Demokratie ist Geschichte
museo de la democracia in der nGbK

19. Mai 2021 • Text von

Sind Dinge überholt und vergangen, sobald sie im Museum ausgestellt werden? Manche sagen – ja! Diese These nimmt sich der Vorstand des „museo de la democracia“ zu Herzen und macht in der nGbK eine Ausstellung zu Ehren der Demokratie.

Estado de rebeldía II [proyecto YEGUADA LATINOAMERICANA, Santiago de Chile), 2020, Cheril Linett (c) Benjamin Renter

Als 2010 in Chile das „Museo de la memoria y los derechos humanos“ (Museum des Gedenkens und der Menschenrechte) gegründet wurde, um einen Ort des Gedenkens für die Opfer der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet zu haben, kam die Frage auf: Sind Menschenrechte nun passé, weil sie im Museum ausgestellt werden? Seit 2019 protestieren tausende Chilen*innen gegen die derzeitige Regierung, dessen Präsident Sebastián Piñera herbe Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Ausgelöst worden waren die Proteste durch eine Fahrpreiserhöhung der Metro de Santiago, aber schnell wurden auch andere Teile des ungleichen Wirtschaftssystems kritisiert. Während der Proteste kamen mehrere Menschen ums Leben und es wurden Fälle von Folter und sexueller Belästigung bekannt.

Links vorn: Edicto Cambio de Nombre, 2019, Marylin Boror Bor Rechts: Racial democracy, melting pot, purity of races, 2019, Jaime Lauriano. Links hinten: Kiosco, 2021, Valeria Fahrenkrog & Mitkunstzentrale u.A. (c) Benjamin Renter

Das Thema Demokratie ist in vielen südamerikanischen Ländern ein fortwährender Diskurs. Nicht nur Menschen in Chile protestierten im Laufe der vergangenen Jahre gegen ihre Regierung, sondern ebenso Ecuadorianer*innen, Menschen in Bolivien und in Argentinien. Jüngst auch in Kolumbien. In den sozialistisch orientierten Ländern Kuba und Venezuela gibt es geteilte Meinungen zur Öffnung des Systems für die Demokratie und dem damit einhergehenden Kapitalismus, der auch den Einfluss der USA mit sich bringen würde.

Centinela, 2020, Galería CIMA (c) Benjamin Renter

Soweit runter gebrochen und im Gröbsten zusammengefasst. Genauer beschäftigt sich aber die Ausstellung „museo de la democracia“ in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst mit dem Thema politischer Co-Abhängigkeit der Länder Lateinamerikas in Bezug auf unterschiedliche politische Diskurse und Narrative. Der Zeitraum der Betrachtung beginnt  in der prähispanischen Vergangenheit, zieht sich über die Befreiungskämpfe lateinamerikanischer Unabhängigkeitskämpfer*innen und  Denker*innen und endet im Erfolgsmoment sogenannter „Kontrollgesellschaften“. Der Begriff wurde von dem französischen Philosophen Gilles Deleuze geprägt und beschreibt Systeme, in denen die Individuen in ständiger Bewegung und Flexibilität gehalten werden. Durch die permanente Notwendigkeit zur Veränderung wird systemimmanente Macht ausgeübt, die auf Effizienz basiert und die Menschen so kontrolliert. Ziel der Ausstellung ist die Untersuchung vom Prozess der Erosion des Begriffs „Demokratie“ und seiner Institutionen. Ein Gedenken an eventuell Überholtes.

Portal del Departamento de Oportunismo y Oportunidades, 2021, Valeria Fahrenkrog (c) Benjamin Renter

Vielleicht ist die Definition von Demokratie inzwischen zu einem Traum geworden, zu einem Synonym für Freiheit, Gleichheit, fürsorgliches Miteinander. Vielleicht ist das, was mit Demokratie verbunden wird, gar nicht mit Demokratie zu erreichen. Mich wundert sowieso, dass so viele Länder der Welt nach Demokratie streben, obwohl sie doch so eine unterschiedliche Geschichte und Kultur haben. Wie soll ein und dasselbe Staatssystem für so viele Länder gleichermaßen funktionieren?

Son del pueblo, 2020, Maria Thereza Alves (c) Benjamin Renter

Die Gruppenausstellung ist aus 23 Kunstwerken konzipiert und in drei Abschnitte unterteilt: Plaza del Kiosco (Platz des Kiosks), Departamento de Oportunismos y Oportunidades (Abteilung für Opportunismus und günstige Gelegenheiten) und das Oficina de Sueños (Büro der Träume). Es sollen Orte für den Tausch von Dingen, Möglichkeiten und neue Ideen sein. Hier kann man nachdenken, Demokratie reflektieren, betrachten was der Kampf für und gegen das beliebte Staatssystem in Südamerika bedeutet hat, wie es missglückt ist, oder funktioniert hat. Vielleicht kann man dadurch auch loslassen, versuchen, die Dinge mit ein wenig Abstand zu betrachten, und politische Weiterentwicklung anstreben. Und dann endlich auch mal etwas Neues ausprobieren.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 13. Juni
WO: nGbK – Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Oranienstraße 25, 10999 Berlin

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