Losing my virginity
Street Art und die Kunst

29. November 2019 • Text von

Geboren in den 80er Jahren, hat Street Art inzwischen ihre Jungfräulichkeit verloren und etabliert sich langsam am Kunstmarkt: Daher nun ein Resümee aus Gesprächen mit dem Künstler Giorgos Beleveslis und einem Besuch der Ausstellung der Berlin Kidz Paradox und Cpt.Olf in der Urban Spree. 

Ein heißer Berliner Sommer-Sonntag: Mit dem Auto unterwegs Richtung Bernsteinsee. Vorbei an grünen Wiesen, gelbem Raps und Provinzen. Vorbei an Kühen, Bäumen und einem riesigen Windrad mit Schriftzeichen, die sich längs an der Seite nach unten ziehen. Die Malerei der Berlin Kidz überschwemmt inzwischen mehr als nur die Stadt. Der Künstler Paradox, Teil des Kollektivs, hatte kürzlich eine Ausstellung bei Urban Spree. Neben Cpt.Olfs Fotografien von Paradox’s Werken waren auch die kalligraphischen Schriftzeichen zu sehen, die Berlins Straßen schmücken und die sich so stark von den gewöhnlichen Graffiti-Buchstaben unterscheiden. Ihren Ursprung haben sie in dem urbanen Schreibstil São Paulos: „pixação“.

(c) cpt olf x paradox, Urban Spree

Mein erster Kontakt zu Street Art war mein Nachbar Oli Stahl, der kreativste Rebell Haseldorfs. Er bemalte die wenigen urbanen Gegenstände, die unsere Dorfstraße zu bieten hatte. Straßenschilder, Mülleimer, Telefonzellen und natürlich alle Bushaltestellenhäuschen. Während ich dort wartete, hatte ich mehr als eine Diskussion mit anderen Dorfbewohner*innen über die „rangeschmierten Schändlichkeiten“. CDU-Wähler*innen tun sich bekanntlich schwer mit Regelbruch. Vor allem, wenn dieser nicht ihren ästhetischen Ansprüchen entspricht – was auch immer die sein mögen.

(c) Giorgos Beleveslis

Oli Stahl malte vor allem seine Signatur, sogenannte „Tags“. Gerade neulich hatte ich eine Unterhaltung über die Merkwürdigkeit von Autogrammkarten. Ich erklärte meinem Gesprächspartner, ich empfände das Unterschreiben-Lassen von Autogrammkarten als devoten Akt. Dieser jedoch erwiderte, es handele sich vielmehr um eine Form der Ehrerbietung, einen Moment der Gemeinsamkeit eines Fans mit seinem Star, dem Vorbild. Durch die Unterschrift – etwas durchaus Individuelles und Persönliches – gebe der Star dem Fan einen Teil von sich. Oli Stahl verteilte sich überall. Er gab jedem sein Autogramm, ob gewollt oder nicht. Oli Stahl: Star der Straße. Dies könnte nun als egoistischer Akt ausgelegt werden, ein Kinderstreich, Vandalismus an fremdem Eigentum oder aber eben als Bruch mit alteingesessenem Elitarismus.

(c) Giorgos Beleveslis

Mein Weg führte mich von Haseldorf nach Dresden. Dort zog ich ins sogenannte Szeneviertel: die Neustadt. Wohnhaft in einem ansehnlichen Altbau, nahm ich die Malereien an den Außenwänden als pure Selbstverständlichkeit an. Irgendwann erkannten auch clevere Immobilienhaie die Investmentoase Ostdeutschland und plötzlich wurde unser Viertel sauber gemacht. Kaum traute sich jemand, unser Haus zu besprayen, stand der Hausmeister Gewehr bei Fuß und übermalte alles. „Lässt man diese Schmierereien einmal zu, wissen die, dass sie damit durchkommen und machen das immer wieder“. Unser Hausmeister hatte Recht. Die Bemalung nahm ab, alles wurde sauberer. Wenig für die Ordnung geschaffen, zog ich schnell weg.

(c) cpt olf x paradox, Urban Spree

Fast jeder hat einen ganz eigenen Bezug zur Street Art. Manch einer ärgert sich über den Dreck, andere empfinden Freude an lustigen Frechheiten, Nachdenklichkeit über Politisches oder einfach nur Bewunderung von Malerei an den wahnwitzigsten Orten. Nicht jeder hat einen Bezug zu dem, was gemeinhin als zeitgenössische Kunst bezeichnet wird. Street Art jedoch ist inklusiv und überall. Die Frage nach der Einbindung der Allgemeinheit, in das, was innerhalb der Kunstszene-Bubble vor sich geht, stellt sich hier nicht. Wir alle sind ja permanent von Street-Art-Malerei umgeben. Auf dem Weg zu einer Ausstellung hatte ich letztens einen Streit mit einem Taxifahrer. Er behauptete, Kunst sei nicht für jeden gemacht. Ich fragte ihn, ob er Street Art möge. Er bejahte, jedoch sei dies nicht die Kunst, von der er spreche, führte er aus. Diese Meinung teilen merkwürdigerweise viele.

(c) Giorgos Beleveslis

„In Kreuzberg sieht man immer weniger neue Malerei auf der Straße. Die Street Artists wollen nicht, dass ihre Kunst kommerzialisiert wird“, erzählte mir der Künstler Giorgos Beleveslis. „Was lange Zeit gemeinhin als Schmutz abgetan wurde, dient inzwischen der Gewinnmaximierung.“ Eine neue Entwicklung überkommt die Street Art. Spätestens seit Banksy Kult ist, ist Malerei auf der Straße salonfähig geworden. Banksy habe es geschafft, Street Art verständlich zu machen, erklärt mir Beleveslis. Seine Motive seien griffig und deutlich – und somit auch für nicht dezidiert Eingeweihte lesbar.

Street Art gilt heute als urban, hip und cool. Diese Entwicklung führte 2014 dazu, dass der Künstler Blu eines Nachts sein eigenes Graffiti schwärzte. Der kopflose Mensch in goldenen Handschellen an der Hauswand der Curvy-Brache am Kreuzberger Spreeufer, hatte sich über die Jahre zum Kultobjekt entwickelt und ein Investor flirtete mit dem Gedanken, auf dem Areal eine Wohnanlage zu errichten. Aus Angst, aus seinem Graffiti könnte plötzlich Profit geschlagen werden, entschied sich der Künstler letztendlich dazu, das Bild zu übermalen.

Das Disaster ist groß: Inzwischen übermalen nicht mehr die Hausmeister die Graffitis, sondern die Künstler*innen selbst. Scheinbar sind mir die Investoren weiter auf den Fersen. Wenn jetzt schon die Künstler*innen in Berlin ihre Bilder schwärzen, wohin soll ich dann bloß als nächstes ziehen?  

WANN: Hoffentlich immer.
WO: Überall.

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