Unmissverständlich direkt Motoko Ishibashi im Offspace Schwabinggrad
13. Januar 2022 • Text von Lisa Stoiber
Motoko Ishibashi begibt sich in visuelle Tabuzonen. Für ihre Einzelausstellung „Beginning of the end“ im Offspace Schwabinggrad transformierte die japanische Künstlerin den Ausstellungsraum in einen vermeintlich privaten Bereich, der sich gleichzeitig vollkommen vor der Außenwelt entblößt.
Akrobatische Körperverrenkungen, gespreizte Beine und Hintern in Spitzenunterwäsche, die sich bis an den Bildrand der Leinwände drücken. Die Farbgebung grell, manchmal düster, dazwischen Neonfarben. Die Perspektive frontal, die Blickachse kompromisslos, steil von unten nach oben. Die Wände in Tiefschwarz getaucht. Am Boden liegt ein provisorisch mit Holzlatten zusammengebautes Bett, gefüllt mit einem arrangierten Durcheinander aus verschiedenen Gegenständen. Bereits beim Betreten des Ausstellungsraumes weiß man: im Münchner Offspace Schwabinggrad wird Klartext gesprochen.
Ishibashi wurde im japanischen Nagasaki geboren und studierte Malerei an der Slade School of Fine Art und am Royal College of Art in London. Zuletzt präsentierte sie ihr Werk in der Quench Gallery und bei V.O Curations. In ihrer Malerei spielt sie mit der Sprache der Massenkonsumkultur im digitalen Zeitalter. Sie ahmt die Bildästhetik von Social-Media-Kanälen, Blogs, Werbeanzeigen und Online-Verkaufsportalen nach und imitiert, wie wir uns in der viralen Welt bewegen und welche Verhaltensweisen wir dabei entwickeln.
Die im Schwabinggrad präsentierten Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Sinnlichkeit und Obszönität, Ästhetik und Entgleisung, Privatheit und Öffentlichkeit. Und sie basieren auf einem ganz speziellen Fetisch. Ishibashi eignete sich Anzeigen aus gängigen Online-Plattformen an, in denen anonyme User*innen ihre schmutzige Wäsche, wie Dessous oder Socken, zum Verkauf anbieten. Zusätzlich zu den Fotografien, auf denen sie die getragene Ware präsentieren, geben die Verkäufer*innen in den Inseraten an, wie lange sie die Kleidungsstücke getragen haben.
Als hätte sie mit beiden Fingern ganz nah herangezoomt, führt uns die Künstlerin die Sehgewohnheiten und das Konsumverhalten im Cyberspace direkt vor Augen. Schritt und Hintern rücken kompromisslos ins Zentrum der Leinwand, während andere Körperpartien in der vertikalen Komposition nach oben hin ins Schemenhafte verschwimmen. In manchen Arbeiten wird die Acrylmalerei mit Perlen und Kunsthaar kombiniert, hinzu kommen grelle japanischen Schriftzeichen. In der künstlerischen Aneignung verbindet sie die Ästhetik dieser Anzeigen mit einer intensiven Farbgebung und schwindelerregenden Kompositionen und formt daraus ihre eigene malerischen Sprache.
In ihrer Direktheit lassen uns Ishibashis Arbeiten über den Körper als Kapital und seine Verflachung und Trivialisierung im Netz nachdenken. Dies geschieht besonders eindrücklich durch Bildtitel wie „Used quite a bit“ oder in der Leinwandarbeit „Mature“, in der direkt neben einem Hintern in Spitzenunterwäsche ein Barcode zu erkennen ist. Es ist ein ambivalentes Gefühl zwischen Neugier und Unbehagen, das beim Blick auf die obszönen Verrenkungen entsteht. Man fühlt sich wie ein Eindringling und beginnt, sich nach den Grenzen zwischen Schaulust und Voyeurismus zu fragen. Auf provokative Weise präsentieren sich die lasziven Figuren durch das große Schaufenster auch ahnungslosen Passant*innen der Theresienstraße. Entgegen dieser nach außen dringenden Freizügigkeit hat die Künstlerin im Ausstellungsinneren einen privaten, in sich geschlossenen Raum geschaffen, in dem sich die digitale und die physische Welt überschneiden.
WANN: Die Ausstellung „Beginning of the end“ läuft noch bis Samstag, den 22. Januar 2022.
WO: Schwabinggrad, Theresienstraße 154, 80333 München.