Das Problem sind wir
„Sun & Sea“ im E-WERK Luckenwalde

19. Juli 2021 • Text von

Die Ursache des Klimawandels sind wir, unser ständiger Konsum und die Selbstdarstellung, die wir damit füttern. Die zur Biennale in Venedig 2019 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Performance-Oper „Sun & Sea“ geht über eine oberflächliche Kritik der globalen Erwärmung hinaus. 

Sun & Sea, Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė, Lina Lapelytė, 2021, E-WERK Luckenwalde. Foto: Katherine Thomson.

Mit grellen Scheinwerfern illuminierte Körper liegen scheinbar banal auf roten, gelben, weißen Strandtüchern. Um sie herum befinden sich von zahlreichen Füßen eingetretener Sand, ausgelatschte Flip-Flops und Birkenstock-Sandalen, ein herumwuselnder Hund, Handys, deren leuchtende Bildschirme immer wieder aufflackern, „exotische“ Fruchtspieße, die Vanity Fair und die Autobiografie „The Years“ von Annie Ernaux – eine der bedeutendsten französischen Schriftstellerinnen. Es ist kein banaler Strand, sondern das Set einer Performance-Oper. Eine Frau im merlotroten Badeanzug – neben ihr liegt ihr Ehemann, Workaholic, in einer Badehose im gleichen Farbton – singt über ihren achteinhalbjährigen Sohn, der bereits „im Roten, im Gelben, im Weißen“ Meer geschwommen ist. Demnächst soll er das Great Barrier Riff sehen, über dessen zukünftige Existenz das Damoklesschwert hängt. Letztere Erkenntnis kommt jedoch nicht von der Frau im merlotroten Badeanzug. 

Sun & Sea, Rugile Barzdziukaite, Vaiva Grainyte, Lina Lapelyte, 2021, E-WERK Luckenwalde. Foto: Katherine Thomson.

Ein Paar singt über den nächsten Flug um 15 Minuten nach sieben, der sie wieder für eine Woche trennen wird. Die beiden sind in einer Fernbeziehung, pendeln mit dem Flugzeug. Eine Teenagerin singt klagend, wie traurig sie ist, dass Korallen bald vollkommen verschwinden werden. Ganz so bedrückt ist sie dann aber doch nicht. Immerhin kann man Korallen auch mit einem 3D-Drucker produzieren, genau so wie Nahrung und Tiere – „ Das 3-D-ich ist dann unsterblich“, singt sie. 

Tatsächlich kein banaler Strand, keine banalen Körper, keine banalen Fruchtspieße. Die Performance-Oper „Sun & Sea“ schlägt am Puls der Zeit: der anthropogene Klimawandel, verursacht durch Hyperkonsum als Statussymbol – der nächste Flug zum Schwarzen Meer steht schon bevor. Kritisiert wird das nicht nur durch die bloße Zurschaustellung dieses schreienden Problems, das sich unter anderem in Billigflügen und exportierten Früchten widerspiegelt, sondern auch durch die Art und Weise der Austragung der Performance-Oper im E-WERK Luckenwalde. „Sun & Sea“, konzipiert von den litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė, wurde am Wochenende in einem alten Stadtbad im brandenburgischen Luckenwalde aufgeführt – mit 100% grüner Energie. Dass dieses künstlerische Ausnahmewerk, das 2019 auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen hat, in eine 20.000 Einwohner*innen Stadt, 50 Kilometer entfernt von Berlin kommt ist schon eine Besonderheit. 

Sun & Sea, Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė, Lina Lapelytė, 2021, E-WERK Luckenwalde. Foto: Katherine Thomson.

Aber der Ort ist perfekt: ein verlassenes Stadtbad im Bauhausstil. Von einer erhöhten Galerie aus sehen sich die Zuschauer*innen hinter einem industriellen Geländer die von Lucia Pietroiusti kuratierte Arbeit stehend an. In dem über die gesamte Performance andauernden Moment des Stehens manifestieren sich die unangenehmen Dringlichkeiten, denen sich „Sun & Sea“ widmet. Zwar gibt es auch vereinzelt Stühle, aber wenn man alles sehen will, funktioniert es im Sitzen nicht. Sich die Performance-Oper vollständig im Stehen anzuschauen ist unbequem, kräftezehrend und lässt einen nach einiger Zeit fast schon in einen tranceähnlichen Zustand fallen, durch den man sich nur noch auf die leuchtenden, fast schon surreal anmutenden Körper im Strand fokussiert. Der erhellte Strand wirkt wie ein Sog. Ein Sog, der in einem hoffentlich baldigen Aufwachen – in einem Moment der nachhaltigen Erleuchtung – endet. Dass wir so nicht weitermachen können, sollte auch der Frau im merlotroten Badeanzug irgendwie bewusst sein.  

Sun & Sea, Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė, Lina Lapelytė, 2021, E-WERK Luckenwalde. Foto: Katherine Thomson.

Trotzdem schlafen oder dösen zwischendurch auch einige der Darsteller*innen auf ihren Handtüchern, die in verschiedene Winkel ausgerichtet sind. Hier tritt nicht nur die Künstlichkeit des Strandes hervor – da in einem normalen Strandsetting üblicherweise ja alle Handtücher in die gleiche Richtung (und zwar in Richtung Wasser) ausgerichtet wären – sondern auch der Ursachenkern der ökologischen Dringlichkeit: die Egomanie unserer Gesellschaft. Ein aneckendes Kämpfen darum, wer als Nächstes die am meisten beeindruckende Instagram-Story der tollsten Urlaubsreise, des teuersten Restaurants oder der coolsten Schnorchelaktivität posten kann. Es ist ein unermüdlicher Wettbewerb, bestehend aus einem öffentlich zur Schau getragenen Konsum, der ins Extreme gesteigert wurde. „Sun & Sea“ geht darüber hinaus lediglich den Klimawandel zu behandeln. Die Performance-Oper greift den Auslöser des aktuell dringendsten Problems an: wir.

WANN: Die Oper-Performance „Sun & Sea” lief am Samstag, den 17. Juli, und Sonntag, den 18. Juli.
WO:
E-WERK Luckenwalde, Rudolf-Breitscheid-Straße 73, 14943 Luckenwalde.

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