Barbara Gross schließt ihre Türen
Die Galeristin über Meilensteine und Spätruhm

23. April 2020 • Text von

Über 35 Jahre hat Barbara Gross die Münchner Kunstszene und darüber hinaus maßgeblich mit ihrer Galerie und vor allem mit ihrem Engagement für Künstlerinnen geprägt. Wir sprachen anlässlich ihrer letzten Ausstellung Open Doors/Closing Doors mit der Galeristin über Meilensteine, Spätruhm, chinesische und politische Kunst.

Barbara Gross in der Galerie vor einem Werk von Kiki Smith. Foto: Marco Funke.

Barbara Gross begann 1980 mit der Herausgabe vom Grafikeditionen von Künstlerinnen, es folgten Ausstellungen im Verein Continuum und 1988 die Eröffnung der Galerie unter eigenem Namen. Durch die langjährige Begleitung und Betreuung von Künstlerinnen wie Maria Lassnig, Nancy Spero oder Kiki Smith und deren kontinuierliche inhaltliche Repräsentation, vermittelte Barbara Gross zahlreiche Museumsausstellungen, Sammlungsankäufe und ist nicht zuletzt zu einer der wichtigsten Vertretungen weiblicher Positionen in der zeitgenössischen Kunst geworden.

gallerytalk.net: Sie gaben Ende März bekannt, dass Sie Ihre Galerie in München nach 32 Jahren schließen werden. Wie kam es zu dieser Entscheidung und wie geht es für Sie als Agentin weiter?
Barbara Gross: Ich habe mir viel Zeit genommen um diese Entscheidung zu fällen und lange überlegt, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form ich die Galerie schließen werde. Das Programm der Galerie ist sehr stark mit mir als Person verbunden und hat sich nach meinen Kriterien entwickelt. Seit meiner Entscheidung habe ich mit vielen KünstlerInnen Gespräche über Möglichkeiten einer weiteren Zusammenarbeit geführt. Vor allem die jüngeren Positionen, die noch keine andere Galerievertretung haben, werde ich weiterhin in ihren Karrieren unterstützen und begleiten. Auch mit den Künstlerinnen Katharina Gaenssler und Michael Melián, die in München leben, werde ich weiterhin in engem Austausch stehen.

Sol Calero: Pasaje del olvido, Installationsansicht Barbara Gross Galerie, 2019, Foto: Wilfried Petzi.

Sie hören also nicht komplett auf?
Es laufen noch einige Ausstellungsprojekte, Leihgaben für Museen, längerfristige Verkäufe und Gespräche mit Sammlungen weiter. Aber die Räume der Galerie werden Ende Mai geschlossen. Ich freue mich darauf, zukünftig mehr Zeit für die Kunst und die KünstlerInnen zu haben. Als letzte Ausstellung zeigen wir Arbeiten typischer Positionen des Galerieprogramms. Aufgrund der aktuellen Situation mit Covid-19 und der allgemeinen Verunsicherung ist es nicht der Moment um große Werke zu präsentieren. Es gibt auch keine feierliche Vernissage, darauf müssen wir verzichten. Die Katalogbestände aus unserer Bibliothek gehen größtenteils als Schenkungen an die Akademie der bildenden Künste München.

Können Sie Momente hervorheben, die für die Entwicklung der Galerie von entscheidender Bedeutung waren?
Entscheidend für mich war die Erfahrung, dass ich trotz geringem kommerziellem Erfolg als Galeristin, abseits von Metropolen oder großen Zentren des Marktes, etwas erreichen kann. Dass ich als ein Ein-Frau-Betrieb Ausstellungen für Künstlerinnen in Museen und Institutionen anregen und Ankäufe vermitteln kann. Am Anfang meiner Tätigkeit war ich für die Vorbereitung und Betreuung musealer Ausstellungen mit Ida Applebroog, Ana Mendieta oder Nancy Spero viel in den USA. Auch Louise Bourgeois habe ich regelmäßig besucht. Obwohl ich sie eigentlich nur zweimal in Ausstellungen bei mir zeigte, habe ich sie mit Verkäufen über viele Jahre begleitet.

Louise Bourgeois / Maria Lassnig / Nancy Spero, Another Normal Love, Installationsansicht Barbara Gross Galerie, 2015, Foto: Wilfried Petzi, © The Easton Foundation.

Welche Entwicklungen konnten sie in dieser Zeit beobachten?
Ab Mitte der 90er Jahre hat sich der Markt stark verändert und auch andere Galerien fingen an – zumindest eine – Künstlerin im Programm zu zeigen. Damit fiel mein Alleinstellungsmerkmal irgendwann weg. Neben Monika Sprüth, die auch amerikanische Künstlerinnen in Deutschland ausstellte, war ich lange die einzige mit diesem Ansatz. Mein Programm war nie ein einfaches Geschäftsmodell und leider lange nicht von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Ich bin jedoch meiner Überzeugung stets treu geblieben und bis heute bildet die Kunst von Frauen einen Schwerpunkt im Programm.

Wie funktionierte der Spagat zwischen Weiterentwicklung und sich treu bleiben?
Persönlich war die Erweiterung des Programms zur chinesischen Kunst hin eine wichtige Erfahrung. 2000 fand in China eine Ausstellung von Jürgen Partenheimer statt, die ich betreute und seither recherchierte und besuchte ich viele Künstler in Shanghai und Peking. Ich habe neue KünstlerInnen kennengelernt und heute vertrete ich fünf chinesische Positionen. Es ist ein völlig anderer Kulturkreis, der mich fasziniert. Das Programm der Galerie wurde in der Folge immer internationaler. Im Mai 2010 folgte der Umzug ins Museumsviertel. Der neue Ort hat es möglich gemacht, andere Positionen, konzeptuelle Kunst und Installationen zu zeigen. Die Räume spielen immer eine wichtige Rolle, bestimmen die Möglichkeiten, was und wen man ausstellen kann.

Ji Dachun Qiu Anxiong Zheng Guogu, Installationsansicht Barbara Gross Galerie, 2019. Foto: Wilfried Petzi.

Mit der internationalen Erweiterung des Programms kamen dann auch neue Themen. Womit beschäftigten sich diese KünstlerInnen in den frühen Nullerjahren zum Beginn Ihrer Zusammenarbeit?
Die chinesischen Künstler beschäftigen sich sehr stark mit ihrer Geschichte, Kultur und Religion. Sie haben gerade nicht den westlichen Kunstkanon kopiert oder adaptiert, sondern schauen zurück in ihre eigene Tradition – auf ganz unterschiedliche Weise. Zheng Guogo verbindet zum Beispiel Popkultur mit der klassischen chinesischen Schriftkultur. Ji Dachun bezieht sich auf die traditionelle chinesische Malerei, lässt gleichzeitig sein enormes Wissen über die zeitgenössische westliche Kunst als Referenz einfließen. Dennoch bleibt seine Kunst in seiner Herkunft verwurzelt. Die Künstler reflektieren ihre Situation, ihre Realität. Sie beschäftigen sich mit den Fragen: wo stehen wir, was machen wir, was wollen wir, wer sind wir? Aus der Reflexion über die eigene Situation entsteht eine sehr authentische Kunst.

30 Jahre Barbara Gross Galerie Teil 1, Installationsansicht Barbara Gross Galerie mit Werken von Ida Applebroog, Jana Sterbak, Silvia Bächli, Nancy Spero und Katharina Sieverding, 2018. Foto: Wilfried Petzi.

Lassen Sie uns noch einmal einen Blick zurückwerfen. In Ihrer ersten Ausstellung 1988 präsentierten Sie, teilweise erstmals in Deutschland, eine Gruppe von Künstlerinnen, darunter Ida Applebroog, Ina Barfuss, Miriam Cahn, Hannah Collins, Maria Lassnig, Katharina Sieverding und Nancy Spero. Von Anfang an setzten Sie damit Ihr Augenmerk verstärkt auf weibliche Positionen, die damals kaum auf dem Markt präsent waren – es bis heute schwer haben.
Die Situation hat sich sehr verändert, Frauen sind heute viel präsenter, sie gehören zum Kunstmarkt dazu. Jedoch vieles lässt sich nicht mehr nachholen, wie zum Beispiel institutionelle Ankäufe von Werken von Maria Lassnig, Louise Bourgeois oder Kiki Smith. Sie haben heute auch ihre Preise und sind leider kaum in deutschen Museen vertreten. Ungleichheit besteht nach wie vor bei den Preisen, der Wertschätzung, dem Sammlerinteresse, dem Verständnis für ihre Kunst – überhaupt in einer gleichberechtigten Wahrnehmung. Es wird am Markt immer noch mit dem männlichen Maß gemessen. Viele Künstlerinnen haben innovativ gewirkt und Kunstformen wie Performance und Video eingeführt. Beides sind Formate, die wenig kunstmarktrelevant sind.

Es gibt in den letzten Jahren den Trend museale Ausstellungen mit Künstlerinnen zu zeigen, deren Werk neu aufgearbeitet wird, da sie neben ihren männlichen Kollegen in der Vergangenheit übersehen wurden. Ein gutes Beispiel dafür ist Ana Mendieta, Ehefrau von Carl Andre, die sie auch in Ihrer Galerie gezeigt haben. Was denken Sie über diese Form von Spätruhm, lässt sich die Kunstgeschichte dadurch umschreiben?
Entscheidend für die Künstler – egal ob Mann oder Frau – ist, ob sie diese Entwicklung selber noch erleben können. Diese Erfahrung ist ganz wichtig, wenn man lange übersehen wurde oder die Kunst, die man machte, nicht anerkannt wurde. Postum ist die Situation eine andere – Ana Mendietas Werke sind dennoch für uns heute hochspannend. Louise Bourgeois hat ihren eigenen Ruhm noch erlebt, Maria Lassnig würde sich heute freuen zu sehen, wie viele Museumsausstellungen sie erhält. Man kann ihr nur Recht geben, dass sie ihre Arbeiten immer zurückgehalten hat. Nun gibt es den Maria Lassnig Estate, aus dem unendlich geschöpft werden kann. So ist es für Museen heute relativ einfach eine umfangreiche Ausstellung zu präsentieren. Das gilt aber eben nicht für alle Künstlerinnen und nicht alle erfahren diese Anerkennung überhaupt. Es gilt noch sehr viel nachzuholen. Der Spätruhm ist auf jeden Fall wichtig und er macht die aktuelle Kunstwelt vielfältiger.

Maria Lassnig, Body Awareness – Druckgrafik aus New York, Installationsansicht Barbara Gross Galerie, 2017. Foto: Wilfried Petzi.

Im vergangenen Dezember zeigten Sie einzelne Arbeiten Ihrer „Frauenbilder“ Edition von 1982, unter anderem von Niki de Saint Phalle, Ulrike Rosenbach und VALIE EXPORT. Die Themen Identität, Repräsentation und Gewalt werden bei diesen Künstlerinnen in Auseinandersetzung mit ihrem Körper als Träger künstlerischer Interventionen untersucht und ausgedrückt. Wie kann der Körper als Medium in der Kunst politisch werden?
„Das persönliche ist politisch“ war schon in den 1970er Jahren die Devise, natürlich auch in der Kunst. Die Reflexion der eigenen Situation als Frau habe ich immer als ein spannendes Thema und das Kriterium für die Qualität ihrer Kunst angesehen. Seit Paula Modersohn-Becker über Nancy Spero, Katharina Sieverding, Tejal Shah bis Sol Calero finde ich dies bestätigt. Über den Körper formulieren sie ihre Überzeugungen, ihren Mut, ihre Scham und Wut. Hier geht es nicht nur um eine einmalige Idee. Dass dies Ausdruck findet über den Körper, Stichwort Körperkunst, und dass dies auch politisch gemeint war, ist klar. Nacktheit, dargestellt von einer Frau oder im Selbstportrait war revolutionär in dieser Zeit. Die Darstellung der Nacktheit allein war ungewöhnlich, schockierend und mutig. Extreme Beispiele wie Gina Panes Aktion, in der sie sich mit einer Rasierklinge die Pulsader aufschneidet oder VALIE EXPORTs Performance, in der sie sich die Nagelhaut mit einem Messer entfernt, sind feministische Statements. Die Selbstverletzung der Frauen drückt sowohl die Verletzung aus, die ihnen zugefügt wird als auch die, die sie sich selber zufügen und dann wieder lindern mit dem Satz: „Ich halte das schon aus“.

30 Jahre Barbara Gross Galerie Teil 1, Installationsansicht Barbara Gross Galerie mit Werken von Miriam Cahn, VALIE EXPORT, Louise Bourgeois, Anna Oppermann, Silvia Bächli und Maria Lassnig, 2018. Foto: Wilfried Petzi.

Welche Rolle spielte in Ihrer langjährigen Tätigkeit als Galeristin die Vermittlungsarbeit?
Die Vermittlungsarbeit war mir immer sehr wichtig, damit habe ich schon früh angefangen und vielleicht gehörte es bei meinem Programm auch einfach dazu. Man musste für seine eigenen Überzeugungen schon mit Nachdruck arbeiten und vermitteln. Auch in den letzten zehn Jahren haben wir verstärkt eine Reihe von Künstlergesprächen zu den Eröffnungen organisiert. Das war für neue Positionen im Galerieprogramm von Bedeutung. Aber auch viele andere Aktivitäten und Veränderungen gingen in den letzten Jahrzehnten von der Galerie aus, wobei sich unsere Arbeit langfristig in den Münchner Sammlungen und Museen zeigt.

Andrea Büttner, Installationsansicht Barbara Gross Galerie, 2019. Foto: Wilfried Petzi.

Neben ihrem enormen inhaltlichen Engagement, wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Institutionen gewesen?
Wir konnten Künstlerinnen ihre ersten Ausstellungen in Museen vermitteln, z.B. wurde Jana Sterbak schon 2002 im Haus der Kunst gezeigt oder es gab Ankäufe von Werken von Andrea Büttner, Tejal Shah und Karin Sander in die Sammlung des Lenbachhaus. Ich habe auch 2019 die Schenkung des gesamten druckgrafischen Werks von Kiki Smith mit insgesamt 800 Einzelblättern, Serien und Künstlerbüchern an die Graphische Sammlung bewirkt. Die Werke sind permanent in die Sammlung übergegangen und es werden auch zukünftig noch weitere ergänzt werden. Es ist mir wichtig, dass ich durch meine Arbeit etwas bewegen konnte und wünsche mir, auf diese Weise auch weiterhin aktiv zu sein.

WANN: Im Mai 2020.
WO: BARBARA GROSS GALERIE, Theresienstrasse 56, Hof 1, 80333 München.

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