Von queerer Liebe und lebenden Bären
"Into the drift and sway" im Bärenzwinger

8. Dezember 2021 • Text von

In der Gruppenausstellung „Into the drift and sway“ bespielen sechs zeitgenössische Künstler*innen den Bärenzwinger am Köllnischen Park in Berlin-Mitte. Die Ausstellung mit Arbeiten von Lotte Meret, Emma Wolf-Haugh, Lucas Odahara, Constantin Hartenstein, Christa Joo Hyun D’Angelo und Lindsay Lawson reflektiert die homosexuelle und queere Geschichte eines frühen Cruising-Ortes.

„Into the drift and sway“, Bärenzwinger, Berlin 2021, Installationsansicht (Detail), Foto: Juan Saez.

Noch heute verweist ein Wappen mit dem Berliner Bären über dem Eingang auf die Geschichte des Bärenzwingers als Präsentationsort lebendiger Wappentiere der Stadt Berlin. Damals, im Jahr 1939, so ließe sich behaupten, formierte sich damals bereits ein etwas anderer Ausstellungsort. Heute ist er ein Raum für ortsgebundene und zeitgenössische Kunst. Gebaut mit den alten Ziegeln eines früheren Stadtreinigungsdepots mit öffentlicher Bedürfnisanstalt steckt in dem Backsteinbau des Bärenzwingers allerdings auch noch eine eher verborgene Geschichte: Der Ort war um 1900 ein Rückzugs- und Schutzraum für Homosexuelle*, vor allem für Männer, ein früher Ort der Cruising-Kultur.

Die Auseinandersetzung mit der vielseitigen Architektur- und Nutzungsgeschichte des Bärenzwingers brachte die Kurator*innen der Ausstellung, Malte Pieper und Lusin Reinsch, auf die Fährte einer reichen homosexuellen Tradition rund um das Areal. Die Reflektionen der Künstler*innen in Form von Installationen, Zeichnungen und Skulpturen über Geschlecht, Cruising und queere Geschichte zeigen die Künstler*innen unter dem Titel „Into the drift and sway“, der einer Kurzgeschichte des AIDS-Aktivisten und Künstlers David Wojnarowcz entlehnt ist. 

Lotte Meret, „mymonsterbodyheartsnobbingdevice“, 2021 / Lotte Meret,  „Schutzhöhle“, 2021;, Fotos: : Juan Saez.

Beim Gang durch die Ausstellung eröffnen sich die unterschiedlichen Sinn- und Bedeutungsebenen der Geschichte des Bärenzwingers. Lotte Merets illustrative Grafiken im Eingangsbereich, knüpfen an die frühe Geschichte des Bärenzwingers an. Formal angelehnt an Jugendstil und Art Nouveau bilden sie einen Referenzrahmen für die Manifestation von Zeit und Wandel. Kleine Skulpturen aus Wachsmalkreide laden die Besucher*innen ein, die Transformation der illustrativen Tapeten und damit im übertragenen Sinne einen erneuten Wandel des Raumes aktiv mitzugestalten. 

So wie die Thematik queerer Cruising-Kultur als Teil der Geschichte des Bärenzwingers zunächst wie ein harter Bruch wirken mag, so kontrastierend leuchten Lotte Merets mit lilafarbenen LEDs beleuchteten Skulpturen von den gegenüberliegenden Wänden. „Schutzhöhle“ (2021) und „mymonsterbodyheartsnobbingdevice“ (2021), die ein direkter Verweis auf die queere Ästhetik und den girly-Look der 2000er sind thematisieren den Bau einer öffentliche Bedürfnisanstalt um 1900 als einen Ort der versteckten Liebe und als Schutzraum homosexueller Kultur. 

“Into the drift and sway”, Bärenzwinger, Berlin 2021, Installationsansicht (Detail), Foto: Juan Saez.

Umgeben von rohen Wänden hisste Künstler*in Emma Wolf-Haugh im Mittelraum des Baus teils skulpturale, bestickte Fahnen aus Jeansstoff, die in Materialität und Stickereien auf die ambivalente Geschichte des trans-Dyke Cruising in Berlin verweisen und die queere Geschichtsschreibung als eine stark männlich geprägte damit herausfordern. Dass Geschichte immer auch persönliche Referenzen provoziert, beweist Wolf-Haugh mit ihrer Stickerei eines Bären auf einer der Jeans-Fahnen. 

Dieser ist nicht lediglich ein Verweis auf den Ort und seine Geschichte. Stattdessen ist darin mehr noch die persönliche Erinnerung Wolf-Haughs an den tragisch-komischen Film „Hotel New Hampshire“ von 1986 verwoben, in der ein Bärenkostüm als persönlicher Schutzraum vor öffentlichen Blicken eine Rolle spielt.  

Constantin Hartenstein, „Trap“, 2021 / Constantin Hartenstein, “Trap” (Detail); Fotos: Juan Saez.

Mit dem Vorgänger-Bau des Stadtreinigungsdepots inklusive öffentlicher Bedürfnisanstalt setzt sich auch Constantin Hartentstein auseinander. Die Gitter, die es zu unterschreiten gilt, um Hartensteins Arbeit zu sehen, machen den Bärenzwinger ein erstes Mal als das evident, was er viele Jahre lang war: ein Käfig für lebende Tiere. Schlüpft man durch die tiefe Öffnung hindurch offenbart sich den Besucher*innen ein Eindruck von Intimität, die unter den gebrauchten Ziegeln des Bärenzwingers verborgen liegt. 

Constantin Hartenstein präsentiert in der Ausstellung eine hängende Skulptur aus Epoxidharz. Es handelt sich dabei um den Abdruck eines Wandsegments eines „Café Achtecks“, eines dieser grün-gefliesten öffentlichen Pissoirs, die man aus dem historischen Berliner Stadtraum kennt. In der Ausstellung schimmert der skulpturale Abdruck in seiner Materialität matt-glänzend in hellem Türkis. In ihm Einschlüsse von abgeblätterter Farbe der Original-Fliesen und Hinterlassenschaften seiner Benutzung. 

Die Arbeit “Trap” ist dabei nicht nur als Abbild einer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Klappen als öffentliche Toiletten und Teil der Cruising-Kultur spannend. Sie provoziert auch die Frage nach Intimität und Öffentlichkeit, nach Sicherheit und Gefahr. Constantin Hartensteins Skulptur verweist in ihrer Funktion auch auf die fehlende Wand, die Öffnung, die den achteckigen Bau einer Klappe charakterisiert. Die traditionellen Klappen hatten immer nur sieben Wände, waren stets mehr Sichtschutz als Schutzraum, ein Fakt der Angst ebenso wie Erregung erzeugen kann.

Lucas Odahara, „Sleep and Death (Rasse und Schönheit)“, 2021 / „Into the drift and sway“, Bärenzwinger, Berlin 2021, Installationsansicht (Detail);  Fotos: Juan Saez.

Verlässt man den vergitterten Käfig kann man über den Außenbereich wie einst die Bären einen Raum begrenzter Freiheit betreten. Dieser Außenbereich, der sich zu beiden Seiten des Mittelbaus gespiegelt, in runder Form und begrenzt von einem Wassergraben erstreckt, erscheint durch die Arbeiten von Lucas Odahara besonders stimmungsvoll. Seine Keramikbilder bilden eine Referenz zu Adolf Brand, der zu Ende des 19. Jahrhunderts die erste Schwulenzeitschrift „Der Eigene“ gründete und bis heute als der Begründer des Outings gilt. Die Keramikbilder verweisen auf Brands Aktstudie „Rasse und Schönheit“, deren Körperbilder zwischen Hommage an die Köper und homosexuellen Traditionen der Antike und der Bestätigung von rassistischen Tendenzen zu Anfang des 20. Jahrhunderts changieren. Diese Doppeldeutigkeit manifestiert sich bei Odahara in der Spiegelung des gefärbten, schwarzen Wassers der kleinen Wasserbecken, in denen die Keramikbilder stehen.

„Into the drift and sway“ schafft sehr gekonnt den Spagat zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Bezug zur Geschichte und der Reflexion ihrer Bedeutung für und in der Gegenwart. Die zeitgenössischen Arbeiten sind Verweis und Erweiterung des Referenzrahmens zugleich. „Into the drift and sway“ ist eine kleine aber großartige Ausstellung, die besonders an winterlichen,dunklen Tagen toll anzusehen ist, weil dann zu all dem hier Beschriebenen auch noch Licht und Schatten ihr Übriges tun und den Bedeutungsrahmen queerer Cruising-Kultur in der Geschichte des Bärenzwingers erweitern.

WANN: Die Ausstellung “Into the drift and sway” läuft noch bis Sonntag, den 20. Februar.
WO: Bärenzwinger am Köllnischen Park, Rungestraße 30, 10179 Berlin.

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