Poetischer Protest
Amar Kanwar im Espace Louis Vuitton München

13. Mai 2019 • Text von

Es sind schwierige Thematiken, brutale Erlebnisse und traurige Wahrheiten, mit denen sich der indische Künstler Amar Kanwar beschäftigt. Erstaunlich leise und poetisch präsentieren sich jedoch seine Videoarbeiten im Espace Louis Vuitton. Als Künstler mit aktivistischer Ader verfolgt Kanwar einen Bildungsauftrag, den ihr nun in München sehen, hören und auf euch wirken lassen könnt.  

Installationsansicht, Amar Kanwar, 2019, Foundation Louis Vuitton/ Espace Louis Vuitton München, Foto: Julia Anna Wittmann.

Seit Ende der 90er Jahre bewegt sich Amar Kanwar (*1964) nun an der Schnittstelle zwischen Kunst, Aktivismus und Dokumentarfilm. Es sind vor allem die politischen, ökologischen und sozialen Probleme, die den Künstler bis heute beschäftigen. Die Biographie des Künstlers prägt sein Oeuvre maßgeblich, weshalb diese bei der Betrachtung seiner Werke nicht außenvor gelassen werden darf. Bereits 1947, noch vor Kanwars Geburt, wurde sein späteres Leben grundlegend beeinflusst: Aufgrund  des Kaschmir-Konflikts musste seine Familie ihre Heimat verlassen und nach Neu-Delhi fliehen, wo der Künstler bis heute lebt und arbeitet. Eine Thematik, die immer wieder in seinen Arbeiten auftaucht. Es waren schließlich zwei besonders einschneidende Ereignisse, die den Grundstein für seinen Aktivismus legten und Kanwar dazu veranlassten, die Filmhochschule in Neu-Delhi zu besuchen. 1984 wurde ihm die dramatische politische und gesellschaftliche Lage des Landes bewusst, als nach der Ermordung der Premierministerin Indira Gandhi mehrere tausend Sikhs-Anhänger verfolgt und massakriert wurden. Nur ein paar Wochen später ereignete sich das Bhopalunglück, bei dem aus der Fabrik eines amerikanischen Chemiekonzerns giftige Dämpfe ausgetreten sind. Erneut verloren tausende Menschen ihr Leben. Schockiert von den Ereignissen und gestärkt mit dem Wunsch etwas zu verändern, wird er Mitte der 80er Jahre Dokumentarfilmer.  

LETTER 5, 2017, 6 Rückprojektionen, Digital Video, handgeschöpfte Papierbögen aus Chinagras und Baumwollfaser sowie Zeichnungen von Sherna Dastur, 6 back-projections, digital video, handmade ramie and cotton fiber papers; graphics and paper handmade by Sherna Dastur, Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, New York, Paris, London.

Obwohl Kanwars Thematiken oft sehr brutal und gewalttätig sind, ist seine Kunst es nicht. Verbunden durch Narrative, Poesie und ruhige Musik wirken seine Videoarbeiten auf eine sehr sanfte Art und Weise auf die Betrachtenden. Gut zu sehen ist das in der aktuellen Ausstellung “Exile” im Espace Louis Vuitton in München, in der zwei Videoarbeiten und eine Installation gezeigt werden. Der Titel der Ausstellung bezieht sich direkt auf die Arbeit “Henningsvaer” (2006), die im Obergeschoss ausgestellt ist. Begleitet von leisen Tönen, blicken die Betrachtenden durch die Fenster eines Hauses auf die weite, einsame Landschaft der Lofoten. Durchbrochen werden die kühlen Bilder von warmen Erinnerungen an sein Zuhause, Indien. Der Künstler scheint gefangen zu sein in diesem Haus, welches er nicht verlässt.  Das Gefühl trügt nicht. “Henningsvaer” ist eine Referenz an die zahlreichen politischen Gefangenen, denen nur der Blick nach draußen und die Erinnerung nach innen bleibt. Die Arbeit, welche in Norwegen entstanden ist, wandelt an dem schmalen Grat zwischen Paradies und Gefängnis.

HENNINGSVAER, 2006, Farbvideo, Ton / Video, colour, sound, 15min, Courtesy of the artist and Fondation Louis Vuitton.

Die Natur, als eine Metapher für größere, komplexere Zusammenhänge, begegnet den Besuchenden bereits im Erdgeschoss. Die dort zu sehende Videoarbeit “A Love Story” (2010) ist keine Liebesgeschichte mit Happy End. Zuerst ist nur eine triste, melancholische Mülllandschaft zu erkennen, welche im Laufe des Films mit Szenen grüner, satter Natur in Kontrast gestellt wird. Erneut spielt der Künstler mit einer gewissen Dialektik, die Gegensätze betont und Gemeinsamkeiten (falls vorhanden) aufzeigt. Die Szenen spielen sich an dem Rand einer expandierenden indischen Großstadt ab, welche sich in einem ehemals sehr fruchtbaren Gebiet befindet. Es sind vor allem die Gefühle einer erloschenen Liebe, die sich mit “A Love Story” vereinen lassen. Verlust, Enttäuschung und Schmerz. Die Erwartungen des verheißungsvollen Titels bleiben enttäuscht.  Die Natur ist Vergangenheit, zurück bleibt nur die Ödnis. Doch Erinnerungen sind wichtig, denn nur wer sich erinnert kann die Zukunft beeinflussen. Anders als zu erwarten, ist keine radikale Aggressivität in Amar Kanwars Arbeiten zu finden. Es ist die unterschwellige lyrische Poesie, die langsam unter unsere Haut kriecht und die Kraft hat Dinge zu verändern. 

WANN:  Die Ausstellung ist noch bis zum 15. September zu sehen.
WO:  Espace Louis Vuitton, Maximilianstraße 2a, 80539 München.

Die Autorin Julia Anna Wittmann arbeitet im Espace Louis Vuitton als Mediatorin.

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