Rituale im Plastikrausch
Toxic Temple im Angewandte Innovation Lab

24. Februar 2020 • Text von

Zwischen einem mit Öl gefüllten Schokobrunnen, ausrangierten Elektrogeräten und jeder Menge Müll feiern Kilian Jörg und Anna Lerchnaumer die Einweihung, Erleuchtung und Überschreibung in einem Toxic Tempel. Wir haben mit den Künstler*innen über ihre prozessuale Ausstellung gesprochen.

Kilian Jörg und Anna Lerchbaumer: Toxic Temple – Prozessuale Ausstellung, Installationsansicht, AIL Angewandte Innovation Lab, 12.-26.02.2020. Copyright Foto: Andreas Zißler.

gallerytalk.net: Was wird in eurem Toxic Temple angebetet?
Kilian Jörg: Der Tempel ist dem Negativ unserer Produktkultur gewidmet. Die meisten Ausstellungsobjekte sind Gegenstände, die man fünf Sekunden in der Hand hat und dann wegschmeißt, wie die Plastikhülle eines Sandwiches zum Beispiel. Wir versuchen die Dynamik zwischen einem schnellen, geilen Plastik- oder Ölrausch und der extremen Lebensdauer dieser Materialien greifbar zu machen: Was werden intelligente oder nicht-intelligente Wesen darin in Jahrmillionen finden? Werden sie sich fragen, ob jemand durch den Schrott mit ihnen kommunizieren wollte?
Anna Lerchbaumer: Es gibt einige Momente in der Ausstellung, in denen wir das Material sprechen lassen oder das Innenleben von technischen Geräten nach Außen kehren. Wir wollten Gegenstände, die eigentlich schon aus unserem Alltag ausgeschieden sind, aber das menschliche Leben vermutlich überdauern werden, zelebrieren und jenseits des Konsums – das Vorher ihrer Produktion und ihr langes geologisches Afterlife – huldigen. Wir verstehen unseren, diesen Abfall als Kommunikation an ein Jenseits des Menschlichen.

Wie viel Realität als Ritual, als übernatürliche oder religiöse Praxis, schreibt ihr den Handlungen in diesem Tempel zu?
Anna:
Wir haben uns vorgenommen den Objekten zuzuhören und mit ihnen einen längeren Zeitraum zu verbringen; zum Beispiel mit dem Rauschen einer Klimaanlage, das sonst vom Straßenlärm verschluckt wird. Können wir diese Ereignisse als Mantra zu verstehen, als Maschinenmantra? Der Wunsch war, dem Material möglichst ergebnisoffen zu begegnen und dessen „agency“ über den Menschen hinaus zu ergründen. Die eingeladenen Künstler*innen und das Zusammenkommen an den drei Abenden tragen auch dazu bei Rituale zu entwickeln und die Räumlichkeiten wirklich als „Tempel“ zu nutzen.
Kilian: Vielleicht können wir über religiöse bzw. rituelle Praktiken eine neue Verbindung zu uns überdauernden, ins Jenseits kommunizierenden Gegenständen aufbauen: Wenn ich ein Stück Plastik entsorge, dem eingedenk zu werden, in welche Weiten ich damit kommuniziere. Diese Wiederverbindung durch eine neue Spiritualität kann hilfreich sein, unabhängig von einem Korrektheits- und Optimierungsregime ein Bewusstsein für das eigene Handeln zu entwickeln.

Kilian Jörg und Anna Lerchbaumer im Angewandte Innovation Lab. Copyright Foto: Andreas Zißler.

Kritik und Humor, Fakt und Fiktion werden immer noch als gegensätzlich begriffen, auch wenn das Leben schon lange Hybride hervorgebracht hat. Wie wirken sich diese vermeintlich unterschiedlichen Strategien auf eure Arbeit aus?
Kilian:
Meiner Meinung nach schließen sich Realität und Fiktion, oder Ernst und Humor, bei der Suche nach Lösungen für das ökologische Problem nicht zwangsläufig aus. Für uns war wichtig auch Spaß und Schönheit im Müll und Giftigen zu finden und einen intuitiven, sinnlichen, gar poetischen Umgang mit dieser toxischen Materie zu ergründen. Heutzutage besprechen wir das ökologische Problem größtenteils vermittels eines abstrakten Zahlenregimes und übersehen dabei, dass die selbe technokratische Rationalität erst die ökologische Katastrophe der Moderne hervorgebracht hat. Zahlen kann man sich immer auf Distanz halten: man sieht sie rational ein, muss sie aber nicht fühlen. Wir hingegen wollen die Sinnlichkeit in dieser industrialisierten – und zerstörerischen – Kultur ergründen: Wir lieben das Plastik, aber um zu verstehen, warum wir zu etwas hingezogen sind, das uns längerfristig umbringen wird, müssen wir dem über das Rationelle hinaus nachfühlen. Die Natur-Kultur-Dichotomie hat das ökologische Problem verursacht und kann deshalb nicht seine Lösung sein.

Die naturwissenschaftliche Beschreibung ökologischer Zusammenhänge ist untrennbar mit der westlichen Kolonialgeschichte und Aufklärung verbunden. Welche andere Beziehung zu unserer Umgebung kann dem entgegengesetzt werden?
Kilian: Die Aborigines glauben beispielsweise, dass die von ihnen verehrte Regenbogenschlange sich rächt, wenn die Menschen Uran ausgraben. Diese Art von Verbindung zwischen dem menschlichen Handeln und der Umwelt müssen wir wiederfinden, wenn auch auf gänzlich neue Weisen. Die Unterschiede zwischen zum Beispiel Österreich, oder Australien, oder Indien sind gewaltig – und trotzdem steht alles in einem globalen Zusammenhang. Was bedeutet die oberflächliche Sauberkeit eigentlich? In den Ländern mit einem hohen CO2 Ausstoß wie Österreich ist es beinahe unheimlich sauber, während der Müll und die Umweltschäden in wirtschaftlich schwächere Regionen exportiert wird. Das Problem ist bekannt, zumindest einem europäischen, elitären Wir. Um es zu lösen, gilt es auch das Gift, die Scheiße und nicht nur eine schöne romantisierte und idealisierte Natur zu betrachten. Eine naive Ökologie malt sich Bilder von der glücklichen Bio-Kuh auf der Alm, diese Ideologisierung wird dann auf Plastik gedruckt, im Supermarkt verkauft und abschließend in die so genannte Dritte Welt als Müll exportiert. Unsere Perspektive muss sich verändern – „Staying with the trouble“, wie Donna Haraway sagt.

Kilian Jörg und Anna Lerchbaumer: Toxic Temple – Prozessuale Ausstellung, Installationsansicht, AIL Angewandte Innovation Lab, 12.-26.02.2020. Copyright Foto: Andreas Zißler.

Das Angewandte Innovation Lab ist ein ziemlich sauberer Ort. Auch außerhalb der Ausstellungsräume offenbaren glatte Oberflächen, wie ökologisches Bewusstsein in eine Produktwelt eingespeist wird. Im Gegensatz dazu etwas zu sehen, was sich dem Fetisch annähert, zumindest einen Flirt mit dem Abgefuckten eingeht, setzt den Raum und die Thematik in eine interessante Spannung. Hattet ihr irgendwelche Fantasien diesen Raum zu verletzten?
Kilian:
Am Anfang hatten wir schon das Bedürfnis den White Cube zu vermüllen. Dann wurde uns einerseits die Autorität dessen Ästhetik bewusst und andererseits ist es eine Frage des Budgets, wie viel Schaden man anrichten kann.
Anna: Dieser Raum hat auch Vorteile. Wir haben viel Platz und so wirken die Materialien anders, weil sie Luft zum Atmen haben. Hinter den glatten Oberflächen, den vorgehängten Rigipsplatten, befindet sich auch in diesen Räumen eine Infrastruktur, ein Netzwerk aus Kabeln, die wir sichtbar machen wollen, indem wir die Abdeckungen der Stromleitungen offengelassen oder die Trennwände mit ihrer Plastik bedeckten Rückseite nach vorne aufgestellt haben. Auch die scheinbaren Lösungen der Produktwelt finden hier ihren Platz: So gibt es einen E-Scooter, der sich auf dem Laufband durch eine simulierte Landschaft bewegt, und den Pandabären als Symbol für den Umgang mit einer aussterbenden Tierart und ihrem millionenfach reproduzierten Abbild, das es in jeden Winkel der Konsumwelt geschafft hat.

Wie fühlt sich das für euch an kontraintuitiv zu handeln? Den immensen Stromverbrauch im globalen Norden zu kritisieren, aber anstatt das Licht auszuschalten, ganz viele Maschinen im Ausstellungsraum laufen zu lassen.
Anna:
Wir handeln hier bewusst verschwenderisch, um die veränderte Luft und das meditative Brummen auszustellen: Energieverbrauch als Opfergabe und Verbindung zu den monumentalen Kraftwerksbauten. Das ökologische Denken gibt viele Regeln vor, aber keinen Ort um unsere Verschwendung zu zelebrieren – Feste oder Feiertage wie in anderen Religionen. Unser Ziel war es diese inneren Widersprüche nicht zu verdrängen, die doch am Ende irgendwo hochkommen, sondern einen symbolischen Ort zu schaffen um sie zu zelebrieren und diese Sinnlichkeit zu erleben.
Kilian: Es ist einfach zu kritisieren, dass in einem Raum zwei Klimaanlagen, drei Heizgeräten, fünf Ventilatoren und vier Fernseher laufen, aber es ist viel schwieriger, die Normalität zu verändern. Der Exzess kann auch etwas Befreiendes haben: Auf einmal ganz viel Energie zu verschwenden, damit die Realität dann eine nachhaltigere seien kann. Sonst ersetzt ein neuer Öko-Protestantismus den althergebrachten Protestantismus, der bekanntlich mit seiner puritanischen Sparhaltung den Kapitalismus hervorgebracht hat.

Kilian Jörg und Anna Lerchbaumer: Toxic Temple – Prozessuale Ausstellung, Installationsansicht, AIL Angewandte Innovation Lab, 12.-26.02.2020. Copyright Foto: Andreas Zißler.

In der Beschreibung des Toxic Temple steht, dass es um eine Solidarisierung mit den Tatsachen geht. Welche Form der Solidaritätsbekundung ist das und wer artikuliert sie?
Kilian:
Ich glaube, es ist eine Solidarisierung mit dem Aussterben in seiner Vielfältigkeit und Mannigfaltigkeit. Viele Wesen auf dem Planeten sterben bereits aus und auch die Menschheit muss sich der Frage stellen, wie lange sie es noch gibt. Können wir uns solidarisch damit zeigen, dass sehr wahrscheinlich die meisten Objekte in dieser Ausstellung unser eigenes Leben überdauern werden? Ist es möglich, sich von einer biologisch-zoologisch zentrierten Grundmentalität gegenüber dem Leben auf diesen Planeten abzuwenden und sich mit nicht-humanoiden Formen zu solidarisieren?
Anna: Inmitten von Menschengemachten ereignen sich trotzdem immer wieder Sachen, die sich unserem Fassungsvermögen entziehen wie beispielsweise Naturkatastrophen. Wir sind machtlos – können es zwar dokumentieren, jedoch nicht verändern. Wir versuchen im Toxic Temple den Dingen, die uns umgeben, Raum zu opfern, um sich als Subjekt zu zeigen. Wir wollen den Gegenständen jenseits ihrer Funktionalität die Freiheit geben auch anders gesehen zu werden. Der Toxic Tempel gleicht einer Spekulation wie Solidarität mit Nicht-Menschlichem aussehen kann.

WANN: Die prozessuale Ausstellung „Toxic Temple“ ist noch bis Mittwoch, 26. Februar, jeweils von 12 bis 17 Uhr zu sehen. Am Mittwochabend findet außerdem um 18 Uhr die „Überschreitung“ statt.
WO: AIL Angewandte Innovation Lab, Franz-Josefs-Kai 3, 1010 Wien.

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