Wohin geht die Reise?
„Sehnsucht“ im DG Kunstraum

4. Juli 2020 • Text von

Der DG Kunstraum rückt das Thema Sehnsucht in den Mittelpunkt der aktuellen Gruppenausstellung als Reaktion auf die menschlichen Gefühlswelten zwischen Hoffnung und Freudlosigkeit im Lockdown. Die Videoarbeiten und installativen Werke handeln von Fernweh und Freiheit.

Filmstill von Frank Bölters "To The World's End" als The closing event of Coastal Currents Arts Festival 2014

Frank Bölter, ‚To the world’s End‘, 2014, Hastings (UK), © Alexander Battrell, VG Bild-Kunst Bonn, 2020.

Nachdem die soziale Distanz wochenlang den Alltag dominierte, stellt sich die Frage, nach was man sich eigentlich am meisten gesehnt hat. Die aktuelle Ausstellung im Kunstraum der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst präsentiert eine ganze Bandbreite an Sehnsüchten, abseits der wohlbekanntesten Sehnsucht nach einer bestimmten Person in einer Liebesbeziehung. Ebenfalls verzichten die Werke auf explizite christliche Bezüge, versteht sich der 1893 gegründete gemeinnützige Verein doch mehr als förderndes Forum für künstlerische Positionen, die sich mit existenziellen Fragen des Menschseins beschäftigen. Deshalb thematisieren die neun deutschen Künster*innen Birthe Blauth, Frank Bölter, Judith Egger, Leonie Felle, Heike Mutter und Ulrich Genth, Boris Maximowitz, Sebastian Stumpf und Susanne Wagner in ihren Videoarbeiten und installativen Werken vielmehr die Sehnsucht nach Natur, Reisen und vor allem nach Freiheit.

Sebastian Stumpf, Standbild aus der Videoprojektion „Inseln“, 2014, courtesy Sebastian Stumpf und Galerie Thomas Fischer, Berlin.

Historisch gesehen wird mit dem Sehnsucht-Motiv in der Kunst meist zu allererst die Epoche der Romantik verknüpft. Sinnbildlich steht Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ (1808/10) für das Gefühl, dass diese Zeit künstlerisch vielseitig prägte: der Mensch im Angesicht der erhabenen Unendlichkeit der Schöpfung und Natur. Deshalb verwundert es kaum, dass viele Videobilder in dieser Ausstellung auch den Menschen am Wasser zeigen. In Sebastian Stumpfs Video „Inseln“ wird einem die Friedrich Referenz nahezu aufgedrängt, wenn der Künstler als klassische Rückenfigur auf einer letzten, kleinen Schutterhebung innerhalb einer überfluteten Landschaft umringt von Wasser steht. Die Aufnahmen dazu machte der Künstler in dem Gebiet eines ehemaligen Tagebaus in der Nähe von Leipzig, wo der gebürtige Würzburger heute lebt.

Filmstill aus ‚Transmission Waves’ von Judith Egger zeigt die Künstlerin mit ihrer Konstruktion aus Angelruten auf dem Rücken im Meer

Judith Egger, Filmstill aus ‚Transmission Waves’, 2019, Videoprojektion mit Ton, 7:06 min.

Die Münchner Installations- und Performancekünstlerin Judith Egger schuf während eines Aufenthalts in Alicante 2019 eine poetische Videoarbeit mit dem Titel „Transmission Waves“. Dafür befestigte sie Styroporschwimmer mit Mikrofonen im Inneren an den Angelschnüren von drei riesigen Stippruten, die sie sich auf ihren Rücken montierte. Langsam ging sie mit dieser Konstruktion, die als Installation auch in der Ausstellung Ergänzung findet, ins Wasser, während die Wellen der kommenden Flut stärker wurden. Sobald die Schwimmer die Wasseroberfläche berühren, nehmen sie das Wellenrauschen auf und übertragen so die Geräusche der Bewegung des Meeres in den Ausstellungsraum. Besonders sensibel greift dieses Werk am Übergangsort des Strands und mithilfe der Angel als Symbol für Geduld und Ausdauer Gefühle der vergangenen Wochen auf.

Installation von Leonie Felle mit Globus, Podest und Mülleimer

Leonie Felle, ‚Deine Reise‘, 2015, Installation mit Ton, 3:40 min, Foto © Leonie Felle.

Die Installation aus einem Globus, einem Trittpodest und einem Mülleimer findet sich in Leonie Felles Video „Deine Reise“ wieder. Sie verwendete diese Objekte für eine Performance, von der die Fotografien zusammen mit einem Text, den die Künstlerin im Video vorsingt, zu sehen sind. Dabei stellt das Lied große philosophische Fragen nach dem Sinn des Lebens – wovon es übrigens auch eine rockige Variante als Single-Release der Künstlerin gibt.

Ausstellungsansicht ‚Sehnsucht…‘: Video ‚Trapped‘ von Birthe Blauth auf der Fassade des DG Kunstraums. Foto: Gerald von Foris.

Die konzeptuellste Arbeit der Ausstellung ist das Video „Trapped“ von Birthe Blauth, in dem sie ihre Fingerabdrücke scheinbar auf dem Glas des Bildschirms hinterlässt, bis dieser vollkommen bedeckt ist. Der Künstlerin ging es um das Sichtbarmachen oder Ertasten einer unsichtbaren Barriere und um die Spuren, die ihre Hände und ihr Handeln hinterlassen. Blauths Sehnsucht nach Selbstbestimmung wird über die Dauer der Ausstellung immer abends von 20.00 bis 01.00 Uhr als Projektion an der Außenfassade des DG Kunstraums zu sehen sein und dabei möglicherweise auch uns zu neuen Reisezielen inspirieren.

WANN: Donnerstag, 18. Juni. bis Donnerstag, 6. August 2020, 12.00 bis 20.00 Uhr.
WO: DG Kunstraum Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst e.V., Finkenstraße 4, 80333 München.

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