No hard feelings, Lucy McRae
Technologie und Emotionen im HeK Basel #2

3. September 2020 • Text von

Was, wenn uns niemand mehr anfasst? Kann eine Maschine dann menschliche Berührung ersetzen? Lucy McRae hat einen Umarmungsapparat gebaut. Mit gallerytalk.net spricht sie über Sinnesreize und die Macht der Kunst über die Technologie.

Lucy McRae liegt in ihrer Arbeit "Solitary Survival Raft", eine Art orangefarbenes Rettungsboot.
Lucy McRae: “Solitary Survival Raft”, 2020, studio shot. Photo: Ariel Fisher, Commissioned by HeK and MU for Real Feelings, Courtesy: the artist.

gallerytalk.net: Was sind ganz grundsätzlich deine Gefühle gegenüber Technologie?
Lucy McRae: Mich interessiert Biotech. Sobald wir im Bereich Biologie herumpfuschen, etwa mit Gentechnik wie CRISPR, gibt es schnell kein Zurück mehr. Einerseits ist Vorsicht geboten, andererseits verspricht man sich auch viel von Technologien wie diesen.

Wie hat Technologie deine Emotionen einmal direkt beeinflusst?
Durch Instagram. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal darauf achten würde, dass ich eine Arbeit fotografiere, bevor sie mein Studio verlässt. Horror! Meine Philosophie ist es, mir keine Gedanken darüber zu machen, was andere von mir denken. Social Media fordert mich dahingehend immer wieder heraus.

Lucy McRae steigt in ihre Arbeit "Solitary Survival Raft", eine Art orangefarbenes Rettungsboot.
Lucy McRae: “Solitary Survival Raft”, 2020, studio shot. Photo: Ariel Fisher, Commissioned by HeK and MU for Real Feelings, Courtesy: the artist.

Wahr oder falsch, dass Technologie uns Menschen einander näherbringt?
Das hängt davon ab, wie man sie einsetzt.

Wahr oder falsch, dass sich Emotionen leichter via Bildschirm zeigen lassen?
Das hängt von der konkreten Emotion ab – und von der Person, die sie ausdrückt.

Zur Ausstellung “Real Feelings” hast du eine Maschine beigesteuert, die Menschen umarmt. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?
„Solitary Survival Raft“ ist eine Maschine, die den Körper einbettet, während er ins Ungewisse gleitet. Per Schalter lässt sich eine Membran aufblasen, die sich wie ein Puffer zwischen Insass*innen und Welt schiebt. Mithilfe der Maschine werden Reisende fiktionale Umweltschützer*innen – ihre Körper werden zu Samen in einem Gewölbe, dass einen Sinnesreiz erhält, um den es gegenwärtig schlecht bestellt ist: Berührung. Mir geht es darum, dass menschliche Bestreben, neue Grenzen auszutesten, zu verbinden mit der Angst vor eben dem. Kippen wir am Ende doch von der Erdscheibe, wenn wir den Horizont erreichen, oder nähern wir uns der Wahrheit, wenn wir uns furchtlos zeigen?

Detailaufnahme von Lucy McRaes Arbeit "Solitary Survival Raft", eine Art orangefarbenes Rettungsboot.
Lucy McRae: “Solitary Survival Raft”, 2020, studio shot. Photo: Ariel Fisher, Commissioned by HeK and MU for Real Feelings, Courtesy: the artist.

Können Maschinen einen Mangel an Körperkontakt ausgleichen?
Ich sehe mich als Dolmetscherin. Ich nehme subtile Signale auf und übersetze sie – gerade empfange ich von der Welt sehr unscharfe Signale, es dominiert ein überwältigendes Gefühl der Unsicherheit. Die Frage ist doch, wie wir gelassen bleiben und gegen unser tief sitzendes Bedürfnis nach Stabilität ankämpfen können. Mein Floß ist Teil des „Future Survival Kit“, einer Serie von Prototypen, die Körper und Werte sicher verwahren. Ich möchte mit meiner Arbeit keine Antworten geben, sondern provozieren und Fragen aufwerfen.

Es besteht noch immer ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Einsatz moderner Technologie in der Kunst. Manche sehen das als Spielerei. Wie stehst du zu dieser Art Kritik?
Eine Gabel, die vibriert, sobald man zu viele Kalorien zu sich genommen hat, wäre wohl tatsächlich eine Spielerei. Kritik fördert Wachstum, allerdings pflege ich eine gesunde Gleichgültigkeit, was Labels oder Zuschreibungen anbelangt. Das schränkt Interdisziplinarität unnötig ein. Kunst kann Technologie lenken. Sie kann Fragen stellen, die andernfalls nicht gestellt worden wären. Der israelische Autor Yuval Noah Harari formuliert es sehr gut: „Wir glauben, dass sich Künstler*innen von inneren psychologischen Kräften leiten lassen und dass es der Sinn der Kunst ist, uns Zugang zu unseren Emotionen zu eröffnen oder uns zu einem neuen Gefühl zu verleiten.“

Lucy McRae liegt in ihrer Arbeit "Solitary Survival Raft", eine Art orangefarbenes Rettungsboot.
Lucy McRae: “Solitary Survival Raft”, 2020, studio shot. Photo: Ariel Fisher, Commissioned by HeK and MU for Real Feelings, Courtesy: the artist.

Werden wir in der Zukunft andere Wesen sein? Und wenn ja: Welche Rolle wird Technologie darin gespielt haben?
Hinter vielen meiner Arbeiten steht die Frage: Was macht uns menschlich? Der Tastsinn ist der erste Sinn, den ein Kind im Bauch der Mutter entwickelt. Was aber, wenn wir in Zukunft gar nicht mehr im Mutterleib heranwachsen? Was, wenn wir nicht länger geboren, gezüchtet werden? Wie können wir die Konsequenzen von so etwas überhaupt erfassen? Ich werde das weiterhin untersuchen und in meiner Kunst abbilden.

Die Ausstellung “Real Feelings” im Haus der elektronischen Künste Basel zeigt künstlerische Positionen zu Technologie und Emotionen. In unserer Interview-Reihe “No hard feelings” sprechen wir mit Künstlerinnen, deren Arbeiten im Rahmen der Schau zu sehen sein werden. Wir wollen wissen, wie kritisch sie Technik gegenüberstehen und wieweit sie sich in ihrem künstlerischen Schaffen, aber auch privat von ihr abhängig machen.

No hard feelings, Stine Deja: Technologie und Emotionen im HeK Basel #1

WANN: Die Ausstellung “Real Feelings” eröffnet am Donnerstag, den 27. August. Sie ist noch bis zum 15. November zu sehen.
WO: Haus der elektronischen Künste Basel, HeK, Freilager-Platz 9, 4142 Münchenstein / Basel.

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