Die Normalitäten von morgen?
"New Normals" von Konstantin Grcic im Haus am Waldsee

25. Februar 2022 • Text von

Stühle hängen von der Decke, sind angekettet, mit Selfie-Sticks versehen oder ihnen entwachsen Schläuche. In der Ausstellung “New Normals” des Industriedesigners Konstantin Grcic scheint nichts so, wie es sein soll und dennoch wirkt alles erstaunlich vertraut. Mit seinen spielerischen Neu-Zusammensetzungen von Alltagsgegenständen eröffnen sich im Haus am Waldsee derzeit neue Realitätszustände, die das vermeintlich Gewöhnliche hinterfragen und Geschichten über mögliche Zukunftsvisionen erzählen.

Ausstellungsansicht mit Blick in mehrere Räume, man sieht eine Lampe an der Wand, die nicht leuchtet, eine Fenesterscheibe deutet sich an, im Hintergrund sind farbige Sitzhocker
Installationsansicht Konstantin Grcic – New Normals, Haus am Waldsee, 2022, Foto: Florian Böhm.

Die Kunst kann häufig als eine Art “Wunscherfüllerin” dienen, wenn es darum geht, uns Betrachter*innen in neue und unbekannte kreative Welten zu entführen, Abstand zu nehmen von Alltag und Gewohntem. In der Ausstellung “New Normals” im Haus am Waldsee lädt der Designer Konstantin Grcic derzeit ein, in einer vertrauten und sicheren Umgebung zu verweilen und dabei gleichzeitig das Ungewöhnliche zu sehen – in Alltagsobjekten, die ihrer praktischen Funktion beraubt und in einen neuen Zusammenhang gesetzt wurden.

Links: bunte Stühle, die an einer schwarzen Befestigung von der Decke herunterhängen, rechts: eine grüne Liege, an der diverse Selfie-Sticks befestigt sind
Konstantin Grcic, NORMAL 11 (Detail), 2022, MIURA TABLE Tisch (Plank), MYTO Stuhl (Plank), Aluminium-Traversensystem, Pantographen, Foto: Florian Böhm. // Konstantin Grcic, NORMAL 12 (Detail), 2022, TRAFFIC Chaiselongue (Magis), Smartphone- und Tablethalterungen, Aluminiumstangen, Foto: Florian Böhm.

Bestimmte Abläufe und Rituale, die im Zusammenhang mit Gegenständen entstehen, sind völlig selbstverständlich und erfolgen inzwischen wie automatisiert, ohne, dass wir darüber auch nur eine Sekunde aktiv nachdenken müssen: das Niederlassen auf einen Stuhl beispielsweise, der Griff zum Smartphone oder das Platznehmen an einem Tisch. Die Exponate im Haus am Waldsee, die “New Normals”, brechen mit all diesen Alltagsroutinen und fordern die Besucher*innen auf, sich neue Interpretationen und Geschichten um die Installationen herum zusammenzureimen.

Wer hätte vor 20 Jahren schon gedacht, dass die Menschen einmal mit merkwürdigen Handy-Halterungen am Stiel herumlaufen würden, um unterwegs unzählige Fotos von sich zu machen? Könnte doch genauso gut sein, dass wir uns in naher Zukunft auf einer Chaiselongue niederlassen – wie Konstantin Grcic es in der Ausstellung visualisiert – um gleich mehrere Smartphones an Selfie-Sticks zu befestigen, damit unser Körper aus jedem nur möglichen Winkel abgelichtet und in Szene gesetzt werden kann. Bei näherer Betrachtung liegt diese Vorstellung gar nicht so fern.

Installationsansicht mit einem leuchtenden Tisch, auf dem viele Spiegel angebracht sind, im Vordergrund ist ein Gitter sowie ein neongelber Schlauch zu sehen, der ins Bild ragt
Installationsansicht Konstantin Grcic – New Normals, Haus am Waldsee, 2022, Foto: Florian Böhm.

Dass die rätselhaft zusammengesetzten Objekte und Möbel dabei ausgerechnet im Haus am Waldsee, einem 1922 durch den Architekten Max Werner erbauten Wohnhaus, der Öffentlichkeit gezeigt werden, kann kein Zufall sein. Möbel, die in einem Wohnhaus platziert werden, stellen wir grundsätzlich eher nicht infrage. Erst das Arrangement der einzelnen Objekte, die Kreation kleiner farbintensiver Szenerien und Environments innerhalb der Räume sorgen bei der Betrachtung für leichte Irritationen und Unstimmigkeiten. Warum haben Stühle Antennen und wieso sind die von Grcic designten mobilen “Mayday” Lampen in jedem Raum wie Feuerlöscher an den Wänden angebracht?

Ein Schreibtisch-Stuhl ist an farbigen Gummis an stählernen Stützen befestigt in einem weißen Ausstellungsraum, im Hintergrund hängt eine Lampe, die nicht leuchtet, an der Wand
Installationsansicht Konstantin Grcic – New Normals, Haus am Waldsee, 2022, Foto: Florian Böhm.

Konstantin Grcic greift mit seinen Arbeiten aktiv in bekannte Abläufe und Lesarten ein und verändert diese sichtbar. Seine Werke stehen dabei ganz im Zeichen der Veränderung. Auch wir als Gesellschaft verändern uns im Laufe der Zeit stetig – mit dem Einfluss verschiedener Generationen und Bewegungen sowie dem Aufkommen neuer technischer Innovationen. Was uns heute noch fremd erscheinen mag, kann für viele morgen schon völlige Normalität sein.

Die Objektzusammensetzungen, die durch den Eingriff des Künstlers neue Interpretationen und visuelle Ausdrücke erfahren, glorifizieren die Veränderung offensichtlich und in poppiger Farbintensität. Sie senden direkt in unsere Richtung und fordern dazu auf, uns nicht vor Veränderungen zu verschließen, sondern uns zu öffnen für all das Neue und Ungewöhnliche, das es im vermeintlich Bekannten noch zu entdecken gibt. Ob wir dabei auf utopische oder dystopische Zukunftsszenarien stoßen, obliegt – zumindest während des Ausstellungsbesuchs – erstmal nur der Fantasie.

Farbenfrohe und irgendwie unsinnige Interieurs gibt es ebenso in der Malerei von Fabian Treiber zu sehen oder wer schon immer mal wissen wollte, wie es ist, in architektonisch geformten Brüsten zu nächtigen, wird bei “tinyBE” und  Laure Prouvost Aufklärung finden.

WANN: Die Ausstellung “New Normals” von Konstantin Grcic läuft bis zum 8. Mai 2022.
WO: Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin.

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