Window-Colors als Fetisch Kindheitsaufarbeitung mit Marta Vovk
3. Oktober 2019 • Text von Anna Meinecke
“Meine Kunst ist besser als Sex”, behauptet Marta Vovk und zeigt dann Schäferhunde und Deutschlandflagge. Was plakativ wirkt, ist für sie Aufarbeitung ihrer Kindheit. Migrationserfahrung lässt sich eben nicht nur bierernst thematisieren. Vovk pfeifft auf Ölfarbe. Stattdessen wählt sie Window-Colors.
Ein neckisches Häschen zu Ostern, Schneeflocken im Advent und Blumenkörbe das ganze Jahr – kein Nostalgie-Motiv, das nicht bereits mit Window-Colors abgefrühstückt wurde. Wer zur Jahrtausendwende jung – und gemeint ist hier sehr jung – oder anderweitig unterbeschäftigt war, hat schon mal farbenfroh Paste auf Folie gedrückt. Alles in der Hoffnung, dabei könne vielleicht was Freundliches für die heimische Fensterfront bei rumspringen. Wer’s noch nie selbst gemacht hat, hat es hundertfach gesehen. Man kann also guten Gewissens sagen, Window-Colors haben in Deutschland Tradition.
Die eigentliche Frechheit: Anders als Fimo haben Window-Colors nicht mal ihren eigenen Wikipedia-Eintrag. Die Plastikpaste wird lediglich unter “Basteln” als besondere Basteltechnik geführt. Dabei lohnt es sich tatsächlich, den Spaß nochmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Nicht unbedingt unter ästhetischen Gesichtspunkten – wir können uns da wohl auf das Fazit “furchtbar” einigen. Aber sie stehen so herrlich fürs Deutsch-Sein. Für die Künstlerin Marta Vovk jedenfalls waren sie lange Jahre erst einmal fremd. Das Fremde hat sie sich nun angeeignet.
Vovk wollte immer eine Ausstellung zum Thema Deutschland machen. “A wie Autobahn / B wie Business” in der Berliner Galerie Irrgang ist genau so eine geworden. Die Show spiegelt Vovks Migrationserfahrung wieder und repräsentiert sie gleichzeitig ganz hervorragend als Typ. Ausstellung wie Künstlerin kommen ohne Geschwurbel aus, sie sind präzise und plakativ. Herrlich humorvoll und wenn man mag, ist da ganz viel Potenzial für Gespräche, die in die Tiefe gehen. Window-Colors spielen bei “A wie Autobahn / B wie Business” eine entscheidende Rolle. Und die Mutter einer Freundin aus Kindertagen.
Vovk ist sechs Jahre alt, als sie nach Deutschland kommt. Alt genug, um zu merken, dass sie anders ist als die anderen Kinder. Zu jung, um zu wissen, dass das vielleicht ganz okay ist. Vovk ist in der Ukraine geboren. Dann findet ihre Mutter eine Anstellung als Übersetzerin im niedersächsischen Städtchen Twistringen. Später wird sie Krankenschwester im nahe gelegenen Delmenhorst. “Wir haben uns hochgearbeitet”, erinnert sich Vovk und lacht, weil Delmenhorst eben nicht New York ist. Nicht mal Bremen. Vovk wohnt mit ihrer Mutter in einer einfachen Wohnung. Die Eltern ihrer besten Freundin haben ein zweistöckiges Einfamilienhaus. “Das war keine Wohlstandsfamilie”, sagt Vovk. Trotzdem kommt ihr deren Leben damals wie Luxus vor.
“Ich will gar nicht so eine Opfer-Story draus machen. Darum geht’s auch gar nicht”, stellt Vovk klar. Wenn sie an ihre Kindheit denkt, denkt Vovk an Window-Colors. Sie hatte keine, ihre Freundin viele. “Das war krass, was die für eine Auswahl hatte”, erinnert sich Vovk. “Eigentlich symbolisch für deren Reichtum. Das war Reichtum an Farben, Glitzer, Gold und Silber. Die hatten alles.” Nicht nur Vovks Freundin malt begeistert mit Window-Colors. Auch deren Mutter liebt die bunten Basteleien. Voller Begeisterung produziert sie aufwendige Blumengestecke in 2D. Die bietet sie auf dem Flohmarkt an.
„Das hat sich überhaupt nicht verkauft“, erinnert sich Vovk. „Ganz schön traurig.“ Stundenlang arbeitet die Mutter der Freundin an den Bildchen. Sie investiert Zeit und natürlich auch Liebe in ihre Kunstwerke. Für sie sind sie wertvoll. Auf dem Flohmarkt werden sie wertlos. Vovk findet das spannend. Und obwohl sie die Blumengestecke als Hobby-Kunst abtut, werden Window-Colors für sie zum Fetisch.
Bei Irrgang zeigt Vovk drei Leinwandarbeiten, bei denen sie mit Acryl-Farben, aber eben auch mit Window-Colors gearbeitet hat. Statt Blumen präsentiert sie Schäferhunde und eine Kindersilhouette von hinten. Sie verwendet die Deutschlandflagge und das Logo der Fernseh-Vorabendsendung “taff”. Vovk steht auf Symbolik. Zuletzt waren Arbeiten von ihr bei Duve Berlin zu sehen – verzerrte Logos von Youtube oder Adidas. Für die Werkserie hat sie Vertrautes verfremdet. Bei Irrgang wirkt auf die meisten Besucher wohl vertraut, was der Künstlerin selbst lange fremd war: Schäferhundsköpfe, Window-Colors, Deutschland.
“Auf jeden Fall wird hier plakativ und cheesy Kindheitsaufarbeitung betrieben”, erklärt Vovk. “Bisschen platt”, ergänzt sie. Doch das “Platte” ist genau so gewollt. “Wenn man zum Thema Deutschland arbeitet, gibt es die Erwartungshaltung, alles müsse hoch politisch und bierernst sein. So ist aber mein Bezug zu dem Thema nicht”, sagt sie. Da prangt ein “taff”-Logo, weil Vovk eben als Kind sehr viel “taff” geschaut hat. Und “Punkt 12”. “Das mochten wir in Delmenhorst”, führt sie genüsslich aus. “Naja, das Fernsehen hat mich auch so ein bisschen miterzogen. Mit einer alleinerziehenden Mama, muss man sich auch mal selbst bespaßen.” Und die Erfahrung ist dann wieder so richtig deutsch. Nicht dass wo anders kein ferngeschaut würde. Bloß halt nicht Katja Burkard oder, wie Vovk fröhlich lispelt, “die mit den süßen Tierbabys”.
Vovk hat schon während des Studiums mit Window-Colors experimentiert. An der Akademie der Bildenden Künste in Wien war sie 2015 in der Klasse von Daniel Richter unter Malern. “Ich konnte es nicht ertragen”, sagt sie. “Da hab ich angefangen mit Window-Colors. Kam extrem beschissen an.” Seit einem Jahr hantiert sie wieder mit den Tuben, weil sie eben will. Tipps für heimische Basteleskapaden hat sie trotzdem nicht. “Ich gehe da mit derselben unprofessionellen Art ran wie an alle anderen Farben auch”, so Vovk. Das mag sein. Unterschlägt jedoch, dass sie gleichzeitig eine große Perfektionistin ist.
Neben den drei Leinwandarbeiten ist bei Irrgang außerdem ein Wandbild aus acht Modulen zu sehen. Weiß bemalte Holzplatten, sorgsam ausgesägt, rot besprayt. Ein bisschen beliebig wirkt das auf den ersten Blick. Dabei steckt ausgerechnet in dieser Arbeit besonders viel Kalkül. Alles ist bis ins Detail am Computer geplant. “B wie Business” heiß das Werk. “Das ist mein kleiner Witz”, führt Vovk aus. Eine ähnliche Arbeit hat sie 2018 im Rahmen der Abschlussausstellung der Kunsthochschule Weißensee gezeigt – mit schwarzen statt roten Strichen. “Damals habe ich diese Arbeit gemacht und mir gedacht: ‘Mensch dit is doch ma ‘ne Arbeit, die kann man doch so richtig in ‘ne Galerie hängen. Das mag doch der Kunstmarkt gerade'”, erzählt sie. “Was schönes Abstraktes, das geht immer.” Der Titel zum Werk? Ein Handlungsimperativ: “Untitled (For Gallery)”. So weit kam es dann allerdings nie, ein Sammler schlug zu. Jetzt also das Ganze in Rot und in Galerieräumen – Business eben.
“Simpler geht’s eigentlich nicht. Es ist Form- und Farbspiel”, sinniert Vovk, während sie ihre Arbeit mustert. “Das ist ja eigentlich die schlimmste Beschreibung für Kunst. Aber so ist es halt.” Sie streicht nochmal über ein, zwei Module. “Mich macht es glücklich, wie diese Zeichnungen zusammen eine größere Zeichnung ergeben”, schließt sie. “Es ist eine superschöne Arbeit, ich will das jetzt gar nicht so abwerten.”
Vovk sagt, man habe ihr oft vorgeworfen, ihre Arbeiten seien zu flach, zu plakativ. Den Vorwurf hat sie sich zu eigen gemacht und dabei doch nie zu viel auf die Kritik gegeben. Kluge Leute dürfen sich entscheiden, auch mal witzig zu sein. Und nicht jede Ausstellung muss den gesamten Kanon des kulturwissenschaftlichen Erst- bis Drittsemesters zitieren. Die wenigsten eigentlich. Marta Vovk mag Symbole und sie spielt mit ihnen. Sie mag ihre Kindheitserinnerungen. Sie mag Plastik. Auch wenn sie das nicht gesagt hat, mag sie sicher Window-Colors. Die Tiefe ihrer Arbeiten drängt sich nicht immer auf. Man ist geneigt, sie oberflächlich zu kontextualisieren. Aber man kann auch nachfragen. Vovk gibt gerne gute Antworten. Über Zweifel ist sie erhaben. “Meine Kunst ist besser als Sex”, kommentiert sie auf Instagram den Flyer zu Ausstellung. “Also würde ich empfehlen, zu kommen.”
WANN: Die Ausstellung “A wie Autobahn / B wie Business” läuft noch bis Samstag, den 5. Oktober.
WO: Galerie Irrgang, Friedrichstraße 232, 10969 Berlin.