In gezeichneten Lebensräumen
Serena Ferrario in der Hamburger Kunsthalle

23. Oktober 2021 • Text von

Es ist angerichtet! Serena Ferrario kredenzt in ihrer raumgreifenden Installation „Where the Drawings Live“ lebendige Erinnerungen mit einem Beigeschmack der Nostalgie unauffindbarer Geschichten. Was sich angesammelt hat, meinen wir zu kennen, doch wer oder was lebt hier wirklich? (Text: Michelle Heyer)

Installation von Serena Ferrario mit Schwarz-Weiß-Zeichnungen auf Schachbrettmuster und einem Kronleuchter an der Decke.
Serena Ferrario, Where the Drawings Live, 2021, Mixed Media: aufgestellte gezeichnete Figuren auf Pappe o. Papier, schwarz gesprayte Pasta u.a., Video: Where the Drawings Live Part I, S/W (2021), 7:13 min, Hamburger Kunsthalle, 2021 © Serena Ferrario, Foto: Christoph Irrgang, Hamburg.

Eine etwas andere Dinner Party veranstaltet die mit dem siebten Horst-Janssen-Grafikpreis der Claus Hüppe-Stiftung ausgezeichnete Künstlerin Serena Ferrario aktuell in der Hamburger Kunsthalle. Die Auszeichnung der Stiftung des Sammlers Claus Hüppe wird alle drei Jahre jungen künstlerischen Positionen verliehen, deren Schwerpunkt auf grafischer Arbeit liegt. In diesem Jahr hat die gebürtige Italienerin Ferrario die Jury einstimmig überzeugt. Einen Einblick in ihr Schaffen erhält man zurzeit im Harzen-Kabinett der Kunsthalle.

Um eine Dinner Szenerie handelt es sich bei der Installation „Where the Drawings Live“ , die im Zentrum der gleichnamigen Ausstellung steht, jedoch nur auf den ersten Blick. Eine lange, mittig im Raum platzierte Tafel bildet die Bühne für ein Inventar aus Erinnerungen und Anknüpfungspunkten, „leftovers“. Umspielt von Wandzeichnungen versammelt die Künstlerin hier einen zeichnerisch festgehaltenen Kosmos aus Charakteren, welche den Ausstellungsraum neben Filmen und (Kitsch-)Objekten zum Leben erwecken, ihn gar zu einem lebendigen Raumgefüge werden lassen. In der Akkumulation verschwimmen die Grenzen zwischen individueller und kollektiver Erfahrung. Ein Gefühl der Vertrautheit von längst vergessenen – oder verdrängten – Familienfeiern kommen auf, aber ebenso die Unbehaglichkeit der damit verbundenen Momente, wie beispielsweise politische Diskussionen mit uneinsichtigen Großvätern, denen Ferrario in Form einer Oscar-Trophäe mit der Aufschrift „tired man“ einen Platz im kurios anmutenden Geschehen zugesteht.

Installation von Serena Ferrario.
Serena Ferrario, Where the Drawings Live, 2021, Mixed Media: aufgestellte gezeichnete Figuren auf Pappe o. Papier, schwarz gesprayte Pasta u.a., Hamburger Kunsthalle, 2021 © Serena Ferrario, Foto: Christoph Irrgang, Hamburg.

„Everybody I know can be found here“ postuliert eine der collagierten Wandzeichnungen und tatsächlich sind die grafischen Landschaften der Künstlerin ein Treffpunkt für ganz unterschiedliche Menschengeschichten. Die Bearbeitung der einzelnen Schichten setzt ein aufmerksames Publikum voraus. Zwischen hypnotischer, spielerischer Faszination und Konzentration begegnet man nach dem Auseinandernehmen der Eindrücke Zeichnungen in ihrem natürlichen Lebensraum, dessen artifizielle Beschaffenheit sich in einer abstrahierenden Schwarz-weiß-Ästhetik widerspiegelt. Es ist ein Raum, der sich mit den sich in ihm befindlichen Charakteren konstant fortentwickelt.

Serena Ferrario (*1986): Open House, 2018. Karl Schmidt-Rottluff-Finalist*innen Installationsansicht, Alte Münze, Berlin 2018 © Serena Ferrario Foto: Stefan Lucks.

Serena Ferrarios fluide Erzählweise ergibt sich auch aus ihrer eigenen Biografie – die Künstlerin lebt und arbeitet in Deutschland, Italien und Rumänien. Das skizzenhafte an ihrem Arbeitsprozess legt Ferrario in der ebenfalls ausgestellten Videoarbeit „Artist Disorder“ von 2015 offen. Das „Behind the Scenes“ zeigt, zwischen Gewinn und Verlust oszillierend, einmal mehr ihr Interesse am Provisorischen als einzige Konstante des Lebens und schlägt die Brücke zu der 2018 entstandenen Videoinstallation „We did this for thousand years, Part III“ im hinteren Raumteil. Von einem Holzsteg aus blicken einem dort Gesichter aus dem Video und als Pappfiguren sowie weitere Formen und Objekte entgegen. „Gestrandetes Zeugs“, das die Künstlerin in ihrem Dasein als Reisende inspirierte und mitnahm. Einiges erkennt man wieder, anderes möchte man enträtseln, wozu Serena Ferrarios künstlerisches Labor mit ihren gezeichneten Lebensräumen den Rahmen bietet.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 24. Oktober 2021.
WO: Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg.

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