Von der Linse zur Leinwand
"This Will Not End Well" von Nan Goldin im Stedelijk Museum

18. Oktober 2023 • Text von

Mit der Retrospektive “This Will Not End Well” verwirklicht sich die Künstlerin Nan Goldin institutionell als die Filmemacherin, die sie bereits seit Anbeginn ihrer Karriere ist. Im Stedelijk Museum in Amsterdam werden 6 Slideshows in eigens dafür entwickelten Architekturen gezeigt, die Tausende ihrer Fotografien und Filmsequenzen der letzten 50 Schaffensjahre in einzigartigen Neuzusammenstellungen zeigen.

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Nan Goldin, Still from Sisters, Saints and Sibyls, 2004–2022. © Nan Goldin.

Die große Retrospektive “This Will Not End Well” der Foto- und Filmkünstlerin Nan Goldin ist derzeit auf Europatour. Begonnen hat die Reise der Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm, nun macht sie bis Januar 2024 Halt im Stedelijk Museum in Amsterdam. Bereits im Jahr 1997 zeigte das Amsterdamer Museum mit “I’ll Be Your Mirror” eine Foto-Retrospektive der Künstlerin. 2023 positioniert sich Nan Goldin mit “This Will Not End Well”, ihrer “finalen Retrospektive”, wie die Künstlerin während der Pressekonferenz sagt, nun auch endlich institutionell als Filmemacherin.

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Nan Goldin, Gina at Bruce’s dinner party, NYC, 1991. © Nan Goldin.

Im Untergeschoss des Stedelijk Museums werden 6 Slideshows aus den unterschiedlichen Lebensphasen, Freundes- und Bekanntenkreisen der Künstlerin in räumlich voneinander abgetrennten Architekturen gezeigt. Die Slideshow “The Other Side” ist eine Hommage an die queeren sowie Trans-Personen im Umfeld der Künstlerin, die sie zwischen 1972 und 2010 fotografiert hat. Ihr Hauptwerk “The Ballad of Sexual Dependency” führte 1986 zu ihrem künstlerischen Durchbruch und war zunächst als Diashow mit hinterlegter Musik konzipiert bevor es als Bildband publiziert wurde. Auch das private Tagebuch der Künstlerin, das von Rausch, Gewalt und Drogenkonsum erzählt, wird in einer Neuzusammenstellung gezeigt.

Nikki in a box Nan Goldin Stedelijk Museum gallerytalk
Nan Goldin, Nikki in a box, n.d. © Nan Goldin.

“Sisters, Saints and Sibyls” legt das Trauma von Familie und die Geschichte des Selbstmords ihrer Schwester Barbara offen. Von einer Empore blicken die Betrachter*innen hier auf die kommentierte Bildabfolge. Die Slideshow “Fire Leap” widmet Nan Goldin unter dem Leitsatz “Never a mother, always a Godmother.” (“Nie eine Mutter, immer eine Patin.”) den Kindern aus ihrem persönlichen Umfeld, die sie beim Aufwachsen begleitet hat. “Sirens” berichtet über Drogenekstasen und in “Memory Lost” nimmt die Künstlerin die Zuschauer*innen auf eine unbequeme Reise durch den Drogenentzug mit, die sie selbst und viele ihrer engsten Vertrauten durchstehen mussten, häufig ohne das erhoffte Happy End.

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Nan Goldin, Gina at Bruce’s dinner party, NYC, 1991. © Nan Goldin.

Jede Slideshow befindet sich in einer individuellen Architektur, die eigens für das jeweilige Werk von Hala Wardé gestaltet wurde. Jeden Raum im Raum betritt man durch einen dunklen Gang, ein kleines Labyrinth, das hinter einem dicken Vorhang schließlich den Blick freigibt auf die thematischen Bildabfolgen, die mit Musik, Sprache und Geräuschen unterlegt wurden. Seit Beginn ihrer Karriere hat Nan Goldin ihre Fotos immer wieder zu Slideshows zusammengefasst, neu sortiert und ergänzt. Das Medium der Slideshow ermöglicht ihr mehr künstlerische Freiheit, die Grenzen des statischen Fotos können um weitere Erfahrungsebenen erweitert werden. Die Zusammenstellungen im Stedelijk Museum sind die jüngsten Versionen und somit in ihrer Wiedergabe einzigartig für das Publikum.

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Nan Goldin, French Chris on the convertible, New York City, 1979. © Nan Goldin.

Die Besucher*innen sollen so nah wie möglich an die persönlichen Geschichten herantreten und eintauchen können in die unterschiedlichen Welten, die Nan Goldin hier der Öffentlichkeit präsentiert – die Ausstellungsarchitektur ermöglicht diese Form der Intimität, sie schafft den Raum, den Protagonist*innen nah zu sein, gewissermaßen durch das Schlüsselloch schauen zu können und der Bildsprache von Nan Goldin, die eben genau dieses Gefühl vermittelt, zu folgen. Der Künstlerin ist es wichtig, dass dieser intime Moment zwischen Publikum und Protagonist*innen der Slideshows nicht durch äußere Einflüsse gestört wird, sondern im Hier und Jetzt bleibt – aus diesem Grund werden die Museumsbesucher*innen schon zu Beginn der Ausstellung mit persönlichen Worten der Künstlerin darum gebeten, von eigenen Foto- und Videoaufnahmen in den Architekturen abzusehen und nichts in den sozialen Medien zu veröffentlichen.

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Nan Goldin, C performing as Madonna, Bangkok, 1992. © Nan Goldin.

Nan Goldin hat seit Beginn ihrer Karriere ihr persönliches Umfeld im Einverständnis fotografisch begleitet – beim Konsum, beim Sex, beim Weinen. Die Intimität, die ihre Bilder und Slideshows transportieren, ergibt sich ausschließlich durch die engen Beziehungen, die sie zu den abgebildeten Personen im echten Leben geführt hat. Die separierten Räume vermitteln eine Vorstellung davon, wie sich die Nähe zwischen der Künstlerin und ihren Freund*innen angefühlt haben könnte, ein Einfühlen in die Entstehungszeiträume wird für das Publikum möglich. Der Schmerz, der mit den vielen Geschichten und Verlusten einhergeht, wird durch das Medium unter dem Einsatz von eingesprochenen Kommentaren, Telefongesprächen, Musik oder Knackgeräuschen des Plattenspielers, die das Ganze untermalen, noch deutlicher zum Ausdruck gebracht. Stärker, als es ein einzelnes Foto jemals transportieren könnte.

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Nan Goldin, Teri with her dog in a taxi, New York, 1987. © Nan Goldin.

Je nach gegenwärtigem Zustand der Künstlerin, können die Bilder und Geschichten neu zusammengesetzt und auch für jüngere Generationen in neue Erzählformen gebracht werden. “This Will Not End Well” ist die große Selbstverwirklichung von Nan Goldin als Filmemacherin – eine Ausstellung, die die Brücke schlägt von den Anfängen ihrer künstlerischen Karriere zum Heute. Der Ausstellungstitel ist dabei zweideutig und mit leichtem Beigeschmack zu verstehen, berichtet die Künstlerin: zum einen ist er mit Blick auf all die Erfahrungen der Künstlerin und ihrem Umfeld ironisch zu verstehen, mit einem Augenzwinkern, zum anderen ist er eine alarmierende Warnung, dass das, was uns auf diesem Planeten noch bevorstehen wird, vermutlich kein leichtes Ende nehmen wird…

WANN: Die Ausstellung “This Will Not End Well” läuft bis zum 28. Januar 2024. In leicht angepasster Form wird die Ausstellung im Oktober 2024 weiterwandern in die Neue Nationalgalerie nach Berlin.
WO: Stedelijk Museum, Museumplein 10, 1071 DJ Amsterdam.

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