Heute schon Schwein gehabt?
Jonas Fahrenberger in der Galerie Nagel Draxler

19. Mai 2022 • Text von

Glücksspiel, ein paar Pillen und die Stimme von HP Baxxter als Ohrwurm. Die Kunst von Jonas Fahrenberger kreist um die Sehnsucht nach dem schnellen Vergnügen, um das Verlangen nach betäubender Ekstase und um das Hoffen auf das Unwahrscheinliche. Mit dem Ausstellungstitel “Glücksschwein” zeigt die Galerie Nagel Draxler seine Arbeiten erstmals in München.

Jonas Fahrenberger: Glücksschwein, Galerie Nagel Draxler München, 2022. Foto: Ulrich Gebert

In der Galerie Nagel Draxler kommt derzeit einiges zusammen, was verboten ist oder als verwerflich gilt: Drogenkonsum, Schießübungen und Glücksspiel. Eskapismus und Ekstase. Zu sehen sind schrille Motive, grelle Farben und verheißungsvolle Slogans. Dazwischen pixelige Fotos, auf denen Menschen in high-end Wohnungen sitzen und mit strahlend weißen Zähnen den Betrachtenden fast schon hämisch entgegen grinsen. Wie eine Drohung wurde darüber in weißer Farbe gesprayt: „Eine Generation die Scooter auf Platz eins der deutschen Charts gebracht hat zieht heute Ihre Kinder groß.“ Im Schaufenster der Galerie trägt im wahrsten Sinne des Wortes eine blaue Delfinskulptur ein Päckchen Ecstasy im Fischmaul und am Boden versperren in Folie verpackte Schießblöcke mit Projektilen den Besucher*innen ihren Weg. 

Jonas Fahrenberger eignet sich in seiner Kunst die rauen Spuren und unpolierten Ecken des öffentlichen Lebens an, genauer gesagt die seiner Wahlheimatstadt Offenbach, wo er seit 2015 an der Hochschule für Gestaltung studiert. Im Zentrum der Ausstellung bei Nagel Draxler stehen Motive weggeworfener Rubbellose, die seit 2019 immer wieder Einzug in seine Kunst halten. Dabei faszinieren ihn nicht nur die schrille Ästhetik und die plakative Bildsprache dieser Lose, sondern auch die psychologischen und gesellschaftlichen Beweggründe der Menschen, die ihre Hoffnungen auf das schnelle Glück setzen. 

Jonas Fahrenberger: Glücksschwein, Galerie Nagel Draxler München, 2022. Foto: Ulrich Gebert

Wer hat nicht schon einmal nachts mit Freund*innen beim Kiosk zusammengelegt und sich spaßeshalber Glückslose gekauft, auch wenn jede*r eigentlich weiß, dass die Gewinnchancen gleich Null sind? Alle kramen Cent-Stücke aus ihren Taschen und kratzen die silbrig glänzenden Folien von der Oberfläche dieser seltsamen Zetteln weg. Es setzen sich Diskussionen darüber in Gang, was man wohl mit so viel Geld anstellen könnte. Ein Haus am Meer kaufen, dazu eine Yacht vielleicht. Für immer reisen, nie mehr arbeiten. Einen Teil spenden, den anderen vernünftig anlegen.

Was für die einen als amüsantes Gedankenspiel gilt, ist für die anderen ein verzweifelter Versuch, sich möglichst schnell und unkompliziert aus prekären Lebenssituationen zu winden. Provokant, perfide und sarkastisch wirken gerade deswegen die Worte, die hinter den abgerubbelten Folien zum Vorschein kommen: Sorry, nö, diesmal nicht. Nur fast daneben ist halt trotzdem vorbei. Die Rubbellose werden zerknüllt, weggeworfen und fügen sich von da an als Beweisstücke für das Pech ihrer Käufer*innen ins urbane Stadtbild ein. Fahrenberger sammelt diese Nietenlose ein, vergrößert sie malerisch oder im Transferdruck, kombiniert sie mit gesprayten Schriftzügen oder setzt sie in Kontrast zu abgerissenen Werbeplakaten von Baustellen, wo später Wolkenkratzer mit Hochglanzbüros und Wohnungen stehen werden.

Jonas Fahrenberger: Glücksschwein, Galerie Nagel Draxler München, 2022. Foto: Ulrich Gebert

Die daraus resultierenden Collagen erzählen vom Hoffen auf ein Leben ohne Existenzängste und von Fluchtversuchen aus der Monotonie des grauen Alltags. Die schrillen Farben der Lose sind verblasst, haben ihren Glanz verloren und Risse bekommen, genauso wie ihre verheißungsvollen Slogans und Sprüche. Fahrenbergers Arbeiten erzählen vom Scheitern der Menschen, die sich trotz des Bewusstseins über die geringen Gewinnchancen immer wieder von den grell leuchtenden Slogans wie Fliegen anziehen lassen.

Hier offenbaren sich uns universelle Wünsche und Sehnsüchte. Jetzt, wo das Weltgeschehen den sorgsam aufgebauten und gepflegten Mikrokosmos immens ins Wanken bringt, ist das Bedürfnis nach Rückzug umso dringlicher geworden und der Wunsch nach Sicherheit und Eigenbesitz rasant gestiegen. Wieso also nicht sein Glück versuchen und an das Unwahrscheinliche glauben, selbst wenn die Logik etwas anderes sagt?

Jonas Fahrenberger: Glücksschwein, Galerie Nagel Draxler München, 2022. Foto: Ulrich Gebert

Dem Künstler gelingt es, die ihn umgebende, defizitäre Welt sensibel zu kartografieren und mit Humor, Respekt und Verständnis menschliche Laster und Schwächen zu dokumentieren. Seine Arbeiten lassen eine Sympathie für das Unverfälschte, das Unperfekte und das Tragisch-Schöne erkennen. Am Ende der Ausstellung bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen: How much is the fish? By the way, how much is the fish?

WANN: Die Ausstellung “Glücksschwein” von Jonas Fahrenberger läuft bis Samstag, den 3. September.
WO: Galerie Nagel Draxler, Türkenstraße 43, 80799 München.

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