Ausstellungstexte – aber in gut!
Laura Helena Wurth erklärt das Schreiben über Kunst

12. Mai 2021 • Text von

Texte, die nur bei maximaler Konzentration und mit Kenntnissen über den entsprechenden Fachjargon zu dekodieren sind: Niemand braucht sie, trotzdem werden sie andauernd geschrieben. Wieso ist es so schwierig, tolle Ausstellungstexte in die Finger zu bekommen? Das erklärt uns mit Laura Helena Wurth eine, die selber tolle Ausstellungstexte schreibt.

Ausstellungsansicht mit Gemälden von Andi Fischer. Ins Bild montiert: ein Sockel mit einem Stapel Papier drauf, der von einem Scheinwerfer angestrahlt wird.
Hintergrund: Andi Fischer: “TaTa ongart”, Installationsansicht, Åplus, 2021. Courtesy of Åplus. Collage: gallerytalk.net.

gallerytalk.net: Wieso sind Ausstellungtexte eigentlich oft so ätzend?
Laura Helena Wurth: Ich weiß nicht, ob man per se sagen kann, dass Ausstellungstexte ätzend sind. Ganz viele sind ja eigentlich nur ein Versuch, eine weitere Vermittlungsebene hinzuzufügen zur ganz direkten Erfahrung, die man als Besucher*in mit der Kunst machen kann. Oder um einfach einen Anhaltspunkt zu geben, an dem sich der Besuchende dann entlang hangeln kann. Ich glaube, der aktuelle Zustand des „Über-Kunst-Schreibens“ ist gar nicht so schlecht, wie man immer denkt.

Ich bin noch nicht überzeugt, das musst du ausführen.
Schaut man sich zum Beispiel Kunstkritiken aus den 70er Jahren an, dann schlackern einem die Ohren, ob all des Geschwafels. Im Vergleich dazu ist heute eigentlich gar kein Text mehr richtig ätzend. Ganz prinzipiell bemühen sich mittlerweile alle um mehr Klarheit und vor allem auch darum, möglichst viele Leute mitzunehmen. Doch der eigentliche Grund für schwer verständliche und verschwurbelte Texte, die nicht so richtig wissen, was sie wollen, ist viel banaler: Geld. Viele sehen es nicht ein, den Wert von Ausstellungstexten auch monetär auszudrücken, und lassen den Text dann einfach den überarbeiteten Praktikanten oder den Assistenten schreiben. Da können gute Sachen bei rauskommen, aber prinzipiell ist es natürlich einfach besser, wenn man das jemanden machen lässt, der nicht aus Angst vor dem Galerieboss zittert oder eigentlich noch den Transport oder Aufbau der Ausstellung überwachen muss.

Was kann ein Ausstellungstext leisten?
Er kann natürlich Informationen bieten, die den Betrachtenden dann in die Lage versetzen, sich eigene Gedanken zu machen und diesen Gedanken auch zu trauen. Oft tun Besuchende von Ausstellungen ihre eigenen Gedanken zu Kunstwerken als zu banal oder als nicht wichtig ab. Dabei ist ja das Gegenteil der Fall. Ich finde, ein Ausstellungstext sollte als Werkzeug der Ermutigung gedacht werden, das die Lücke zwischen den Besuchenden und der Kunst schließt. Wenigstens ein bisschen. Oder zumindest denjenigen, der sich da Kunst anguckt, ermutigt, sich ruhig seine eigenen Gedanken zu machen. Im besten Fall gibt ein Text dem Besuchenden das Gefühl, angesprochen und gemeint zu sein.

Laura Helena Wurth. Photo. privat.

Was kann ein Ausstellungstext nicht leisten?
Was ein Ausstellungstext in jedem Fall nicht kann, ist eine fundierte Kritik ersetzen. Schon allein deswegen, weil die Galerien oder Künstler*innen ja selber für den Text bezahlen. Das darf man, glaube ich, nicht durcheinanderbringen. Das sind beides völlig unterschiedliche Textgattungen mit unterschiedlichen Zielen und auch Zielgruppen. Natürlich bietet man in einem Ausstellungstext auch eine Interpretationsebene an, aber so ein Text ist als ein Angebot von vielen zu verstehen. Auch weil die Künstler*innen dabei ja immer einen gewissen Grad an Mitspracherecht haben.

Was bedeutet das konkret?
Wenn ihnen was gar nicht gefällt, dann können sie sagen, dass sie das so nicht wollen. Manche wollen auch bestimmte Wörter nicht im Zusammenhang mit ihrer Arbeit sehen. Das macht den Ausstellungstext als Textgattung aber auch so interessant und zu einem effektiven Werkzeug. Deswegen ist es schade, dass der Ausstellungstext oft so ein bisschen hintenüberfällt und meistens erst ganz zum Schluss dazu gedacht wird. Aus der Textgattung ist viel mehr rauszuholen. Für die Kunst, aber auch für den Text.

Ich vermute ja, viel Mist wird angerichtet, weil für diese Texte vorab eben keine Zielgruppe definiert ist. Im Rahmen meiner journalistischen Arbeit habe ich ganz andere Anforderungen an einen Begleittext, als wenn ich mir spontan privat etwas anschaue. Wieso wird mir da trotzdem derselbe Text vorgelegt?
Man braucht einen Text, der das Bedürfnis der Besucher*innen nach Erklärung auffängt und gleichzeitig die „Hard Facts“ vermittelt. Dabei kann ein Ausstellungstext eben so viel mehr sein als bloß schnöde Kontextualisierung. Man kann den Text in Verbindung zur Ausstellung sehen, als Anspielpartner, und die Verbindung vielleicht sogar eher als Korrespondenz. Text also nicht bloß als „Add On“, sondern als integraler Bestandteil einer Ausstellung.

Was hätte das für Implikationen?
Der Text wäre dann etwas, ohne das das Kunstwerk gar nicht rezipiert werden kann. Doch das würde dann auch bedeuten, dass man für den Text einen längeren Vorlauf einplanen muss und demnach auch bereit sein muss, mal richtig Geld dafür in die Hand zu nehmen. So könnte man länger mit dem Kunstschaffenden sprechen, sich die Arbeiten anschauen und richtig verstehen. Dann gehört der Text quasi zum Kunstwerk dazu und würde auch für Journalist*innen wichtig und vor allem nützlich sein. Gerade bei all der Konzeptkunst, zu der man einfach Kontext braucht, um Zugang zu finden, ist der Begleittext zum dran Festhalten ja enorm wichtig geworden. Wenn der Ausstellungstext gelungen ist, kann man damit als Fachpublikum genauso etwas anfangen wie jemand, der das erste Mal in einen Galerieraum gezerrt wird.

Wünschen sich Künstler*innen und Ausstellungsmacher*innen Texte, die vielleicht irgendwie aufs Werk einzahlen, mit denen Besucher*innen in der Regel nicht besonders viel anfangen können?
Ich kenn das eigentlich nicht. Ehrlich gesagt ist man meistens überraschend frei, wie man seinen Text angeht. Man wird ja vermutlich auch angefragt, weil die Künstler*innen und Galerist*innen die eigenen Texte und den Zugang mögen. Wenn also jemand einen knallharten kunsthistorisch einordnenden Text zur Ausstellung will, dann würde er mich vermutlich nicht fragen. Dass man sich oft in dieses Kurator*innen-Kauderwelsch zurückzieht, ist auch ein Schutzmechanismus. Der basiert darauf, dass man Kunst ja oft irgendwie verteidigen muss oder zumindest das Gefühl bekommt. Wenn man mit Wortkanonen um sich schießen kann, dann ist man sicher. Aber leider wird dabei niemand schlauer.

Müssten sich eigentlich alle ein bisschen schämen, die Elitismus im Kunstbetrieb anprangern und dann Texte in Umlauf bringen, die auch mit Hochschulabschluss nur in passender Tagesform und bei maximaler Konzentration zu dekodieren sind?
Ja, ganz klar. Viel mehr müssten sich aber all die Galerist*innen schämen, die nicht bereit sind, einen angemessenen Preis für den Text zu bezahlen. Da wird dann oft darüber schwadroniert, wie wichtig die Vermittlung – die der Text ja liefert – ist, aber um jeden Euro gefeilscht. Die Preise für die beschriebene Kunst siedeln sich ja aber oft eher im hochpreisigen Segment an, wohingegen man für den Text nur den Bruchteil dessen bezahlt, was so ein Verkauf mit sich bringt. Oft wird betont, dass man den Text unbedingt braucht, um das Kunstwerk zu verstehen, also auch um es letztendlich verkaufen zu können. Dann spiegelt sich das aber so gar nicht in den Preisen für Texte wieder. Im Preis zeigt sich ja auch Anerkennung.

Also einfach grundsätzlich bessere Bezahlung für Ausstellungstexte?
Ich frage mich, ob man als Autor*in in solchen Fällen nicht besser prozentual am Verkauf beteiligt werden sollte. Das gilt natürlich nicht für alle und ich selbst habe viele gute Erfahrungen gemacht, bei denen ich fair bezahlt wurde und wo vor allem auch Transparenz geherrscht hat. Aber ganz prinzipiell, nicht nur beim Ausstellungstext, ist es ja so, dass Text extrem schlecht bezahlt wird. Dafür sollte man sich auf jeden Fall schämen, aber es nicht dabei belassen, sondern es ändern. Schreiben sollte generell besser bezahlt werden, um zu vermeiden, dass irgendwann nur noch Leute schreiben, die es sich leisten können.

Wie gehst du vor, wenn du für einen Ausstellungstext beauftragt wirst?
Angucken, nachdenken, Notizen machen und erstmal eine Nacht drüber schlafen. Wenn das zeitlich nicht möglich ist: Spazieren gehen. Dann Notizen in brauchbare Sätze hauen.

Was gilt es tunlichst zu vermeiden?
Nichts. Man muss tun, was notwendig ist, um sich der Kunst irgendwie anzunähern. Dabei kann man machen, was man will. Was natürlich nervt, aber jetzt auch keine große Weisheit ist, sind zu viel Getue und der Versuch, etwas blumiger zu beschreiben, als es ist. Wenn ich damit anfange, dann weiß ich, dass ich irgendwas nicht kapiert habe. Es tut immer ganz gut, sich vorzustellen, dass man für jemanden schreibt, der mit Kunst nichts am Hut hat. Ich schreibe zum Beispiel meistens für meine Mutter, die Hebamme ist. Wenn sie damit was anfangen kann, dann funktioniert der Text.

Wann bist du mit deiner Arbeit richtig zufrieden?
Wenn Künstler*innen zufrieden sind und sich verstanden fühlen. Das finde ich dann gelungen. Und wenn ich das Gefühl habe, ich habe etwas wirklich so einfach und simpel wie irgendwie möglich ausgedrückt. Dann bin ich zufrieden. Außerdem ist es natürlich toll, wenn man von Leuten wie dir angefragt wird für sowas hier, weil sie das, was man macht, gut finden.

Mehr zu Laura Helena Wurth gibt es auf ihrer Website. Sie hat übrigens auch den Ausstellungstext zu “TaTa ongart” bei Åplus geschrieben, eine Installationsansicht der Show ist oben im Artikel zu sehen. Mehr dazu könnt ihr im Interview mit Künstler Andi Fischer lesen.

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