Die Suche nach Symphonie
Irina Ojovan über Freiheit in der Malerei

22. November 2019 • Text von

Struktur, Geometrie, Farbe. Lange geprägt durch eine sehr klassische Kunstausbildung, gelang es Irina Ojovan sich erst spät zur Abstraktion hin zu befreien. Nun stellt die Künstlerin ihre konstruktiv-geometrischen Malereien in der Galerie Russi Klenner aus.

Installationsansicht, Galerie Russi Klenner, „Paris Giachoustidis Irina Ojovan Johannes Daniel“, Courtesy Galerie Russi Kleiner und jjimages.

Gallerytalk: In der Ausstellung „Paris Giachoustidis Irina Ojovan Johannes Daniel“ bei Russi Klenner geht es unter anderem um die Frage nach der „Aktualität der Malerei“. Die„Monopol“ hat gerade proklamiert, dass „das Medium Malerei vital sei, wie lange nicht“. Wie siehst du das? Und wo siehst du deine Rolle als Malerin?
Irina Ojovan:
Die Malerei ist in unserer Kultur seit jeher präsent. Es gab nie eine Zeit, in der dieses Medium wirklich außer Acht gelassen wurde – es war nur nicht immer im Fokus des Interesses der Kunstkritiker oder Ausstellungsmacher. Aber da war immer eine Kontinuität. Schon als ich jünger war, habe ich nie daran gezweifelt. Selbst als mir die Leute sagten, es sei nicht zeitgemäß, zu malen, oder es könnte langweilig sein, war mir das egal. Ich hatte dieses Medium einfach für mich gewählt.

Wie hast du dich für die Malerei entschieden?
Seit ich denken kann, wollte ich Künstlerin zu werden. Als ich vier Jahre alt war, ging ich bereits auf eine Kunstschule und von dort auf weitere. So war es für mich wirklich keine Entscheidung mehr. Natürlich gab es Zeiten der Unsicherheit, wo Fragen aufkamen wie: „Möchtest du nicht auch etwas anderes machen?“ oder „Bist du gezwungen, zu malen?“ Es war zunächst schwierig für mich, auch Skulpturen zu machen. Ich dachte: „Oh nein, du bist ja Malerin“. Es kam mir vor, als würde ich eine Regel brechen, denn ich komme aus dieser klassischen russischen Schule, wo klar in Malerei, Skulptur und Medienkunst unterteilt wird.

Wie und wann konntest du dich von diesen Gedanken befreien?
Erst nach meinem Umzug nach Deutschland. Da habe ich verstanden, dass es keine feste Trennung zwischen diesen Künsten gibt oder geben sollte. Es ist die Idee eines Künstlers, die im Mittelpunkt steht. Das hat einige Jahre gedauert, aber seit ich mich von diesen Gedanken befreit hatte, habe ich mich nie wieder Malerin genannt. Ich bin Künstlerin. Es kam spät. Im Rahmen meiner sehr klassischen Ausbildung wurden mir genaue Regeln in den Kopf gesetzt. Wir wurden daran gehindert, „auszubrechen“. Aber als ich dann in München in die Klasse von Günther Förg kam, sagte er zu mir: „Mach einfach, was du willst, und dann diskutieren wir darüber.“ Das war wie die erste Tür, die sich mir öffnete, um mich frei zu fühlen. Und ich habe mich gefragt, ob das wirklich möglich ist. Funktioniert es so?

Irin Ojovan, Sarmizegetusa N 72, 2019, oil and lacquer on canvas, Courtesy the artist.

Erzähl mir von deinem Hintergrund und deiner Ausbildung.
Während meines Kunststudiums in Chișinău, der Hauptstadt von Moldavien, habe ich mich für die Akademie in Turin beworben. Dort begann ich mit Grafik, weil ich keinen Professor für Malerei finden konnte, der mich überzeugte. Also bin lieber in einen klassischen Grafikkurs gegangen, um die Techniken zu lernen. Für mich war es immer wichtig, keine „Gefangene der Technik“ zu sein, sondern alles zu lernen, was möglich ist. Weil ich mir gesagt habe, wenn es eine Idee gibt, die ich nicht in die Malerei übersetzen kann, warum sollte ich nicht andere Dinge lernen, die mich zu den gewünschten Ergebnissen bringen?

Wie ging es dann weiter?
Nach einem Jahr zog ich nach Rom, wo ich einen Professor für Malerei fand, mit dem ich mir vorstellen konnte, zu arbeiten. Aber es war immer noch die gleiche sehr konservative Schule. Jedes Mal, wenn ich mich der abstrakten Malerei zuwandte, sagte mein Professor: „Aber erinnere dich an deine schönen Landschaften“. 

Das klingt so rückwärtsgewandt.
Deshalb habe ich mir auch gesagt, dass ich eine Pause brauche. Ich entschied mich, Erasmus zu machen und bin so an die Akademie nach München gekommen. Als ich dort anfing, öffnete sich auf einmal alles. Ursprünglich wollte ich nur zehn Monate in München zu bleiben, aber ich blieb dann für die kommenden sechs Jahre meines Studiums. Ich hatte Günther Förg noch gefragt, ob ich mich mit meinem Portfolio bewerben könne, um in die Klasse zu kommen. Und seine Antwort war: „Irina, du bist schon Teil der Klasse.“

Installationsansicht, Galerie Russi Klenner, „Paris Giachoustidis Irina Ojovan Johannes Daniel“, Courtesy Galerie Russi Kleiner und jjimages.

Und würdest du behaupten, dass deine Arbeit stark von den Gedanken Günther Förgs beeinflusst wurde?
Um ehrlich zu sein, ich war sehr beeinflusst von meiner Umgebung zu Hause. Alle Freunde meines Vaters waren Künstler oder Musiker. Meine Werke waren sehr davon beeinflusst, was ich während meines Zusammenseins mit ihnen aufnehmen konnte. Sie waren wie Kandinsky oder Malewitsch, obwohl ich keine Ahnung hatte, wer diese Künstler waren. Meine Arbeiten waren sehr strukturiert, geometrisch, und Farbe spielte eine große Rolle. Diese schwarzen Hintergründe hatte ich bereits gemacht, als ich acht oder zehn Jahre alt war, und jetzt kommt diese schwarze Farbe wieder zurück. Als ich in München war und Günther mich gezwungen hat, alles zu tun, was ich wollte, konnte ich diese Tür endlich öffnen.

Irina Ojovan, B Island N11, 2019, oil on Arches paper, Courtesy the artist.

Für dich ist es sehr wichtig, mit verschiedenen Materialien wie Öl, Lack und Aquarell zu arbeiten. Durch mehrere Farbschichten kreierst du eigene Lichträume. Wie bist du zu diesem Arbeitsprozess gekommen?
In meiner schwarzen Serie „Sarmizegetusa“ beispielsweise gibt es den Unterschied zwischen den matten und den glänzenden Teilen. Mich interessiert die Frage, ob etwas im Bild existiert, das dir visuell Informationen gibt, im Gegensatz zu etwas, das dir keine Informationen gibt. Die matten Partien sind eine Art Block, es gibt keine Reflexion. Nur das reine Pigment. Und die glänzende Oberfläche absorbiert Informationen von außen. Die Farbschichten finden somit ihre Symphonie. Teilweise verwende ich grelle Farben wie leuchtendes Grün, was man aber nur auf der Leinwandkante noch sieht. Diese Kanten zeigen den Prozess des Malens. Wenn ich die hellgrüne Farbe über dem Schwarz auftrage, möchte ich diesen entstandenen Schwarzton erhalten. Für mich ist es wichtig, die Farbe auf der Palette nicht zu mischen, sondern im Voraus zu überlegen, wie zwei Farben eine dritte bilden werden, sobald sie sich kreuzen.

Diese abstrakte Farbfeldmalerei, lässt an Werke Ad Reinhardts denken. Siehst du deine Arbeiten als rein abstrakt oder gibt es figürliche Elemente?
Oft inspiriert mich Architektur. Am Ende entdecke ich immer wieder, dass meine Werke etwas Figuratives tragen oder dass ich eine bestimmte Form in der Architektur schon gesehen habe. Mein Vater war Architekt. Architektur war bei uns zu Hause somit sehr präsent. Der Titel meiner Serie „Sarmizegetusa“ ist der Name einer Festung in Rumänien. So ist es vor allem die Struktur dieser Festung, die mich zum Malen dieser runden Ecken beeinflusst hat. Von der Festung sieht man nur noch Ruinen, aber man kann sich vorstellen, wie das Gebäude vorher war. Ich vervollständige es dann in meiner Malerei. Wie gesagt, ich glaube, dass Erinnerungen meiner Kindheit mein Unterbewusstsein stark beeinflussen. Da gibt es etwas, das in der Welt gegenwärtig ist und das mit diesem und jenem verbunden ist. Mein Gehirn ist wie ein Filter. Meine Arbeit ist eine Synthese aus dem, was ich als interessant ansehe und was nicht.

Irina Ojovan, B Island N2, 2019, oil on Arches paper, Courtesy the artist.

WANN: Die Ausstellung „Paris Giachoustidis Irina Ojovan Johannes Daniel“ eröffnet am Freitag, den 22. November ab 19 Uhr und ist bis 4. Januar 2020 zu sehen.
WO: Galerie Russi Klenner, Luckauer Straße 16, 10969 Berlin.

Ab dem 22. Januar 2020 werden Ojovans Werke in einer Einzelausstellung bei Sotheby’s in München zu sehen sein. Zum Gallery Weekend Berlin 2020 stellt sie in der LOOCK Galerie aus.

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