Klima-Diskurs im Ruhrgebiet
"Ruhr Ding: Klima" in Gelsenkirchen, Herne, Recklinghausen & Haltern am See

9. Juni 2021 • Text von

Ährige Teufelskralle, Gift-Lattich, Großer Wasserfenchel, Gewöhnliches Kreuzblümchen – schon mal gehört? Zumindest den Menschen im Ruhrgebiet sollten diese Namen nicht allzu bekannt sein, denn hier gibt es diese Pflanzenarten nicht mehr. Sie sind im Laufe der Zeit aus dem Naturbild verschwunden. In was für einer Welt leben wir und welche Rolle spielen wir in dieser? Das ist die zentrale Frage der mit der sich rund 20 Künstler*innen beim „Ruhr Ding: Klima“ beschäftigen. (Text: Stella Baßenhoff)

Ruhr Ding: Klima. Silbersee II. Mariechen Danz & Kerstin Brätsch “Clouded in Vain”. Foto: Daniel Sadrowski.

„Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen aufmachen werden“, sagte die Kuratorin Britta Peters noch am 8. Mai 2021 in einem YouTube-Video, dem Tag, an dem das „Ruhr Ding: Klima“ eigentlich eröffnet werden sollte. Ursprünglich war die Ausstellung sogar für das Jahr 2020 geplant. Doch die globale Pandemie hat wie so oft auch hier einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun ist es so weit: Alle Ausstellungsorte in den Ruhrgebietsstädten Gelsenkirchen, Recklinghausen, Herne, Haltern am See sind für Besucher*innen geöffnet.

Die neue Ausstellung ist Teil des Ausstellungsformats „Ruhr Ding“ von Urbane Künste Ruhr unter der künstlerischen Leitung von Peters. Nach der ersten Ausgabe im Jahr 2019 mit dem Titel „Territorien“steht nun das Thema „Klima“ im Vordergrund.

Ruhr Ding: Klima Projektstandort Zeche General Blumentahl, Recklinghausen. Foto: Heinrich Holtgreve.

„Ruhr Ding: Klima“ richtet zum einen den Blick auf die globale Erwärmung, zum anderen auf das soziale Klima, welches uns dieser Tage begleitet. So verschieden die Thematiken sind, so verschieden sind die künstlerischen Arbeiten. Diese reichen von Videoinstallationen, Audio-Walks und Performances bis hin zu künstlichen botanischen Landschaften und schwimmenden Pavillons.

Gerade das Ruhrgebiet mit seiner jahrzehntelangen Bergbauhistorie steht exemplarisch für eine Veränderung der Lebenswelten. Erst im Jahr 2018 wurde das letzte aktive Steinkohlen-Bergwerk in Bottrop geschlossen und damit die Steinkohlenförderung in Deutschland eingestellt.

Ruhr Ding: Klima. Hayden Fowler “Death of Worlds”. Foto: Daniel Sadrowski.

Welchen Einfluss der Bergbau auf die Natur gehabt hat lässt sich an einem der vier Ausstellungsorte erleben. In der ehemaligen Zeche General Blumenthal in Recklinghausen hat der Künstler Hayden Fowlers seine Arbeit „Death of Worlds“ entstehen lassen. In einer großen Biokuppel hat er Samen von rund 100 Pflanzenarten gepflanzt, die seit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts im Ruhrgebiet ausgestorben sind. Ein Bildschirm am Eingang der Kuppel führt die Namen dieser Arten auf. Die Besucher*innen können hier Zeug*innen einer sich verändernden Vegetation werden. Die Pflanzenarten erobern sich vorübergehend einen Industriestandort zurück, der symbolisch für ihr Verschwinden steht.

Ruhr Ding: Klima. Recklinghausen. Monira Al Qadiri “Future Past”. Foto: Daniel Sadrowski.

Die Bedeutung der Steinkohleförderung für das Ruhrgebiet damals ist vergleichbar mit der Bedeutung der Erdölgewinnung in vielen Ländern heute. Am gleichen Ort ist die Arbeit „Future Past“ von der Künstlerin Monira Al Qadiri zu sehen. Al Qadiri hat vergrößerte Nachbildungen von Bohrköpfen aus der Erdölindustrie Kuwaits in einer Lagerhalle aufgestellt. Diese drehen mit ihrer an Erdöl erinnernden schillernden Lackierung schier endlose Runden, nicht in den Boden hinein, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Erdöl bildet seit langem die wirtschaftliche Grundlage des Landes, in dem Monira Al Qadiri aufgewachsen ist. Die Abläufe rundum diese Rohstoffgewinnung sind kaum öffentlich sichtbar. Al Qadiri hebt den Prozess in das Bewusstsein zurück.

Ruhr Ding: Klima. Hecke/Raute/Thöricht “Der lange Abschied”. Foto: Daniel Sadrowski.

In einem ehemaligen 50er-Jahre-Pavillon in Gelsenkirchen haben die beiden Künstler*innen Alisa Hecke und Julian Rauter zusammen mit dem Szenographen Franz Thöricht einen Andachts- und Erinnerungsraum entworfen. Die audiovisuelle Installation „Der lange Abschied“ stellt die Praxis der Taxidermie dar. In einem Video dokumentieren sie den Ablauf der Tierpräparation, der eindrucksvoll von der Tierpräparatorin im Bild kommentiert wird. Für das Projekt recherchierten die Künstler*innen an prägnanten Orten der Präparationsgeschichte im Ruhrgebiet. Denn nur hier, in Bochum, befindet sich ein Institut, an dem man den Beruf des*der Tierpräparators*in erlernen kann. Gerade in einer Zeit des vermehrten Artensterbens verkörpert das Präparat nicht nur den Verlust eines einzelnen Tieres, sondern auch den einer ganzen Spezies. Grund dafür ist, neben der Ausbeutung durch den Menschen und der Zerstörung vielzähliger Lebensräume für oder durch die Landwirtschaft, auch der Klimawandel.

Wohnblöcke in Herne. Das Penthouse des Hochhauses mit den orangenen Sichtschutzwänden ist ein Ausstellungsort der Urbanen Künste Ruhr.

„Ruhr Ding: Klima“ verbindet ehemalige Industriestandorte miteinander, die in einem größeren Kontext ihren Teil zur gegenwärtigen Klimakrise beigetragen haben. Alle künstlerischen Arbeiten sind als Neuproduktionen entstanden und geben die Möglichkeit zu einem kritischen Diskurs frei. Sie regen zum Nachdenken an und laden dazu ein, die Rolle des Menschen in dieser, unseren, Welt zu hinterfragen.

Der Besuch der Ausstellung ist kostenlos. Dennoch ist es aktuell notwendig, ein Tagesticket zu buchen. Dieses bekommt man über die Internetseite der Urbane Künste Ruhr. Um alle Orte gebündelt zu besichtigen, bietet sich eine Fahrradtour an. Das Ausstellungsteam hat dafür drei verschiedene Rundwege in den Städten Gelsenkirchen, Herne und Recklinghausen erarbeitet. Außerdem werden begleitend zur Ausstellung mehrere Führungen angeboten, die sogenannten „Irrlichter-Touren“. Tickets für diese kann man ebenfalls auf der Internetseite buchen.

WANN: „Ruhr Ding: Klima“ läuft noch bis Sonntag, den 27. Juni, mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.
WO: Gelsenkirchen, Recklinghausen, Herne und Haltern am See.

Empfehlung: Der „Ruhr Ding: Klima“-Ausstellungsguide und das aktuelle Urbane Künste Ruhr Magazin, die entweder vorab kostenlos bestellt werden können oder an allen Ausstellungsorten zu bekommen sind.

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