Fragen nach der eigenen Zeitlichkeit
Die Fotografien von Thomas Florschuetz im Haus am Waldsee

5. Juli 2022 • Text von

Zahlreiche Blickwinkel, ausgewählte Ausschnitte und unscharfe Durchblicke: Der Fotograf Thomas Florschuetz dokumentiert in Bildern die Vergänglichkeit von Kultur in sich überlappenden Ebenen. Florschuetzs Fotografien von Architektur und Interieurs samt neueste Arbeiten aus 2022 sind nun im Haus am Waldsee in Berlin ausgestellt. (Text: Laura Ammann)

Ausstellungsraum Thomas Florschuetz
Installationsansicht Thomas Florschuetz – Überlagerungen, Haus am Waldsee, 2022, Foto: Roman März, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022.

Die Ausstellung “Thomas Florschuetz – Überlagerungen” im Haus am Waldsee legt den Schwerpunkt auf die letzten zehn Schaffensjahre des Künstlers und stellt Exemplare aus unterschiedlichen Werkreihen vor. In der zwischen 2016 und 2021 entstandenen Serie “Elephant’s Breath” thematisiert Thomas Florschuetz die umstrittene Überführung der ethnologischen Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus dem vorherigen Standort in Dahlem in das Humboldt Forum. Die Fotografien zeigen die Sammlungsobjekte zwar noch in ihrer ehemaligen Ausstellungsgestaltung in Dahlem, allerdings schon in transitorischer Kondition. Florschuetz zeigt die ethnologischen Objekte in einer Situation des Transfers – zwischengelagert inmitten leerer Vitrinen und mit Plastik verpackter Regale. Dort, wo sich das Humboldt Forum heute befindet, stand bis 2008 der Palast der Republik. Die damals noch dastehenden ruinenartigen Strukturen des DDR-Emblems hat Florschuetz 2006 aufgenommen. In der Fotografie der Serie “Palast” blickt die Kamera durch eine Reihe verrosteter Stahlträger, die dem Bild eine rasterartige Struktur verleiht. 

Ausstellungsraum Thomas Florschuetz
Installationsansicht Thomas Florschuetz – Überlagerungen, Haus am Waldsee, 2022, Foto: Roman März, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022.

“Überlagerungen” als Titel der Ausstellung bezieht sich nicht nur auf formale sondern auch auf inhaltliche Aspekte der Arbeit des Künstlers. Seine Bildkompositionen zeichnen sich durch variierte Winkel und Spiegelungen, sowie unscharfe Licht- und Formmustern aus. Durch präzise ausgewählte Ausschnitte und Durchblicke wird nie eine abgeschlossene, feste Realität dargestellt, sondern vielmehr Fragmente des menschlichen Lebens. Florschuetz schafft somit mehrere Bildebenen, die auf den ersten Blick eine visuelle Konfusion erzeugen. Erst nach näherer Beobachtung lassen sich die Fotografien richtig begreifen. Die formalen Überlagerungen, die aus den zusammenkommenden Bildelementen entstehen, finden in den verschiedenen Zeitebenen in Florschuetzs Fotografien eine thematische Entsprechung. 

Inneres eines Gebäudes auf den Fotos von Thomas Florschuetz
Thomas Florschuetz, Ohne Titel (Interieur) 01, 2022, 3-teilig, je 150 x 102 cm, Archival Inkjet Prints, Courtesy Galerie m, Bochum und der Künstler, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2022.

In einer dreiteiligen Arbeit aus der Serie “Interieur” (2022) werden Balkontüren mit Holzfensterläden von innen aus fotografiert. In den Fensterscheiben spiegeln sich weitere Bauten, die sonst den Betrachter*innen nicht sichtbar wären. Durch eine halb geöffnete Tür ist der gegenüberliegende Bau zu sehen, welcher sich durch Balkone in gleichem Architekturstil auszeichnet, wie die des Gebäudes, aus welchem fotografiert wurde. Florschuetz regt dazu an, durch die Fenstern nach außen zu blicken – belohnt wird man jedoch nicht. Die Kamera wurde bei jedem Bild an unterschiedlichen Standplätzen und Entfernungen platziert, so dass man die gleiche Inszenierung aus verschiedenen Perspektiven erlebt. Erst als gemeinsam betrachtete Bildeinheit ergeben die drei Einzelwerke eine Kontinuität, die die Fülle an Winkeln und Linien betonen. 

Palmen auf Thomas Florschuetz Fotografien
Thomas Florschuetz, Ohne Titel (SBM) 03, 2022, 180 x 122 cm, Archival Inkjet Print, Courtesy der Künstler und DIEHL, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 // Thomas Florschuetz, Ohne Titel (SBM) 05, 2022, 180 x 122 cm, Archival Inkjet Print, Courtesy der Künstler und DIEHL, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022.

In einer der jüngsten Werkserien, welche 2022 entstanden ist, befasst sich Florschuetz nicht zum ersten Mal mit Brasilien, wo er in den 1990er Jahren auch gelebt hat. Fotografiert hat der deutsche Künstler die UNESCO-Welterbestätte Sítio Roberto Burle Marx in Rio de Janeiro. Der Lebens- und Arbeitsort des gefeierten Landschaftsarchitekten Brasiliens, Roberto Burle Marx – der 1928 vom Berliner Botanischen Garten höchst beeindruckt gewesen ist –, besteht aus einem weitreichenden Komplex landschaftlicher Experimente und modernistischer Bauten. Die Aufnahmen zeigen Fragmente von mit Moos bedeckten Natursteinbauten und tropischen Pflanzenarten in exotischer Kombination. In Bezug auf die Komposition weicht diese Werkgruppe von den weiteren ausgestellten Arbeiten an. Die Bildweite ist geschlossener, so dass man trotz der Dimensionen des Sítio Burle Marx nur noch schmale Ausschnitte sieht. 

Fotografie eines gelben Raumes von Thomas Florschuetz
Thomas Florschuetz, Ohne Titel (E.B.) 81, 2016/2021, 183 x 243 cm, C-Print, Courtesy der Künstler und DIEHL, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022.

Thomas Florschuetz stellt in seinen Arbeiten unterschiedliche Momente von Kulturproduktion dar. Eine Museumssammlung, ein architektonisches sowie politisches Wahrzeichen, eine anerkannte Welterbestätte und sein eigenes Atelier: Das sind nicht nur Orte, sondern auch zeitliche Stationen der menschlichen Auseinandersetzung mit kulturellem Erbe. Allerdings erscheinen diese Orte nicht in imposanter Stabilität, sondern entweder in einem Zwischenzustand, in Verfall oder als Ruine. Diese Fotografien sind eine Erforschung der zustandsbedingten Erscheinungsform menschlichen Schaffens. Diese Vergänglichkeit, die sowohl dem Leben als auch der Fotografie als Medium eigen ist, fördert die Frage, wie die eigene Zeitlichkeit der Betrachterinnen zu den bereits im Werk von Thomas Florschuetz vertretenen Überlagerungen hinzukommt. 

WANN: Die Ausstellung “Thomas Florschuetz – Überlagerungen” ist noch bis Sonntag, den 28. August, zu sehen.
WO: Haus am Waldsee e.V., Argentinische Allee 30, 14163 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin