwischen etablierten Künstler:innen und Themen, die Hellersdorf interessieren und direkt betreffen. Auf den direkten thematischen Bezug zum Viertel legt die Station wert. Die Themenwahl ist ein wichtiges Mittel um zu zeigen: Wir interessieren uns für euch. Die Themen helfen Vertrauen zu schaffen. Diese Verbindungslinie zu finden, ist bereits eine Herausforderung, da sich recht wenige künstlerisch den Themen dieses Ortes annehmen. Das Vertrauen der Anwohner:innen wächst und mit ihm wächst die Flexibilität in der Themenwahl.
In dem White-Cube-Innenraum der Station zeigt derzeit Arne Schmitt unter dem Titel „Zum Gedanken der aktiven Minderheit“ seine Schwarz-Weiß-Fotografien, die Universitäten und ihre Umgebung dokumentieren. Sie zeigen traditionsträchtige Bildungseinrichtungen wie die Universität Marburg, die sich mit ihrem historischen Körper in die historische Innenstadt quetscht. Die Enge ist sichtbar. Der Uni Marburg stellt Schmitt die Alice Salomon Hochschule gegenüber, die in Hellersdorf einen absolut gegensätzlichen Standort gefunden hat. Die universitären Umgebungen könnten kaum konträrer sein. Die Fotografien zeigen zum einen, wie verkrustet das Bildungssystem alleine schon architektonisch ist, zum anderen, wie leblos und verloren es in der Peripherie dasteht.
Die Alice Salomon Hochschule ist in den 90ern von Schöneberg – gegen ihren Willen – nach Hellersdorf gezogen. Seit den 50ern konnte beobachtet werden, dass Studierende den Platz in der Peripherie kreativ nutzen, der Freiraum bot ihnen Raum zur Entfaltung und zur Formierung. In Hellersdorf ist der Plan bisher nicht so richtig gut aufgegangen. Die Hochschule findet hier nur beschwerlich Anschluss zu ihrer Umgebung.
Arne Schmitt erinnert mit seinen Werken an die studentische Revolte 1968 in der Pariser Peripherie durch die die studentische “aktive Minderheit” erreichte, dass auch die letzte in der Stadt zurückgebliebene geisteswissenschaftliche Fakultät nach draußen ziehen konnte. Schmitt dokumentiert dem gegenüber, wie sich die Studierenden in Hellersdorf erfolgreich gegen ein Gedicht an der Fassade der Hochschule wehrten – und der Künstler stellt die Frage, warum sie auf diesem Weg hauptsächlich gegen kritische Stimmen aus dem Stadtzentrum argumentieren mussten: “Was heißt es für diese Debatte, dass diese empörte Mehrheit die betreffende Fassade, diesen Teil der Stadt kaum je aus der Nähe gesehen hat? Und welchen Blick wirft die hochschulexterne Nachbarschaft auf die Fassade – als die wohl größte Gruppe von Betrachter:innen?”
Sehr wenige Student:innen wohnen in Hellersdorf, es stapeln sich keine Fahrräder vor dem Gebäude, die meisten reisen an und wieder ab – und es muss nach dem Warum gefragt werden und danach, wie man eine Schnittstelle zwischen Hellersdorf und den Studierenden schaffen kann. Das zeigen und fordern die Bilder von Arne Schmitt. Positiv Beispiele sind die Freie Universität in Berlin-Dahlem. Hier sind die Fahrräder, hier hat sich studentisches Leben entfaltet. Auch das zeigen Schmitts Bilder, sie zeigen den belebenden Effekt für Orte, an denen Studierende sind. Warum beleben sie dort und nicht hier? Die Kluft ist zu groß, Hellersdorf zu abgestempelt. Die Station will dagegen wirken.
Um zur zweiten Ausstellung „KREISE ZIEHEN“ zu gelangen, müssen einige Straßen durchquert werden. Zwischen der eindrucksvollen Monotonie der Plattenbaufassaden eröffnet sich eine unerwartet paradiesische Grünfläche – von der Station „Place International“ getauft. Eine riesengroße Fläche, die Inselgefühle weckt. Gräser und Wiesenblumen sprießen, wie sie wollen, Trampelpfade ziehen sich durch die dünenartige Landschaft. Es sind Trampelpfade, die laut Adam Page, Künstler und eine zentrale Figur der Station, durch die Füße der Hellersdorfer selbst entstanden sind. Page zeigt auf einen der Pfade und sagt schmunzelnd: „Der ist hier, weil ein Hellersdorfer immer seine Geliebte auf der anderen Seite besucht“. Diese Fläche gehört und ist Hellersdorf, anders als die Garten-Schau ist hier alles sich selbst und den Hellersdorfer:innen überlassen – und der Station urbaner Kulturen, die die Verantwortung für sie trägt und sie mitgestaltet. Hier findet die zweite Ausstellung statt.
Von der Maxie-Wander-Straße kommend, mit dem ersten Flüchtlingsheim Berlins im Rücken, das seit 2013 über 500 Geflüchtete aus Krisengebieten beherbergt, erstreckt sich die Grün- und Ausstellungsfläche. Billboards fügen sich in die Landschaft ein und machen auf den Ort aufmerksam. Die erste Plakatwand zeigt Dias aus dem Atelier Lucien Kroll. Der Architekt hat Großsiedlungen in einer Zeitspanne von 25 Jahren gedacht und die Bewohner:innen mitgestalten lassen. Er hat nach ihren Wünschen gefragt – viele träumen von einem Giebeldach. Kroll hat diese Wünsche in seine Entwürfe einbezogen, die sterile, leblose Fassade dekonstruiert, ihr Holz hinzugefügt, die Gebäude mit den Bedürfnissen der Bewohner:innen aufgestockt, ihnen ein Dach aufgesetzt. Neben dem Billboard stapeln sich Europaletten als Sitzmöbel und in Hochbeeten wachsen erste zarte Pflanzen. Krolls Vision rückt immer näher an die Hellersdorfer Realität heran. Es zeigt sich, dass die Menschen hier mitgestalten wollen.
Vier Plakatwände, die im Fünfeck angeordnet umgangen werden können, tauchen nach dem nächsten Hügel in der Landschaft auf. Die schwarz-weißen Makro-Fotografien von Sandra Bartoli und Silvan Linden tragen im Großen nach außen, was sie im Kleinen verbergen. Die von den Billboards eingeschlossene Vegetation wird auf ihnen groß. Die kleinste Pflanze wird Kunstobjekt.
Die Hellersdorfer:innen scheinen die Bilder zu mögen. Die Billboards sind der Öffentlichkeit gewidmet, aber ebenso ausgesetzt. Jeder kann sie übermalen, abreißen oder beschmieren. Die Billboards sind so gesehen ein Stimmungsbarometer des Viertels. Man kann ihnen Reaktionen entnehmen und ablesen, was Hellersdorf gefällt. Bisher zeigt sich auf diesem Plakat kein Protest. Die Plakate werden demnächst gewechselt und tragen dann nach außen, wie sich die Pflanzenwelt im Abgesteckten verändert hat.
Auf das letzte Billboard, das nahe der U-Bahnstation Cottbusser Platz steht, wurde stärker reagiert. Neben schwarzen Tags und Union Stickern ist die Wand an einer Stelle nach innen gewölbt und bei genauem Hinsehen werden Fußabdrücke auf dem Plakat sichtbar. Jemand hat – aus Wut? – gegen das Plakat von Eva Hertzsch und Adam Page getreten, sodass sich dem Tritt sogar die massive Stahlkonstuktion gebeugt hat.
Das Plakat zeigt eine utopische Zeichnung des Viertels, gekennzeichnet von rostbraunem, schlammigen Boden auf dem drei Pavillons auf Stelzen aufgestellt sind: ein stellvertretender Pavillon der Stadt, einer der Peripherie, einer des Lands. Die Trampelpfade sind noch da, aber das Grün ist verschwunden. Der Schriftzug unten links liest sich für Hellersdorfer:innen bedrohlich: „3. November 2026“. Der Tritt scheint an dieses Datum gerichtet. Das Grün ist den Hellersdorfer:innen wichtig. Bebauung wollen sie nicht. Adam Page betont im Gespräch, dass sie die Fläche bewusst nicht als Brachland bezeichnen, sondern als Grünfläche. Es soll bloß nicht der Eindruck entstehen, dass dieses Land ungenutzt da liegt.
Doch dies ist kein Bauplan! Die Zeichnungen werden noch dreimal gewechselt und werden in der Datierung zurückgehen. Die Zeichnung jetzt formuliert die Idee einer Vertretung von Stadt, Land und Peripherie, die sich jeweiligen Anliegen gleichermaßen widmet und gleichzeitig zeigt sie auf, was mit der Fläche passieren könnte, wenn bei einer Bebauung das vergessen werden würde, was den Menschen hier wichtig ist. Die noch folgenden Zeichnungen von Hertzsch und Page werden an die Vergangenheit der Fläche erinnern.
Die nGbK hat Bewegung gebracht. Zwei junge, geflüchtete Männer aus Afghanistan und Pakistan, beides britisch kolonisierte Länder, sind mit ihrem Wunsch, Cricket zu spielen, zur Station gekommen und haben mit Adam Page genau den richtigen Ansprechpartner gefunden. Für den gebürtigen Briten bedeutet Cricket Kindheit. Jetzt gibt es ein Cricket-Team, das in der Regionalliga spielt – und auf dem „Place International“. Die Spiele sind ein Event für viele aus dem Viertel. Und weil der sportliche Spaß so ansteckend ist, hat sich auch ein Frauenteam formiert. Es gibt Initiative, die sich der Lebens- und Liebenswürdigkeit dieses Stadtteils angenommen hat.
Die künstlerische Präsenz der Station hilft. Ihr Stattfinden zeigt auf, wo Stadt überall zu finden ist. Der Stadtteil ist ein Teil der Stadt. Steigt doch mal in die U5, Berliner:innen!
WANN: Die Bilder von Arne Schmitt sind noch bis zum 14. August zu sehen, “KREISE ZIEHEN” noch bis zum 2. Oktober.
WO: station urbaner kulturen, Auerbacher Ring 41, 12619 Berlin (Eingang Kastanienboulevard, neben Lebenshilfe e.V.) und auf der Grünfläche am U-Bhf Cottbusser Platz (U5), Maxie-Wander-Straße/Ecke Carola-Neher-Straße, 12619 Berlin.