Das Material als Agent Kunst, Natur und Silvia Noronha
12. Juli 2021 • Text von Christina-Marie Lümen
Die Künstlerin Silvia Noronha verbindet Wissenschaft und Alchemie. In ihrer Arbeit geht es der Künstlerin darum, Zeitebenen und Reaktionsformen der Materialien aufzuzeigen. Durch die Imitation natürlicher Transformationsprozesse schafft sie Objekte, welche zugleich mögliche Zukunften und vage Vergangenheiten erörtern. Künstliches mischt sich mit Natürlichem, und die strikten Grenzen zwischen ihnen werden aufgelöst.
Dein Material ist mitunter sehr speziell, oder besser gesagt speziell kombiniert. Wo findest Du es oder nimmst es her?
Manchmal finde ich das Material, manchmal findet das Material mich. Oft bringe ich gefundenes Material in mein Atelier und baue es in meine Arbeit ein oder lasse mich von ihm inspirieren, mit Techniken und Materialprozessen zu experimentieren. Was mich besonders interessiert, ist die Lebendigkeit verschiedener Materialien: natürliche und vom Menschen veränderte. Ich simuliere Prozesse ebenso wie ich das vorgefundene, unberührte Material verwende. Die Arbeit mit einem Material stellt für mich immer eine Form der Begegnung dar und ich habe eine spezifische Beziehung zu der Materie, mit der ich arbeite.
Guter Punkt: Deine Arbeiten changieren ständig zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen, Steine treffen auf Mauerwerk und Glitzer. Gibt es einen konzeptionellen Ansatz dahinter?
Entscheidend für meine Arbeit ist der Begriff und das Konzept der “Geologie”. Welche Geologie werden wir in der Zukunft haben; welche Art von Landschaft könnte aus unserem aktuellen Handeln entstehen? Das sind Fragen, mit denen ich mich beschäftige und die meine aktuelle künstlerische Praxis leiten. Ich stelle sie mir gerne als geologische Spekulation vor, sowohl in Bezug auf das Materielle als auch auf die Denkweise als einen ganzheitlichen und transformativen Akt.
Wie muss ich mir Deine künstlerische Praxis vorstellen?
In meiner Arbeit geht es viel um Transformation, “in Bewegung setzen”. Ich verwende oft hohe Temperaturen, um verschiedene Substanzen zu schmelzen. Ich interessiere mich dafür, wie unterschiedliche Umgebungsbedingungen den Zustand der Materialien und die Wechselwirkungen zwischen ihnen beeinflussen. In diesem Sinne unterscheide ich nicht zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen: Alle Materie wird “natürlich” in physikalischen Prozessen umgewandelt, und das war schon immer so. Ich sehe meine Praxis als eine Zusammenarbeit zwischen mir und den Substanzen, mit denen ich arbeite. Dabei ist es meine Absicht, den Prozess so unhierarchisch und offen wie möglich zu halten, im Sinne eines Dialogs mit den Materialien.
Du sprichst von einer “spekulativen Geologie”. Kannst Du den Kontext dazu etwas genauer erklären?
Ich habe diesen Begriff 2016 in meinem Projekt “The Future of Stones – Spekulationen über kontaminierte Materie” erstmals verwendet. Hier habe ich eine umfangreiche Sammlung von Bodenproben am Ort der Bergbaukatastrophe von Mariana in Brasilien gemacht. Die gesammelten Proben habe ich nach Berlin gebracht, wo die Toxizität durch das Wissenschaftslabor der TU Berlin analysiert wurde. Dann habe ich hohe Temperaturen und Druck auf dieses Material angewandt mit der Idee, geologische Prozesse zu simulieren, die normalerweise über einen sehr langen Zeitraum ablaufen würden. In der besonderen Arbeit “The Future of Stones” spekuliere ich anhand eines Fallbeispiels über die Folgen eines solchen Ereignisses, wie sich Materialien, die durch eine Katastrophe in den Boden eingebracht wurden, in einer tiefen Zeitskala verändern können.
Interessant! Der Begriff ist somit zeitgleich ein Überrest und Grundstein dieser früheren Arbeit?
Ja. Ich komme immer wieder auf diesen Begriff der “spekulativen Geologie” zurück, da ich oft geologische Prozesse benutze, um nach Kommunikations- und Anpassungsprozessen zwischen Materialien zu forschen. Während meines gesamten Prozesses lasse ich dem Material Raum, um zu agieren und unerwartete Schritte zu unternehmen. Ich betrachte die Materialien als Agenten, und in gewisser Weise ist meine künstlerische Praxis eine ständige Übung darin, mit ihnen zu interagieren und ihnen Raum für ihre Leistung zu lassen.
Was sind Deine Hintergedanken dabei?
Jedes Material ist immer verschiedenen Prozessen unterworfen, sowohl natürlichen als auch von Menschen gemachten, durch welche ein zeitliches Element in der Materie erkannt werden kann. Durch die Vermischung von wissenschaftlichem Denken mit “Alchemie”, also beabsichtigten Transformationsverfahren, untersuche ich diese Prozesse und versuche, etwas anderes zu kommunizieren und andere Lesarten vorzuschlagen.
Deine Arbeiten sind derzeit in der Gruppenausstellung “Was die Augen nicht sehen, kann das Herz nicht fühlen” im Kunsthaus Dresden zu sehen. Was sind die Grundgedanken hinter der Ausstellung?
Die Ausstellung bringt Künstler zusammen, die sich mit dem Konzept einer menschlichen Koexistenz mit der natürlichen Umwelt beschäftigen. Ich präsentiere eine Installation, „Shifting Geologies“, in welcher es darum geht, wie sich die Schichten, die unsere anthropogenen Einflüsse aufzeichnen, auftürmen können; um den Prozess der Anpassung, Symbiose und Kommunikation zwischen Materialien in geologischen Prozessen. Die Installation besteht aus einer Reihe von Arbeiten, von denen einige im letzten Jahr im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien als Teil der Ausstellung SIRENE – Goldrausch 2020 gezeigt wurden. Die jetztige Version verbindet ältere und neue Stücke.
2015 absolviertest Du eine Residency an der Königlich Dänischen Akademie im Glas- und Keramikdepartment auf der Insel Bornholm. Hast Du Dich dort erstmals der Keramik und einem Fokus auf das Material zugewandt?
Der Austausch auf Bornholm hat mir definitiv die Augen dafür geöffnet, welche Kraft und Vitalität Material hat! Es gab dort einen alten Brennofen, mit dem ich arbeiten konnte, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich die Freiheit hatte, mit hohen Temperaturen zu experimentieren. Ich habe eine Serie namens “Cognitive Nature” gemacht, in der ich die Materie an ihre Grenzen bringe und ihre Eigenschaften erforsche.
Eine weitere Serie von Dir sind die sogenannten „Bricks“, also Ziegelsteine. Was hat die Hinwendung zu diesem “künstlichen” oder produzierten Stein inspiriert?
Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Veränderungen, die einige vom Menschen modifizierte Materialien haben, und die Bricks sind eine Darstellung dessen. Reaktionen und Transformationen haben stattgefunden, aber die Form der Bricks ist immer noch sehr präsent und fest auf den Stücken.
Du lebst in Berlin, einer sehr urbanen Landschaft. Aufgrund der Pandemie war das Reisen eher schwierig. Woran arbeitest Du derzeit?
Mein neuestes Projekt ist eine Studie über das Wasser an der Floating University, einem Wasserauffangbecken in der Lilienthalstraße. Der Raum verbindet urbane Landschaft und verschmutzte Natur und stellt somit eine “dritte Landschaft” dar. Das Projekt besteht aus so genannten Water-Prints, die Informationen aus dem Wasser, nämlich Algen und den Verschmutzungsgrad, einfangen. Ich lege Papier auf die Wasseroberfläche und lasse die Materialien mit dem Papier interagieren. Das Ergebnis sehe ich als eine Untersuchung über Alternativen der Darstellung von räumlicher Information, eine Art räumliche Statistik.
Alle Deine Arbeiten haben für mich etwas “steiniges” an sich. Was interessiert Dich an Steinen im Besonderen?
Alle Materialien, aber Steine in einer ganz besonderen Weise, sind Archive der Zeit. Sie sind lebendig und in Bewegung, obwohl sie völlig statisch sind und in unseren menschlichen Augen “tot” aussehen. Sie sprechen stärker als viele andere Wesen über Zeit – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und haben in diesem Sinne viel zu erzählen. In meiner Praxis geht es darum, eine Plattform zu schaffen, in der sich Materialien als Medium im Dialog manifestieren. Ich denke, es ist wichtig, diese Gespräche jenseits unserer menschlichen linearen Kommunikation hervorzurufen, und ich glaube, dass Steine ein gutes Portal hierfür sind.
Wenn ich mir Deine Arbeiten ansehe, kommt mir immer wieder das Wort “prähistorisch” in den Sinn. Was ist Dein Kommentar dazu?
Stell Dir eine Zu-Zu-Zukunft vor: was wird von den modernen Gesellschaften übrigbleiben? In meinen Arbeiten versuche ich, mir solche Szenarien vorzustellen. Dabei nehme eine wesentliche Zeitperspektive ein, welche sowohl die Vergangenheit, als auch die Zukunft und alles dazwischen umfasst.
WANN: Die Ausstellung “Was die Augen nicht sehen, kann das Herz nicht fühlen” läuft bis zum 17. Oktober 2021.
WO: Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8, 01097 Dresden.
Weitere Informationen zu Silvia Noronha findet ihr auf der Webseite der Künstlerin!