Heimat-Avantgarde
Filmstunde mit Marlene Dennigmann

4. September 2020 • Text von

Die Arbeiten Marlene Dennigmanns verbinden Geist und Witz, traditionelle Film- und Pop-Kultur. Feminismus trifft trautes Heim, Klein- trifft Kapstadt. Mit gallerytalk.net sprach sie über gesellschaftliche Widersprüche, Heimat und „eine gewisse Liebe zur Symmetrie“.

Das Bild zeigt zwei Mädchen vor einer Wand. Die linke Seite der Wand ist in einem starken Türkis gestrichen, die rechte in einem kräftigen Orange. Die Mädchen tragen beide eine Schuluniform, sind jedoch beide aufwendig geschminkt und haben rosa beziehungsweise türkis gefärbte Haare. Das linke Mädchen besitzt weiße, das rechte schwarze Hautfarbe, beide schauen in die Kamera.
Marlene Dennigmann, “Dresscode Uniform”, 2019, Filmstill. Courtesy of the artist.

gallerytalk.net: Deine jüngste Arbeit, welche aus dem „Grenzgänger“-Programm hervorging, ist „Dresscode Uniform“, eine Mehrkanalinstallation mit zwei Videos und einer Broschüre. Worum geht es in der Arbeit?
Marlene Dennigmann: Die Arbeit beleuchtet gesellschaftliche Widersprüche am Beispiel Südafrikas. Das erste Video beschäftigt sich mit der „Doppelrolle“ der weiblichen Schuluniform, zum einen als Look in der Pop-Kultur, zum anderen als Mittel der gesellschaftlichen und politischen Kontrolle.

Das erste Video zeigt zwei Mädchen, die sich schminken und dann mit aufwendigem Make-Up und in Schuluniform durch die Straßen laufen. Gegen Ende des Videos beschreiben beide Mädchen jeweils ein Bild, auf dem Frauen in Schuluniformen zu sehen sind. Das erste Bild ist schnell als Britney Spears in ihrem Musikvideo “Hit Me Baby One more Time” zu identifizieren, das zweite Bild war mir nicht bekannt. Wieso werden die Referenzbilder im Video nicht gezeigt?
Bei dem zweiten Bild handelt es sich um die Aktivistin Zulaikha Patel, welche 2016 in Südafrika gegen das rassistische Verbot afrikanischer Frisuren, wie Afros und Braids demonstrierte. Beide Bilder sind in der Broschüre zu sehen und werden dort erläutert. Die Mehrkanalinstallation ermöglicht es jedoch, nicht linear, also auf eine eindeutige Lesart hinaus, zu arbeiten und schafft so einen Raum für die Betrachter*innen, eigene Bezüge herzustellen und Schlüsse zu ziehen.

Marlene Dennigmann, “Dresscode Uniform”, 2019, Filmstill. Courtesy of the artist.

Das zweite Video zeigt einen Berg aus verschiedenen Ansichten, zunächst im “Close Up”, dann mit Strandkulisse, aus einem Wohngebiet, von einer Straßenkreuzung mit “KFC”, zuletzt weit im Hintergrund eines Barackendorfes. Was hat es damit auf sich?
Der gezeigte Berg ist der Tafelberg in Kapstadt, welcher quasi von überall aus der Stadt zu sehen ist. Während er als Naturgegebenheit niemandes Eigentum ist beziehungsweise allen gehört, wird er gleichzeitig als Mittel der sozialen Abgrenzung oder Touristen-Attraktion verwendet, etwa wenn ein Grundstück oder Hotel durch einen “Mountain View” höhere Preise begründet. Im Blick auf den Berg spiegelt sich die sozio-ökonomische Schere der Stadt.

Im Gegensatz zu früheren Arbeiten von Dir ist “Dresscode Uniform” dokumentarisch aufgebaut. Wie kam es zu der Entscheidung weg vom Fiktiv-Narrativen?
Für “Dresscode Uniform” habe ich erstmals auch dokumentarisches Material verwendet. Es handelt sich um Interviewausschnitte und Videoaufnahmen, die als reine Vorrecherche gedacht waren. Der nächste Schritt, diese Inhalte in eine Inszenierung, eine gezielt gesteuerte ästhetische Form zu überführen, welche den klassischen Spielfilm imitieren, ist weggefallen. Das hat auch damit zu tun, dass mich der Umstand, als weiße Europäerin mit Stipendien nach Südafrika zu kommen, um über dortige soziale Ungleichheit zu berichten, – “arbeiten” – zu wollen, sehr beschäftigt hat. Diese europäische Selbstverständlichkeit, sich die Welt anzueignen, schien mir vor Ort plötzlich absurd. Mit dem in der Recherche akkumulierten Material zu arbeiten, schien mir als Abschluss am angemessensten. Und ein Fazit der Arbeit war in jedem Fall, mich wieder verstärkt mit Themen aus dem eigenen Umfeld zu beschäftigen.

Das Bild zeigt zwei Personen vor einer weißen Wand. Die Personen stehen vor einem Bügelbrett und berühren gemeinsam ein violett-farbebnes Bügeleisen; auf dem Bügelbrett liegt außerdem ein Mikrofon. Beide Personen schauen in die Kamera, es handelt sich um Frauen, welche allerdings als Männer erscheinen und ambivalent gekleidet sind. Das Farbspektrum des Bildes wird durch weiß und rosa bestimmt.
Marlene Dennigmann, “Seething Something: Home”, 2016, Filmstill. Courtesy of the artist.

Eine Arbeit, die in diesem Zusammenhang passt, ist “Something Something: Home“. Die Arbeit zeigt in einer Art Home Story ein Paar in häuslichen Situationen. Die Rolle des Mannes ist allerdings zwei Mal besetzt, zudem werden alle Figuren von weiblichen Schauspielerinnen verkörpert. Was hat es damit auf sich?
Insgesamt ist es mir in meinen Arbeiten wichtig, dass Texte unabhängig von ihrem Milieu existieren können, Figuren also beispielsweise nicht geschlechterspezifisch geschrieben werden. Dies rührt von meinem Hintergrund im Theater, wo “Körper” nicht so wörtlich verstanden und zu Sprachrohren von Texten werden. Das Kino bleibt meistens narrativ und die Geschlechter damit eindeutig zugeordnet. Im Zuge der Nouvelle Vague und des Neuen Deutschen Films konnten Figuren abstrakter agieren. Davon hätte ich gerne wieder mehr!

Im Titel und Voiceover ist der Begriff “home”, Heimat, überaus präsent. Spielt dieser eine besondere Rolle für deine Arbeit im Allgemeinen?
Ich habe mich zuletzt öfter gefragt, ob der Heimatfilm für meine Arbeit eine Art Folie bilden kann. Ich habe eine gewisse Faszination mit der Frage des “Deutsch-Seins”. Ich bin in der “Provinz” aufgewachsen, welche verhältnismäßig einheitlich und für viele Menschen negativ konnotiert ist. In Berlin hingegen sind die Identitäten und Lebensentwürfe vielfach. In meinen Arbeiten frage ich, was “Heimat” im Sinne einer pluralistischen Gesellschaft sein könnte. “Something Something: Home” greift dies auf und zeigt ein alternatives, doppeldeutiges Bild von Familie, Partnerschaft und der Idee eines “vernünftigen Lebens”.

Das Bild zeigt drei Gesichter in Großaufnahme. Zwei der Gesichter sind im Vordergrund zu sehen, eines mittig im Hintergrund. Bei dem Gesicht auf der rechten Bildseite handelt es sich um eine Frau, welche direkt in die Kamera schaut. Auf der linken Bildseite ist ein Frauenkopf im Profil zu sehen, das Gesicht im Hintergrund ist im Dreiviertelprofil. Die beiden Gesichter in der linken Bildhälfte haben die Augen geschlossen und scheinen die Frau auf der rechten Seite Küssen zu wollen. Das Bild besitzt eine erotische Spannung.
Marlene Dennigmann, “Something Something: Home”, 2016, Filmstill. Courtesy of the artist.

“Die Provinz” wird in Deiner Arbeit “Wunschkonzert” spürbar. Auf einem ländlichen, mit Gras bewachsenem Sportplatz spielt eine Blaskapelle um die Wette. Worum geht es in dieser Arbeit?
Ich hatte mich schon länger mit der Frage nach Gemeinschaft und Solidarität in einer Gesellschaft beschäftigt, welche letztlich den Gewinner huldigt. Es besteht eine starke Diskrepanz zwischen den idealistischen Ansprüchen, ein guter Mensch zu sein und gleichzeitig Karriere zu machen, Geld zu verdienen und sich selbst zu optimieren. Im Film zeigt sich dies in der Blaskapelle, in der jeder alleine und um die Wette spielt: Es entsteht Chaos, Kakophonie. Das ist zwar unterhaltsam, aber bildet keine Harmonie.

Das Bild zeigt zwei Frauen vor einem Blätterhintergrund. Die eine der Frauen ist zentral im Bild platziert und ab den Knien aufwärts zu sehen. Die zweite Frau ist leicht rechts davon und brustaufwärts zu sehen. Die rechte Frau hält etwas in der Hand, was beide Frauen betrachten und daher ihren Blick zur unteren Seite des Bildes wenden.
Marlene Dennigmann, “Eine Liebeserklärung wird im entscheidenden Moment Wunder wirken”, 2014, Filmstill. Courtesy of the artist.

Neben der Kapelle diskutieren drei junge Menschen darüber, ob, wenn man sich etwas ganz doll wünscht, es dann in Erfüllung geht. Die Antworten erinnern an Unterhaltungen aus Internet-Foren, Philosophie trifft Chat-Kultur. Was bezweckt diese Referenz?
Die Antworten spiegeln die Vielzahl an Meinungen wider, die sich in solchen Foren oft findet. Die einen vertreten eine Art “magisches Denken”, andere folgen dem Leistungs-Glauben, wieder andere dem Glauben an ein religiöses Sein. Zum Teil widersprechen sich die Aussagen, auch gleicher Personen. Es fasziniert mich, wie wir als gesellschaftliche Individuen ganz widersprüchlichen Aussagen und Meinungen, oftmals unbewusst, in uns tragen und verinnerlicht haben.

Das Bild zeigt einen dunklen Raum, an dessen Ende eine wandfüllende Leinwand angebracht ist. Die Leinwand zeigt das Bild einer Blaskapelle in Uniformen auf einem Podest. Der Blaskapellen-Dirigent ist aus der Rückenansicht zu sehen. Vor der Leinwand in dem Raum befinden sich zwei Personen, rechts sitzend, links stehend.
Marlene Dennigmann, “Wunschkonzert”, 2016, Ausstellungsansicht. Courtesy of the artist.

Nahezu alle Deine Arbeiten sind, abgesehen von ihren substanziellen Themen, geprägt durch ein hohes Maß an Ironie und Komik. Siehst Du in der Verbindung von Kritik und Komik einen wesentlichen Aspekt Deiner Arbeit?
Eine Motivation meiner Filme ist das Vergnügen, unernst zu sein und mit dieser Albernheit davon zu kommen. “Wunschkonzert” bildet hierfür wahrscheinlich ein besonders gutes Beispiel. Insgesamt versuche ich in meinen Arbeiten häufig, Bilder, die zu unserem alltäglichen Kanon gehören, aus ihrem Kontext zu nehmen und zu dekonstruieren. Häufig entsteht dabei etwas “Komisches”, beziehungsweise die Komik bildet ein gutes Werkzeug, dies zu tun.

Ebenfalls komisch – im Sinne von Komik – angehaucht ist die Arbeit, “Eine gewisse Liebe zur Symmetrie“. Der Film behandelt, ausgehend von der Form des Dreiecks, die Frage des Feminismus und ahmt dabei pseudo-wissenschaftliche oder sogenannte Verschwörungs-Videos nach. Was waren die Beweggründe bei dieser Arbeit?
Das Video entstand aus einem Mangel an Ressourcen. Die Arbeit greift auf dokumentarisches Material zurück, ist allerdings gespickt von Bildmanipulation und letztlich eher Fiction-Film als wissenschaftliches Dokument. In diesem Sinne wird auch hier eine bestimmte “Bildform”, die des Internet- und Verschwörungsvideos, dekonstruiert. An der Nachahmung dieses “Genres” hatte ich großen Spass.

Das Bild zeigt einen länglichen weißen Raum mit Metallwänden. Am hinteren Ende des Raumes ist ein Bildschirm angebracht, auf welchem ein nach unten zeigendes Dreieck zu sehen ist. Etwas vor dem Bildschirm steht ein weißes Podest mit zwei Ordnern oder Büchern darauf.
Marlene Dennigmann, “Eine gewisse Liebe zur Symmetrie”, 2019, Installation im Prima Kunst Container in der Stadtgalerie Kiel. Courtesy of the artist.

Dokumentarisch, computer-basiert, fiktiv-narrativ, deine Bildsprache ist sehr divers. Kommt die Idee stets vor der Form?
Mich interessieren stärker performative Aspekte oder Inszenierungsmethoden, die Art, “wie” etwas gezeigt wird. Oftmals steht am Anfang einer Arbeit die Frage, “Was wäre wenn ..?” Die genaue Form ergibt sich dann von alleine.

Feminismus, Identität, Heimat – Deine Themen besitzen jeweils starke gesellschaftliche Bezüge. Würdest Du Deine Arbeit als politisch motiviert bezeichnen?
Ich selbst bin queer-feministisch unterwegs, allerdings findet sich darin allein noch kein künstlerischer Impuls. Das Politische äußert sich meiner Meinung nach eher in der Haltung, Filme zu machen, beispielsweise in der Besetzung oder dem Setting. Filmisch lehne ich an Pop-Kultur an und versuche, durch Brüche und Dekomposition Widersprüche aufzudecken und so ein alternatives Bild von “Gesellschaft” zu erzeugen.

Das “Open: closed Boarders”-Festival, welches die Erzeugnisse des “Grenzgänger”-Förderprogramms präsentiert, findet am Freitag, den 4. September, und am Samstag, den 5. September, im Literarischen Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin statt. Zusammen mit Robert Ehrlich fertigte Marlene Dennigmann einen Digital Essay über das Grenzgänger-Programm an. Die Installation „Dresscode Uniform“ wird vom 17. bis zum 22. November 2020 in der Ausstellung „Monitoring“ auf dem 37. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest ausgestellt werden. Weitere Informationen sowie Werkausschnitte der Künstlerin finden sich auf ihrer Webseite.

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