Über Liebe und Macht Yalda Afsah im Kunstverein München
20. Januar 2022 • Text von Lisa Stoiber
Der Kunstverein München zeigt das filmische Werk der Künstlerin und Dokumentarfilmerin Yalda Afsah erstmalig in einer institutionellen Einzelausstellung. „Every word was once an animal“ reflektiert über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier.
Nahaufnahmen von braunem Pferdefell, darauf liegt sanft eine Hand, die sich symbiotisch zur Atmung des Pferdes bewegt. Die Kamera gleitet weiter über den Hals des Tieres bis hin zu seinem Kopf, den es über die Schultern eines Mannes gelegt hat. Die filmische Arbeit „CENTAUR“ (2020) setzt sich mit der Dressur von Pferden auseinander. Sie bildet den Auftakt der Ausstellung „Every word was once an animal“ von Yalda Afsah (*1983) im Kunstverein München.
Die hier versammelten Werke sind in den vergangenen fünf Jahren entstanden und befassen sich mit der ambivalenten Beziehung zwischen Mensch und Tier. In Afsahs Filmen ist das ein Verhältnis zwischen Fürsorge und Unterwerfung. Anhand von drei Arten der Domestizierung führt uns die Künstlerin dieses widersprüchliche Verhältnis eindrücklich vor Augen: in der Pferdedressur, in der Taubenzucht und im Stierkampf.
Auf die eingangs beschriebenen Szenen folgt ein Kulissenwechsel. Pferd und Dresseur sind jetzt beim Training in einer Reithalle zu sehen. Über die Lautsprecher hinter uns hören wir Wiehern, das Galoppieren von Hufen und das Klimpern der Zügel. Das Gefühl von Vertrautheit und Intimität, das zuvor in den Nahaufnahmen vermittelt wurde, ist jetzt im Training verschwunden. Die Bewegungen zwischen Reiter und Pferd wirken wie eine Choreografie aus Zurückdrängen und Gewähren. Die Szenen rufen Erinnerungen an die olympischen Spiele in Tokio im letzten Sommer wach, als eine deutsche Athletin im Modernen Fünfkampf versucht hat, ihr zugelostes Pferd mit Gerte und Sporen in den Griff zu bekommen. Der Vorfall hatte starke Debatten über das Tierwohl im Reitsport ausgelöst.
Die weiten Hallen des Kunstvereins sind völlig abgedunkelt. Sie werden ausschließlich von den Video-Screens bespielt, die an raumgreifenden Gerüsten befestigt sind. Bild und Ton üben einen Sog aus, der uns von allen Seiten erfasst, innerlich bewegt und mitfühlen lässt. Prägnant und eindringlich stellt Afsah akute Fragen über unseren Umgang mit Tieren, ohne dabei einfache und plakative Antworten zu liefern. Das gelingt der Filmemacherin besonders in der Arbeit „SSRC“ (2022), die im Hauptraum gezeigt wird.
Der Film beschäftigt sich mit der Züchtung und Domestizierung von Tauben. Im Mittelpunkt steht der „Roller Pigeons Club“, eine soziale Community in Compton bei Los Angeles. Das Leben in dieser US-amerikanischen Vorstadt ist geprägt von Polizeigewalt und Gangkriminalität. Der „Roller Pigeons Club“ bietet den Männern aus Compton einen gemeinschaftlichen Freiraum, fernab von dieser Lebensrealität.
Die Kamera begleitet die Männer zu lokalen Wettkämpfen, bei denen sie ihre Tauben gegeneinander antreten lassen. Durch eine bestimmte Züchtung und intensives Dressurtraining vollziehen die Tiere beim Fliegen plötzliche Rückwärtsbewegungen, die an das Schlagen von Saltos erinnern. In der nächsten Bildszene führt uns die Kamera zu den Taubenschlägen, wo die Züchter ihre Tiere pflegen und trainieren. Die Bilder fokussieren sich auf die Hände der männlichen Protagonisten, die vorsichtig und sorgsam die zarten Vögel untersuchen und füttern. Im behutsamen Umgang mit den zierlichen Tauben offenbaren sich Verhaltensweisen, die mit traditionellen männlichen Geschlechterrollen brechen.
Die Künstlerin trennt in ihren Arbeiten die Tonspuren vom ursprünglichen Filmmaterial und bearbeitet sie nachträglich. Dieses Spiel mit filmischen Mitteln lässt surreale Bildräume entstehen, in denen Dokumentation und Fiktion aufeinandertreffen. Das wird besonders im finalen Teil der Ausstellung deutlich. Im letzten Raum wird eine Installation aus zwei Videos gezeigt, die im Wechsel abgespielt werden. In beiden setzt sich Afsah mit der Tradition des Stierkampfs auseinander. Die Arbeit „TOURNEUR“ (2018) zeigt eine Gruppe junger Männer, die in einer mit Schaum gefüllten Arena einen Stier vor sich her treiben. Die Kamera folgt nicht den Bewegungen des nervösen Stiers, der von links nach rechts hinaus über die Bildgrenzen läuft. Während er physisch aus dem Geschehen verschwindet, bleibt er dennoch durch sein Schnauben, Stampfen und Laufen über die Lautsprecher im Ausstellungsdisplay präsent.
In „VIDOURLE“ (2019) ist der Stier völlig aus der Handlung verschwunden. Seine Anwesenheit wird allein durch die Bewegungen und das Verhalten der männlichen Protagonisten suggeriert, die vollständig bekleidet in einem graugrünen Fluss stehen und akribisch nach etwas Ausschau halten. Während man die jungen Männer bei ihrer Suche beobachtet, baut sich eine Stimmung aus Erwartung und Bedrohung auf. Nach was die Männer in dem trüben Gewässer suchen, erfahren die Zuschauer*innen jedoch nicht.
Die Ausstellung kreist um das anthropozentrische Weltbild des Menschen und um seinen Umgang mit der Natur als passive Umwelt. Dieser Machtanspruch wird in der Dressur und Domestizierung von Tieren besonders deutlich. Auch wenn die Arbeiten keinen Zweifel an der Dominanz des Menschen lassen, sind die Tiere in Afsahs Filmen keine passiven Nebendarsteller*innen, sondern eigenständige Individuen.
Die Künstlerin begann mit dieser Filmreihe vor fünf Jahren, als das alltägliche Leben noch nicht von einem Virus dominiert wurde, das womöglich von einer Fledermaus auf den Menschen übergesprungen ist. Umso mehr gewinnt die Ausstellung jetzt an Brisanz. Während man mit gebuchten Timeslot und Maske durch die Ausstellungshallen des Kunstvereins geht, wird einem umso stärker bewusst, dass auch der Mensch von Tier und Natur abhängig ist und er sie nicht völlig kontrollieren kann, so sehr er es auch versucht.
WANN: Die Ausstellung „Every word was once an animal“ von Yalda Afsah läuft noch bis Sonntag, den 3. April 2022.
WO: Kunstverein München, Galeriestraße 4, 80539 München.