Eine Ode an das Jetzt
Das MUSEUM OF NOW eröffnet in Berlin

21. Oktober 2019 • Text von

In einer denkmalgeschützten Lagerhalle in Berlin-Neukölln vereint das MUSEUM OF NOW auf spektakuläre Weise vierzehn Positionen junger Künstler und Künstlerinnen, deren Arbeiten um die abstrakte Idee einer absoluten Gegenwärtigkeit kreisen.

MUSEUM OF NOW, Berlin, Foto Credits: Danielo Pasquali.

Kunst soll den Betrachter bereichern, ästhetisch ansprechen, provozieren, zum Denken anregen – schlicht unsere Augen für neue Perspektiven öffnen. Egal, wie lange wir vor einem Kunstwerk stehen, es betrachten, darüber sinnieren, wie wir es evaluieren, ist nach wenigen Sekunden entschieden. Man kann noch so lange darüber diskutieren, die Entscheidung, ob es uns gefällt oder nicht, ist im Moment des erstmaligen Betrachtens gefallen. Um diesen einmaligen Moment, die absolute Anwesenheit eines Menschen, Kunst im Hier und Jetzt wahrzunehmen, geht es den vier Kuratoren Denis Leo Hegic, Jan Gustav Fiedler, Katja Hermann und Michelle Houston, die für 10 Tage ihr nomadisches Ausstellungskonzept MUSEUM OF NOW präsentieren.

MUSEUM OF NOW, Berlin, Foto Credits: Danielo Pasquali.

Betritt man die schier endlosen Weiten der ehemaligen Industriehalle aus den 1920er Jahren in Berlin-Neukölln, die noch bis zum 27. Oktober als Ausstellungsfläche für die „Suche nach dem Jetzt“ dient, lässt sich wohl der Moment des ersten Betrachtens in einem „Wow“, einem Erstaunen zusammenfassen. Überdimensionale Lichtskulpturen, monumentale Plastiken, eine Soundinstallation, die als eine Art Herzschlag der Ausstellung die Halle alle drei Sekunden mit einem dumpfen Schlag erfüllt. Gigantisch, laut, ganz klar, es geht um den Effekt. Im Hier, das Jetzt; eben „Wow“. Hat man den Eingangsbereich passiert, thront mittig in einer Ästhetik, die an überdimensionale Jeff-Koons-Ballonhunde oder comichafte KAWS-Skulpturen denken lässt, eine sieben Meter hohe „Mega Viki“, eine silberschimmernde Monumentalkugel, die als ein ironisches Selbstbildnis des slowakischen Künstlers Viktor Frešo gelesen werden kann. Umkreist man den prominent platzierten Silberballon, leuchtet einem die überlebensgroße wie fragile Lichtskulptur der deutschen Künstlerin Susanne Rottenbacher entgegen. Lichtgeschwindigkeit visualisiert, den Augenblick in LED-Stäben festgehalten. Dan Flavin nur gebogen und von der Decke hängend ist Rottenbachers Skulptur wie das Herzstück der Ausstellung, das auf die an den Seiten der Halle ausgestellten Werke ausstrahlt.

Amoako Boafo (li.), Susanne Rottenbacher, Disassembly, 2017, MUSEUM OF NOW, Berlin, Foto Credits: Danielo Pasquali.

Da wäre zum einen die aussagekräftige Porträtreihe des momentan vielgefeierten afrikanischen Malers Amoako Boafo. Ganz ähnlich zu anderen zeitgenössischen Porträtkünstlern, wie Kehinde Wiley, schafft auch Boafo, eine neue Bildsprache, die die gesellschaftliche Situation von People of Color sowie auch seine eigenen Erfahrungen, als in Österreich lebender, dunkelhäutiger Mann widerspiegelt. Gekonnt schafft Boafo einfühlsame Porträts, die den Einfluss österreichischer großer Maler wie Gustav Klimt oder Egon Schiele in den locker gemalten Pinselstrichen erkennen lassen. Eindrücklich sind auch die Arbeiten des litauischen Künstlers Valentyn Odnoviun, der in seinem ausgestellten Zyklus „Surveillance“, eine Serie von Fotografien, Türspione von ehemaligen Gefängnissen der Gestapo oder der Stasi aufgenommen hat.

Valentyn Odnoviun, Surveillance, 2016-2018, MUSEUM OF NOW, Berlin, Foto Credits: Danielo Pasquali.

Streift man durch die Weiten der Halle, vorbei an den Radierungen von Denis Haračić und den eindrücklichen, kleinformatigen Malereien Maximiliano Leóns und umrundet den Monumentalkopf „Viki“, stößt man am Ende auf die gekonnt in Szene gesetzten, fast „erleuchteten“ Arbeiten des Künstler Marius Glauer. In der 2017 entstandenen Fotografie-Serie „Last“ gelingt es Glauer eine schimmernde Industriefolie durch verschiedene Lichteinfälle zu einer fast dreidimensionalen Skulptur werden zu lassen. Daneben zeigt der Künstler in einem kleinen Raum, die 2019 entstandene Arbeit „Fidelity“. Mit hawaiianischer Musik unterlegt, in Pink und Neon-Blau getaucht, öffnet sich dem Betrachter durch eine Fensteröffnung eine Installation aus einem schwarz-weißen Hochzeitsfoto des Künstlers gepaart mit frühen monumentalen PVC-Drucken. Man taucht ein in den privaten Moment der Hochzeit, ist gegenwärtig Teil davon. Im Hier. Vor dem „eingefangenen“ Jetzt.

Marius Glauer, Last, 2017, MUSEUM OF NOW, Berlin, Foto Credits: Danielo Pasquali.

Es gefällt, es ist eine Ausstellung, die groß, laut ist, auffallen will. Und das gelingt ihr. Die Positionen der Künstler und Künstlerinnen divergieren in Material, Form, Inhalt, in ihren Gedanken um das „Jetzt“. Skulptur, Licht, Sound. Da ist für jeden etwas dabei. Erkenntnisse über die abstrakte Idee der Zeit, gefangen zu sein zwischen Vergangenem und Kommendem oder Antworten auf die Frage, was dieses „Jetzt“ eigentlich ist, erhält man vielleicht nicht. Will man aber auch nicht. Eher verlässt man mit dem dumpfen Sound des Künstler Deux Ex Lumina in den Ohren die Ausstellung und ist in jedem Fall um einige kleine Momente freudiger Wahrnehmung, freudigem „Jetzt“ durch die Kunst reicher.

WANN: Das MUSEUM OF NOW ist noch bis zum Sonntag, den 27. Oktober täglich von 14 Uhr bis 20 Uhr geöffnet. Mehr Infos gibt es hier.
WO: Museum OF NOW, Ziegrastraße 1, 12057 Berlin.

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