Kompromisslose Grenzgängerin
Pippa Garner im Kunstverein München

3. Oktober 2022 • Text von

Pippa Garner untergräbt in ihrer künstlerischen Praxis subversiv die Ordnungssysteme des Konsums, der Verschwendung und der sexuellen Identität. Unter dem Titel “Act Like You Know Me” zeigt der Kunstverein München nun die erste umfassende Einzelausstellung der queeren Künstlerin in Europa.

Pippa Garner: Un(tit)led (Women Should Be Free) (No Charge), date unknown, Courtesy the artist and STARS Gallery.

Kompromisslos, persönlich und hintergründig. In ihrer vier Jahrzehnte währenden Karriere hat Pippa Garner ein umfangreiches Werk geschaffen das Zeichnungen, Performances, Skulpturen, Videos, Fotografien und Installationen umfasst. In ihrer Praxis vermischt sie politisches und persönliches, sie agiert als Außenseiterin und Grenzgängerin, die sich in den Sphären der konzeptuellen bildenden Kunst, der Illustration und der Fotografie gleichermaßen bewegt. Garners teilweise groteske Interventionen und Erfindungen sind subtile Kommentare auf die Kultur der goldenen Konsum-Ära Amerikas, eine Zeit in der sich Design und Wirtschaft rasend schnell veränderten und auf die auch die Pop-Art eine Reaktion war.

Pippa Garner: Un(tit)led (Hand in Plastic Bag), date unknown; Un(tit)led (Gear on Blue), 1986; Courtesy the artist and STARS Gallery.

Großformatige Fotografien dominieren die hellen Räumlichkeiten des Kunstvereins, mal zarte alltägliche Beobachtungen, mal Dokumentationen von Skulpturen oder Aktionen. Die meisten von Garners Kunstobjekten wurden wiederverwendet, recycelt, verschenkt oder gingen schlicht verloren, sodass diese Fotografien die zentralen Elemente ihres Werks bilden. Neben diesen Bildern werden, in eine zurückhaltende Ausstellungsarchitektur eingebettet, auch Druckwerke, Magazine und andere Artefakte präsentiert. “Act Like You Know Me” bietet einen fragmentarischen Überblick über Garners umfangreiche, multimediale Kunstpraxis, in der die Fotografien sowohl den Status eigener Werke als auch der Dokumentationen ihrer Praxis haben.

Pippa Garner: Un(tit)led (Seaweed and Sunshine), date unknown; Un(tit)led (Gold Engine), date unknown; Courtesy the artist and STARS Gallery.

Garners Grenzüberschreitungen erstrecken sich auch auf ihren eigenen Körper, den sie als ein Vehikel betrachtet und nutzt. Garner wurde 1942 in der Nähe von Chicago geboren. Die Künstlerin und Autorin, die früher unter dem Namen Philip Garner lebte, zog 1961 nach Los Angeles. Dort besuchte sie Kurse für Automobildesign am Art Center College of Design in Pasadena, aber nach einem Einsatz in Vietnam als Combat Artist veränderte sich ihre Arbeit, ihr Blick wurde schärfer. Eine gewisse Berühmtheit erlangte sie durch die Veröffentlichung ihrer Bücher über verrückte Erfindungen, Philip Garner’s Better Living Catalog aus dem Jahr 1982 und Utopia – or Bust.

Ihr lakonischer Humor und ihre skurrilen Entwürfe, darunter Halbarmanzüge für Männer und Regenschirme aus Palmwedeln, fanden durch Auftritte in Talkshows wie The Tonight Show, Today und The Merv Griffin Show ein breites Publikum. Zu ihrem erweiterten Umfeld gehörten in den 1970er und 1980er Jahren Künstler wie Ed Ruscha, Chris Burden sowie das Kunst- und Designkollektiv Ant Farm. Garner begann in den 1980er Jahren mit dem, was sie als ‚Gender-Hacking‘ bezeichnet. Es folgte ein jahrelanger Prozess der Feminisierung, der eine Hormontherapie und schließlich eine geschlechtsangleichende Operation umfasste.

Pippa Garner: Un(tit)led (Room Corner), circa 1986-88; Backwards Car (Golden Gate Bridge 1), 1974; Un(tit)led (Lights, Oil and Water), 1980. Courtesy the artist, Jeff Cohen and STARS Gallery.

Als sie diesen Prozess begann, gab es im allgemeinen Sprachbrauch noch kein Vokabular für diesen Übergang, das Konzept einer Identität, die als nicht-binär gelesen werden konnte existierte noch nicht. Garner hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur die Kunst, sondern auch das Konzept ‘Geschlecht’ auszudehnen, zu erweitern und als etwas Formbares zu verstehen. Garner agiert dabei immer als kritische Außenseiterin, die nicht in gesellschaftliche Kategorien oder die Mechanismen des Kunstmarktes zu passen scheint. Umso besser, dass der Kunstverein ihr nun in Europa zum ersten Mal eine institutionelle Bühne bietet.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 13. November 2022 zu sehen.
WO: Kunstverein München e.V., Galeriestr. 4 (Am Hofgarten), 80539 München.

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