Hybride Fassaden
Maximiliane Baumgartner im Kunstverein München

7. Juli 2021 • Text von

Unter dem Titel „Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin“ bespielt Maximiliane Baumgartner die Räume des Kunstvereins München mit Bildern, skulpturalen Arbeiten und architektonischen Eingriffen. Die Einzelausstellung verbindet dabei gekonnt verschiedene räumliche, zeitliche und inhaltliche Ebenen.

Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner: Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin im Kunstverein München.
Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner, Raumstudien I – Parlamentarische Angelegenheiten, Anita Augspurg zum Paragraphen §361, Nr. 6 StGB „Mißgriffe der Polizei“, 1902, 2021; Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin III, 2021; False Friends 26.6.-20.8.2021, 2021; in Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin, Kunstverein München, 2021. Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez.

Im Treppensaal des Kunstvereins werden die Besucher*innen zunächst von einer Gruppe von Pflanzen empfangen. Lorbeer- und Efeusträuche sind im Ausstellungsraum platziert und geben der Ausstellung einen floralen Rahmen. Tatsächlich wurden die Gewächse vom Gartenbauamt der Stadt München zur Verfügung gestellt, dieses verleiht unterschiedliche Pflanzen an Münchner Institutionen und stattet auch den öffentlichen Raum aus. Lorbeer und Efeu gelten als anmutige Macht- und Prestigesymbole, sie werden gerne genutzt, um einen bestimmten Ort repräsentativ zu markieren. Die Themen Repräsentation, Macht, Inszenierung und städtische Strukturen spielen auch in der weiteren Ausstellung von Maximiliane Baumgartner im Kunstverein München eine wichtige Rolle.

Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner: Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin im Kunstverein München.
Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner, False Friends 26.6.-20.8.2021, 2021; Auf Fassaden Schauen, Boomer Tales, Kunstverein München 1986/2021, 2021; in Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin, Kunstverein München, 2021. Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez.

Malerei ist für Maximiliane Baumgartner ein erweitertes Handlungsfeld, in ihrer Praxis nutzt sie künstlerische, pädagogische und vermittelnde Ansätze gleichermaßen. Auch die bewusste Reflexion der Stadt als öffentlicher Raum, der durch die Gesellschaft bedingt wird und diese wiederum beeinflusst, speist ihren Ansatz. Dabei setzt sie unterschiedliche Narrative nebeneinander und macht so verdeckte historische Zusammenhänge sichtbar. Bereits das Projekt „Der Fahrende Raum“, das sie co-initiierte und bis 2019 programmierte, war als Ort für Aktionspädagogik konzipiert. Auch hier gab es ein hybrides Selbstverständnis der Protagonist*innen, bei dem sich die Rollen als Künstler*innen, Autor*innen oder Pädagog*innen bewusst überschnitten.

Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner: Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin im Kunstverein München.
Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner, The Lovers, the Studio, a Facade and their Perpetrators – Hof-Atelier Elvira, 2021; Die vierte Wand der dritten Pädagogin V, 2021; Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin II, 2021; in Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin, Kunstverein München, 2021. Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez.

Die Ausstellung „Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin“ ist eine komplexe Schichtung einzelner konzeptueller Ebenen. Ausgehend vom erweiterten Konzept „Fassade“ untersucht Maximiliane Baumgartner die Räume des Kunstvereins auf ihre Architektur, Geschichte und Umgebung und setzt Referenzen zu historischen Begebenheiten und Personen. Ihr Fokus liegt dabei auf den beiden Frauenrechtsaktivistinnen Anita Augspurg und Sophia Goudstikker. Beide waren ab dem Ende des 19. Jahrhunderts in München als Fotografinnen tätig, zudem gelten sie als Vorreiterinnen für die Rechte der Frauen. Augspurg war die erste promovierte Juristin Deutschlands, Goudstikker war Vorsitzende der von ihr gegründeten Rechtsauskunftsstelle für Frauen in München. Ihr Hof-Atelier Elvira in der nahe dem Kunstverein gelegenen Von-der-Tann-Straße war ein Ort, der von Frauen als Protagonist*innen des kulturellen Stadtlebens etabliert wurde.

Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner: Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin im Kunstverein München.
Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner, Die vierte Wand der dritten Pädagogin V, 2021; Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin II, 2021; in Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin, Kunstverein München, 2021. Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez.

Zeitgleich zu der von der nationalsozialistischen Partei organisierten Ausstellung „Entartete Kunst“, die in den erweiterten Räumen des heutigen Kunstvereins stattfand, wurde die imposante Jugendstil-Fassade des Ateliers Elvira von den Nationalsozialisten abgerissen und aus dem Stadtbild gelöscht. In ihrer Ausstellung im Kunstverein nutzt Baumgartner die Geschichte von Anita Augspurg, Sophia Goudstikker und des Hof-Atelier Elvira als Ausgangspunkt für ihre malerischen und installativen Adaptionen. Zarte Malerei auf Alu-Dibond-Tafeln ist im Raum arrangiert, darauf zu sehen sind angedeutete Szenen in Form von Re-Imaginationen. Auch die Architektur der zerstörten Fassade des Ateliers wird in einer großen Installation aufgegriffen und in neuer Form wiederhergestellt. Im Spannungsfeld von kanonisierter Geschichtsschreibung und selektiver Erinnerungspolitik schafft Maximiliane Baumgartner in ihrer Ausstellung einen persönlichen Blick auf ein Stück ausgelöschter feministischer Stadtgeschichte.

Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner: Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin im Kunstverein München.
Installationsansicht: Maximiliane Baumgartner, Raumstudien II – Rechtsschutzstelle für Frauen, München, um 1899, 2021; Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin I, 2021; in Auf Fassaden schauen oder Die vierte Wand der dritten Pädagogin, Kunstverein München, 2021. Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München e.V.; Foto: Constanza Meléndez.

Ergänzend zur Ausstellung hat Maximiliane Baumgartner ein System von Fußnoten, Bildlegenden, Zitaten und Archivmaterial erarbeitet, das die Quellen und Stimmen ihres artistic research untermauert. Dieses digiale Zettelkastensystem ist unter www.aktionsraeume.org abrufbar. Zudem ist zur Ausstellung ein Katalog mit dem Titel „Ich singe nicht für Bilder schöne Lieder“ erschienen. Die Publikation ist ein Gemeinschaftsprojekt des Neuen Essener Kunstvereins und des Kunstverein München und umfasst neben einem Bildteil Texte von Elke Krasny, Karolin Meunier und Moritz Scheper sowie ein Gespräch zwischen Luca Beeler, Lucie Kolb, Maurin Dietrich, Gloria Hasnay und der Künstlerin.

WANN: Noch zu sehen bis Freitag, den 20. August.
WO: Kunstverein München, Galeriestr. 4 (Am Hofgarten), 80539 München.

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