Gestatten, dein Instagram-Ich Künstler Aapo Nikkanen im Design Museum Helsinki
12. November 2021 • Text von Anna Meinecke
Was denkt Instagram von dir? Oder besser: Wie glaubt Instagram, dir was verkaufen zu können? Der Künstler Aapo Nikkanen hat die Funktionslogik der Plattform genauer unter die Lupe genommen und mit „My Instagram Persona“ ein vertrautes, doch unheimliches Selbstporträt geschaffen. Wir sprechen über Werbeinteressen, „guilty pleasures“ und überproportionale Aufmerksamkeit für Pizza Hut.
gallerytalk.net: Wie kam es dazu, dass du dich näher mit deiner Instagram-Persona befasst hast?
Aapo Nikkanen: Für meine Arbeit „My Facebook Chat History” von 2017 habe ich alle meine Facebook-Messenger-Chats runtergeladen und auf 32 Duschvorhänge gedruckt. Darüber bin ich mit dem Design Museum Helsinki und den Kuratorinnen der „Intimacy“-Ausstellung ins Gespräch gekommen. Deren Forschungsgruppe IDA befasst sich mit den Auswirkungen einer datengetriebenen Kultur auf soziale Rollen und Beziehungen. Sie haben eine neue Arbeit in Auftrag geben. Bei der habe mich auf Instagram konzentriert, weil die Plattform mittlerweile relevanter ist. Ich habe alle verfügbaren Daten zu meinem Profil runtergeladen, insgesamt 2,5 Gigabyte – darunter waren die sogenannten Werbeinteressen.
Was hat dich daran besonders interessiert?
Es ist faszinierend, zu sehen, wie Instagrams Künstliche Intelligenz (KI) basierend auf den eigenen Aktivitäten innerhalb der App ein ziemlich gutes Verbraucherprofil erstellt. Ich konnte in den aufgelisteten Schlagwörtern auf jeden Fall den kleinen Konsumenten in mir wiederfinden. Um einzelne Interessen herum lassen sich Themenfelder ausmachen. Mir scheint, der Algorithmus testet basierend auf meinen Content-Interaktionen konstant verschiedene inhaltliche Optionen. Eine unheimliche Erfahrung!
Inwiefern?
Überwiegend lässt sich nicht abstreiten, dass die Schlagwörter aus den Werbeinteressen etwas mit mir zu tun haben. Einige könnte man vermutlich „guilty pleasures“ nennen; sie abgebildet zu sehen, fühlt sich übergriffig an. Andere wiederum waren völlig offensichtlich. Das war insofern beruhigend, als es bestätigt hat, dass KI eben nicht wirklich unsere Gedanken lesen kann.
Verrätst du mir deine höchstgerankten Werbeinteressen?
Klar. Meine Top 1 ist zweifelsohne “Liebe”. Ansonsten habe ich hier eine Auswahl poetisch geordnet:
Licht
Kindererziehung
KAWS (Künstler)
Country Rap
Nachhaltigkeit
Multinationale Unternehmen
Immobilienfonds
Liebesromane
Hypebeast
Schuhe
Oysho
Was hat dich an diesem Verbraucherprofil am meisten überrascht?
Mir diese Daten anzuschauen und zu kategorisieren, hat mir dabei geholfen, zu verstehen, worauf der Instagram-Algorithmus angelegt ist. Das sind Mechanismen von Konditionierung und Kontrolle. Es war beunruhigend, mich mit den Augen eines nicht menschlichen, neo-kapitalistischen Bots zu betrachten, für den alles zu Geld gemacht werden kann – Liebe, kreatives Schreiben oder kulturelles Erbe. Es fühlt sich so kalt an, wenn Dinge, die einem etwas bedeuten, auf eine Liste an Schlagwörtern reduziert werden, um etwas zu verkaufen. Man versteht: Wir sind alle Konstument*innen, die sich irgendwie ködern lassen.
Du hast diese Verbraucher-Persona physisch greifbar gemacht. Wie fühlt es sich nun an, davor zu stehen?
Es ist, als würde ich ein Selbstporträt durch ein verzerrtes Objektiv betrachten. Obwohl oder vielleicht gerade weil ich versucht habe, ehrlich zu sein, wirkt die Skulptur etwas unheimlich auf mich.
Kann man einzelne Schlagwörter wiedererkennen?
Die Skulptur ist im Ganzen eine Referenz. In der linken Hand der Figur kann man zum Beispiel einen Keramik-Salzstreuer mit einem kleinen Gedicht darauf erkennen: „Bars, Gucci, Parenting“ (Bars, Gucci, Kindererziehung). Mir scheint, all diese Dinge sind prägend für und werden erwartet von Menschen über 30, die in einer Großstadt im Kultursektor arbeiten.
Welche deiner Interessen sind Instagram entgangen?
Ich war überrascht, dass nichts zu Surfen oder Musik-Equipment bei den Werbeinteressen auftaucht. Da verpasst Instagram eine gute Verkaufsgelegenheit.
Instagrams Algorithmen erfassen also nur Teilaspekte echter Persönlichkeit. Woran liegt das?
Den Algorithmen liegt eine kapitalistische Funktionslogik zugrunde. Am Ende des Tages ist KI dafür da, Geld zu machen. Es geht um Geschäftslogik und Statistiken. Weil es so viele Schlagwörter und unendlich viele Kombinationen davon gibt, gelingt es KI zwar, eine ziemlich gute Nutzer*innen-Persona zu kreieren. Die bleibt aber hohl und ungeschliffen.
Wie zeigt sich das?
Es wird viel mehr Geld ausgegeben, um Fast Food zu bewerben als Lyrik. Demnach fällt ein marginales Interesse für Pizza Hut für den Algorithmus immer schwerer ins Gewicht als ein großes Interesse an Gedichten – und ganz schnell ist die Timeline voll mit mehr Fast-Food-Themen. Wir sehen Werbung von Höchstbietenden und das wird auch so bleiben.
Was aber wird sich ändern?
Für Anbieter wie Facebook steigt der Wert einer Verbraucher-Persona, je vollständiger sie ist. Sie verkaufen ja nicht Werbefläche, sondern Nutzer*innen-Daten. Empathische KI oder das Metaversum kündigen eine noch viel vollständigere Integration der Offline-Erfahrung in die Online-Welt an. Schlimmstenfalls werden entsprechende Kompetenzen dann zentral gebündelt und unsere Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen steigt. Abgesehen davon gefällt mir allerdings die Vorstellung einer extrem cleveren, empathischen KI, die mich analysiert. Es könnte ein großartiges Werkzeug für Selbsterfahrung, vielleicht sogar für Heilung sein.
Die Verbraucher-Persona wird durch Content-Interaktionen geformt. Nach all dem, was du durch deine Arbeit gelernt hast, wirst du künftig mehr darauf achten, was zu likest und teilst, wem du folgst oder welche Inhalte du dir gleich mehrfach ansiehst?
Ich blicke auf jeden Fall mit anderen Augen auf meinen Instagram-Feed. Wenn ich Werbung sehe, kategorisiere ich sie im Kopf. Manchmal klicke ich auch total beliebige Posts an, um den Algorithmus zu verwirren. Aber es ist schwer, aus einer Bubble auszubrechen, wenn sie sich einmal geformt und gefestigt hat. Ich habe neben meinem Account @aapoxaapo noch ein paar andere Instagram-Accounts, bei denen mir andere Feeds angezeigt werden. Unterm Strich scrolle ich einfach immer weniger.
Womit beschäftigst du dich stattdessen?
Mich interessieren andere Formen von Online-Kommunikation. Newsletter zum Beispiel bieten eine ganz andere Dynamik – mehr Raum für kreatives Schreiben, Philosophie und entschleunigtes Aufnehmen von Inhalten. Ich habe auch selbst einen, falls der dich interessiert, schick mir eine E-Mail an aapo@aapoaapo.com.
WANN: Aapo Nikkanens Arbeit „My Instagram Persona“ ist noch bis zum 13. März 2022 im Rahmen der Gruppenausstellung „Intimacy“ zu sehen.
WO: Design Museum, Korkeavuorenkatu 23, 00130 Helsinki.