Unsterbliche Formen
Botticelli in Berlin

18. November 2015 • Text von

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an eine laue Sommernacht im Freiluftkino, wo ihm zum ersten Mal gesagt wurde: “Botticelli kommt nach Berlin.” Nun läuft die Ausstellung The Botticelli Renaissance bereits seit Ende September und es ist Zeit für eine Zwischenbilanz.

Er ist überall. Auf Plakaten, auf Flyern, in Kunstmagazinen, in der Zeitung und auf der Kinoleinwand. Botticelli hat Berlin im Sturm erobert. Jedoch nicht persönlich, der 1510 verstorbene Maler begegnet uns durch einen Siebdruck seiner Venus von Andy Warhol und durch die Gesichter junger Großstädter, die in Beziehung zu seinen ikonischen Porträts gesetzt werden. Man kann darauf wetten, dass das Bildungsbürgertum schon in Scharen in die Gemäldegalerie geströmt ist. Doch was hat sie auf dem trostlosen Kulturforum am Potsdamer Platz erwartet?
In Kooperation mit dem Victoria & Albert Museum in London wurde eine Ausstellung realisiert, die sich mit der Rezeption des Florentiner Malers in Moderne und Gegenwart (Achtung: Unterschied!) auseinandersetzt und jene in Form von multimedialen Kunstwerken fünfzig Originalen gegenüberstellt. Der wachsame Kunstkritiker ist verleitet sich zu fragen, ob nach der Ausstellung ImEx – für die Besucher mehrere hundert Meter auf der Museumsinsel anstanden – ein weiterer Kassenschlager nötig ist. Die leere Neue Nationalgalerie thront bedrohlich über diesem Novembertag am Potsdamer Platz.

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David LaChapelle: Rebirth of Venus, 2009. Courtesy of David LaChapelle Studio.

Die erste Annäherung an das Werk eines der bedeutendsten Maler der Renaissance erfolgt über die Gegenwartskunst, der Wiedergeburt seiner Bilder seit 1945. Es ist ein Abstecken der Grenzen zwischen Überhöhung des von ihm geschaffenen Schönheitsideals und der kritischen Auseinandersetzung mit den Stereotypen der modernen Konsumgesellschaft, welche durch den kunstgeschichtlichen Verweis auf  Botticelli mit Bedeutung aufgeladen werden. Die französische Künstlerin ORLAN versucht seit den 80er Jahren durch eine Reihe von chirurgischen Eingriffen ihren Körper, vor allem ihr Gesicht, Idealbildern der Kunstgeschichte anzupassen – unter ihnen die Venus von Botticelli. Auf eine tatsächliche Veränderung ihres Körpers verzichtet hingegen Cindy Sherman, wenn sie durch Make-up und Verkleidung zur Protagonistin eines Gemäldes von Botticelli wird. Ein grotesk anmutender, entblößter Nippel erweckt Ekelgefühle im Betrachter und distanziert somit Shermans History Portaits von einer verklärenden, reinen Aneignung der Bildkomposition.

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Blick in die Ausstellung “The Botticelli Renaissance”. Staatliche Museen zu Berlin, 2015 / Achim Kleuker.

Formale Adaption ist das Schlüsselwort zum Verständnis der ersten beiden Räume der Ausstellung. Sie ist das Mittel um Kritik am Konsum, an der eurozentrischen Welt oder der Rolle der Frau zu üben. Dadurch wird dem Betrachter ermöglicht in einer Vielzahl von Medien und künstlerischen Positionen den roten Faden zu erkennen: Die Stahlkraft der Bilder von Sandro Botticelli. Doch dieselbe Komposition hat nicht zwangsläufig dasselbe Thema. Ohne Audio-Guide am Ohr muss man die Stirn runzeln, wenn ein computergeneriertes Bild von Andy Warhol aus dem Jahr 1985(!) neben Ulrike Rosenbachs Reflexion über die Geburt der Venus und dem Bild God of Earth and Heaven von Joel-Peter Witkin an der Wand hängt. Einzige Information bleiben die Eckdaten zu den jeweiligen Kunstwerken. Vielleicht kann zeitgenössische Kunst auf diese Kanonisierung verzichten. Im Falle der klassischen Moderne ist dies weitaus schwieriger.

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Ausstellungsansicht “The Botticelli Renaissance” Staatliche Museen zu Berlin, 2015 / Achim Kleuker.

Kurz vor dem bullaugenförmigen Durchgang in den Raum mit den botticelli’schen Originalen werden die englischen Präraffaeliten gezeigt, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Rückbesinnung auf die Malerei vor Raffael forderten und sich auf das italienische Trecento und Quattrocento besannen. Auch wenn Botticelli streng genommen nicht zu dieser Epoche gehörte sind die Gemälde der Präraffaeliten von seiner Ästhetik geprägt und somit unter anderem verantwortlich für die Renaissance des Florentiner Malers im 19. Jahrhundert. In England trug man wenig später den gemalten Gewändern seiner Primavera und Venus nachempfundene Kleider. Die Rezeption ist in diesem Fall indirekter, sie erfolgt über die Darstellungsweise, die Motive und die Atmosphäre der Szenen. Demgegenüber hängen französischer Salonmaler wie Edouard Manet und William Bouguereau, die sich im 18. Jahrhundert von Botticelli inspirieren ließen. Die eine Venus blickt die Andere an, der Betrachter steht dazwischen und weiß gar nicht mehr wohin mit sich vor lauter Venus. Kunstgeschichtlich verdienen die zuletzt erwähnten Positionen mehr Kontextualisierung, gleichzeitig bringt der Mangel an erklärendem Text den Kopf des Museumsbesuchers zum Arbeiten. Es lässt sich abwägen, was man als wichtiger erachtet.

Gemälde / Öl auf Pappelholz (1478) von Sandro Botticelli [um 1445 - 1510] Bildmaß 57,1 x 38,4 cm Inventar-Nr.: 106 B Person: Giuliano I. de' Medici [1453 - 1478], Italienischer Politiker und als Mitregent seines Bruders Lorenzo Stadtherr von Florenz Systematik: Personen / Fürsten / Italien / Medici / Giuliano I. / Porträts

Sandro Botticelli: Giuliano de’ Medici, 1478. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Jörg P. Anders.

Schreiten wir nun endlich durch den schmalen Durchgang in den abgedunkelten Raum mit den Bildern von ihm – mit großem I, ist unser visuelles Gedächtnis schon gut gesättigt. Nach all diesen formalen Wiederholungen, die eine Fülle von Bedeutungen transportieren, bringt es den ein oder anderen vielleicht ins Stutzen, dass dieses Prinzip bei Botticelli fortgeführt wird.
Sandro Botticelli malte seine Gemälde im Florenz des 15. und 16.Jahrhunderts, die Madonnen und Heiligen sind uns genauso fremd wie die porträtierten Adeligen. Und doch scheint ihnen etwas inne zu wohnen, das Generation von KünstlerInnen über Jahrhunderte beschäftigt hat. Dieses Etwas, dieses Mehr, lässt sich nur zum Teil kunsthistorisch fassen, auch der Kulturwissenschaftler Aby Warburg vermag es kaum zu greifen in seinen Schriften über das bewegte Beiwerk. Auf den Bildern ist alles im Fokus, in starken Farben leuchtend, mit strengen Konturen eingefasst, eine – zur damaligen Zeit – nicht idealisierte Schönheit verherrlichend. Die Figuren von Botticelli teilen eine eigenartige Entrücktheit mit der Welt, in der wir leben, und verweigern dadurch als historische Artefakte zu verstauben. Und ja, mit all dem Danach im Kopf, stehen wir vor der seinen Gemälden und merken, dass Botticelli im Hier und Jetzt ist.

WANN: Die Ausstellung “The Botticelli Renaissance” läuft noch bis zum 24. Januar 2016, anschließend ist sie im Victoria&Albert Museum in London zu sehen.

WO: Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin.

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