Digitaler Weltenbau
Danielle Brathwaite-Shirleys interaktive Erlebniswelten

12. Januar 2022 • Text von

Danielle Brathwaite-Shirley ist eine Künstlerin, die vor allem in den Bereichen Animation, Sound, Performance und interaktive digitale Erfahrungen arbeitet. Mit Hilfe von Text, Sound und Grafik archiviert und kommuniziert Danielle Brathwaite-Shirley die Erfahrungen Schwarzer Trans-Person. Gelebte Ereignisse, fiktionale Erzählungen und persönliche Geschichten werden miteinander verwoben, wodurch faszinierende und oft rätselhafte Welten entstehen. Wir sprachen mit der Künstlerin über die Funktion von Archiven, die Geschichte von Videospielen und reflektierende Kunstwerke. 

Danielle Brathwaite-Shirley: FORMAT, Exhibition by Charlotte Jopling, Studio Anicca Photography.

gallerytalk.net: Wie komponierst du deine digitalen, interaktiven Erlebnisse?
Danielle Brathwaite-Shirley: Bei der Kreation dieser Werke arbeite ich mit einer Gruppe von Menschen zusammen. In der Regel stelle ich ein temporäres Team aus Black-Trans-Personen zusammen, die im Allgemeinen keine Künstlerinnen sind. Die erste Frage, die ich stelle, lautet: “Wie kann ich euch archivieren?”. Aufgrund der Technologien, die wir haben, denken die Leute bei Archiven an etwas sehr Visuelles, wie das Kuratieren von Fotos. Ich hingegen frage mich, wie ich das Wesen von Ihnen einfangen kann, die Nuancen und nicht nur Ihr Aussehen. Dann fange ich an, eine Landschaft zu bauen, die auf ihnen basiert.

Wie gehst du vor?
Ich mache Fotos von ihnen und verwende diese dann, um das virtuelle Gras zu gestalten, oder ich verwende Bilder ihrer Augen, um die Bäume zu formen, oder ich verwende ihre Haare, um den Himmel zu gestalten. Es ist die Grundlage ihre Körper, die den digitalen Raum bestimmen. Wenn ich ein Abbild von ihnen baue, muss es nicht wie sie aussehen. Stattdessen kann es von etwas anderem handeln, aber auf einer Geschichte basieren, die sie mir erzählt haben.

Wie kann man eine reale Person digital darstellen?
Als ich jünger war, habe das Videospiel “Blade” gespielt, das auf dem Film mit Wesley Snipes basiert. Ich hatte einige Teile des Films gesehen und als ich das Spiel sah, ich war noch sehr jung, dachte ich, dass Wesley Snipes in eine Maschine einsteigen musste und dass sie sein Wesen einscannen würden und ein Teil von ihm in das Spiel transportiert werden würde, nur so konnten sie ihn im Spiel darstellen. Und diese Idee blieb bei mir hängen. Wenn ich mir Personen ansehe, versuche ich, diesen Prozess des Erfassens der Essenz eines Menschen anzuwenden und ihn in den virtuellen Raum zu übertragen. Das ist auch der Grund, warum ich gerne viele Iterationen durchführe, um Dinge auszuprobieren, um zu sehen, ob sich etwas wie eine gute Repräsentation anfühlt, und nicht nur wie eine visuelle Darstellung.

Danielle Brathwaite-Shirley: BLACKTRANSAIR – I Can’t Remember a Time I Didn’t Need You.

Also basieren nicht nur die Figuren in deinen Environments, sondern auch die Architektur auf tatsächlichen Menschen?
Die Architektur des digitalen Raums ist um die Menschen herum aufgebaut, die wir archivieren. Jeder Prozess ist völlig anders, je nachdem, mit wem wir arbeiten, was sie sagen, wie sie archiviert werden müssen, welche Art von Raum es sein muss. Und das wiederum bestimmt auch, wie man spielt, welche Form von Interaktivität wir haben.

Dein Projekt blacktransarchive.com ist ein Ort, an dem die Repräsentation von schwarzen Trans-Personen zelebriert wird, aber die Seite steht auch Cis-Personen offen. Was denkst du, wie werden sich deren Erfahrungen unterscheiden?
Während der Entwicklung von blacktransarchive.com habe ich mich gefragt, wie man dieses Archiv zugänglich machen kann. Wir wollten, dass es online ist, aber dann kann natürlich jeder darauf zugreifen. Deshalb haben wir eine Funktion eingeführt, bei der sich die Nutzer*innen in Bezug auf ihr Geschlecht identifizieren müssen, was auch ihre Erfahrungen beeinflusst. Für diese Arbeit haben wir schließlich ganz unterschiedliche Routen für unterschiedliche Nutzer*innen gebaut, um die Idee des Trans-Tourismus zu vermeiden.

Was kann ich erwarten?
Anstatt dorthin zu gehen, um etwas über transsexuelle Menschen zu erfahren, erlebt man eine eigene Geschichte, und die Entscheidungen, die man innerhalb des Games trifft, verändern diese Geschichte. Es ist nicht das Spiel, das dir etwas erzählt, sondern vielmehr deine Entscheidungen, die dir etwas über dich selbst erzählen. Durch die Interaktion mit dem Publikum entsteht die Erzählung. Das Game selbst soll nicht belehrend sein.

Danielle Brathwaite-Shirley: Pirating Blackness.

Eine andere Arbeit von dir, “Examining the Sea”, ist textbasiert. Warum verwendest du diese Technologie?
Ich bin besessen von der Geschichte der interaktiven Medien. Ich schaue mir gerne die ersten Spiele an, die produziert wurden. Bereits in den frühen 1980er Jahren gab es textbasierte Online-Rollenspiele, wie etwa MUD1 und andere Spiele, die auf der Grundlage von Text gespielt wurden, da Grafiken noch nicht verwendet werden konnten. Diese Spiele waren auch nicht nur zum Spaß gedacht, sondern hatten auch andere Zwecke: Sie erklärten, wie man aus einem brennenden Haus flieht oder wie man eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durchführt. Diese Spiele wurden damals also als andere Medien genutzt, als neue Wege, Dinge zu vermitteln.

Auch deine anderen “Spiele” haben einen Retro-Look.
Ich verwende diese alte Ästhetik und die alten Plattformen, weil ich sehen möchte, wie viel unerforschtes Terrain in diesen Spiel-Engines steckt und wie weit wir sie treiben können. Vielleicht kann ein Spielsystem aus den 1980er Jahren, das auf experimentelle Weise eingesetzt wird, das perfekte Format sein, um eine Person von heute zu archivieren. Es gibt so viele ungenutzte Ressourcen. Und die frühen Spiele waren wirklich wild, man musste ein Künstler sein, um diese Spiele zu bauen. Ich bin nicht so sehr daran interessiert, dass meine Arbeiten super-realistisch sind.

Um was geht es dir?
Das Wichtigste ist die Art und Weise, wie man eine Geschichte erzählt. Das ist der Grund, warum ich Folklore so interessant finde und warum die Menschen eine so starke Affinität zu Mythen und Märchen haben. Ich entwerfe eine Figur, die in eine Welt passt, weil die Welt für diese Figur geschaffen wurde und die Geschichte auf den Worten aufbaut, die mir eine Person erzählt hat. Etwas, worauf ich mich spezialisiert habe, ist das World-Building, das Erschaffen einer ganzen Welt auf der Grundlage einer Geschichte, die mir jemand erzählt.

Danielle Brathwaite-Shirley: She keeps me damn alive.

Wie wichtig ist der Aspekt der Interaktivität für deine künstlerische Praxis?
Ich bin sehr daran interessiert, das Publikum als Medium zu nutzen und die Art und Weise, wie man das Werk wahrnimmt, zum Hauptpunkt des Werks zu machen. Eine Arbeit, die ich vor kurzem gemacht habe, heißt “She keeps me damn alive”, ich wollte im Grunde die Bewegungen zweier schwarzer Trans-Personen archivieren und habe dafür ein Ballerspiel um ihre Bewegungen herum gebaut habe. Die guten, aber auch die schlechten Charaktere basierten auf ihren Bewegungen.

Das Publikum sollte also in diesem Spiel selbst schießen?
Aber ich habe ihnen nicht gesagt, auf wen sie schießen sollen, sondern ich habe betont, dass es eigentlich schrecklich ist, in einem Waffenspiel aufgeregt zu sein, weil man schießen darf. Also haben die meisten Leute am Ende gar nicht geschossen und sind somit im Grunde an dem Spiel gescheitert. Ich bin sehr daran interessiert, dass das Publikum in einem Kunstwerk etwas herausfindet. Ein Prozess des ständigen Scheiterns, zu wissen, was zu tun ist. Das Publikum entwickelt sich aktiv mit dem Werk weiter, anstatt nur passiver Rezipient einer Erzählung zu sein.

Danielle Brathwaite-Shirley: Installation view of SHE KEEPS ME DAMN ALIVE , 2021, arebyte Gallery, London. Image: Dan Weill.

Was sind deine nächsten Pläne?
Wir arbeiten an einer Installation, die durch den Betrachter aktiviert wird. Die Art und Weise, wie man sie betrachtet, verändert das Geschehen, das Kunstwerk verfolgt alles, was man tut, und wird permanent davon beeinflusst, was man mit ihm macht. Das Werk wird sich selbst archivieren, und jedes Mal, wenn man mit ihm interagiert, wird die folgende Person eine völlig andere Erfahrung machen. Am Ende wird es eine komplett andere Sache sein als am Anfang.

Wie kann man sich das technisch vorstellen?
Wir werden Überwachungstechnologie als Eingabemethode für eine Geschichte verwenden. Eine KI kann deinen Gesichtsausdruck lesen, ob du glücklich oder traurig bist, sie zeichnet auf, mit wem du sprichst. Es gibt so viele Möglichkeiten, dies als Eingabemethode zu nutzen. Wenn also eine große und laute Gruppe hereinkommt, wird die Arbeit selbst vielleicht still werden. Das Kunstwerk wird in gewisser Weise autonom sein und entscheiden, wen es mag und wen nicht. Im Idealfall wird das Werk zu einem Individuum, das eigenständig entscheidet und handelt.

WANN: Die Ausstellung “SHE KEEPS ME DAMN ALIVE” ist noch bis zum 19. Februar zu sehen.
WO: arebyte Gallery, Java House, 7 Botanic Square London City Island, E14 0LG.

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