Hands on im Kunstverein
Bettina Steinbrügge im Gespräch

26. November 2020 • Text von

November in Deutschland. Das Land steckt im „Lockdown light“, es gelten wieder stärkere Kontaktbeschränkungen und auch die Kunstinstitutionen sind geschlossen. In dieser Ausnahmesituation sprechen wir mit Bettina Steinbrügge, Leiterin des Kunstverein in Hamburg, über die Krise und die Aufgabe und Rolle des Kunstvereins – währenddessen und über die Krise hinaus.

Bettina Steinbrügge sitzt auf dem Boden, die Beine gekreuzt und den Kopf in die Hand gestützt.
Bettina Steinbrügge. Foto: Natascha Unkart.

gallerytalk.net: Es drängt sich die Frage auf, wie Sie im Kunstverein mit dem Lockdown umgehen. Wie beeinflusst er Ihre Arbeit?
Bettina Steinbrügge: Wir haben seit März dreimal so viel Arbeit, weil die Bürokratie zunimmt, wir unsere Digitalspielflächen ausgebaut haben und momentan alles zweigleisig planen. Wir hoffen, dass das nächste Jahr für uns normal läuft, aber im Hintergrund schwingt immer mit, dass eventuell Dinge verschoben oder unterbrochen werden müssen. Plan B ist in fast allen Fällen, die Inhalte digital umzusetzen. Wir haben uns außerdem von Anfang an darum bemüht, unsere Künstler*innen und Freelancer*innen in dieser besonderen Situation zu unterstützen. Unsere erste Maßnahme war, unserem Aufbauteam eine Sonderzahlung zukommen zu lassen. Unser Sommerprojekt mussten wir aufgrund der Covid-Situation ändern und haben das als Chance genutzt, sehr viele verschiedene Künstler*innen auch aus anderen Disziplinen einzubinden. Wir haben viele Performances gezeigt und dazu nicht nur bildende Künstler*innen eingeladen, sondern auch Tänzer*innen und Schauspieler*innen, die die Situation ja noch mehr in Schwierigkeiten gebracht hat. Normalerweise hätten wir nicht so viele verschiedene Positionen gezeigt, aber es war uns wichtig, so viele Kunstschaffende wie möglich mit einem vernünftigen Honorar zu unterstützen und ihnen eine Aufführungsplattform zu bieten.

Man sieht eine Installation aus von der Decke hängenden Ketten, an denen jeweils verikal zwei weiße Neonröhren und darunter Einzelteile aus Metall angebracht sind, die den Eindruck eines "skelett- oder strichmännchenartigen" Körpers erwecken.
Matheus Rocha Pitta: The Curfew Sirens, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2020. Foto: Fred Dott.

Sie plädieren für eine Neubewertung der Kunstwelt auf Basis von mehr Solidarität. Nehmen Sie aktuell tatsächlich mehr Solidarität in der Kunstwelt wahr?
Die Hamburger Kunstwelt agiert während der Lockdowns sehr solidarisch. Hier sprechen die Kolleg*innen viel stärker und häufiger miteinander als in anderen Städten, nicht nur innerhalb der offiziell vernetzten Kunstmeile, sondern auch mit den anderen Häusern. In der aktuellen Situation waren sofort alle dabei, die Mäzene haben Geld gegeben, die verschiedenen Institutionen haben sich allesamt engagiert. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel telefoniert, wie im ersten Lockdown, weil wir alle gemeinsam überlegt haben, was wir machen können. Dazu kommen eine Stadt und eine Kulturbehörde, die sich der Situation bewusst sind, die gute Lösungen finden wollen und sofort Hilfsprogramme aufgelegt haben. Ich habe selten eine so effektive und lösungsorientierte Zusammenarbeit erlebt, das war wirklich großartig!

Man sieht eine Installation aus weißen Booten und einem blaue Banner mit roter Schrift, auf der es heißt: Imagine you were here.
ars viva 2020, Cemile Sahin, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2020. Foto: Fred Dott.

Was bewegt Sie gerade inhaltlich? Wie verhält sich Ihre die aktuelle Ausstellung „Not fully human, not human at all“ zur Krise?
Nun ja, die Ausstellung haben wir natürlich vor Corona geplant. Es geht um Globalisierungsprozesse und das große Schweigen in Europa gegenüber dehumanisierenden Missständen, etwa der Situation der Flüchtenden im Mittelmeer und in Moria, Antisemitismus und Ähnliches. Covid ist nachträglich dazu gekommen. Eine Künstler*innengruppe der Ausstellung, bestehend aus Valentina Desideri, Denise Ferreira da Silva und Arely Amaut, haben eine Arbeit dazu beigesteuert. Covid 19 ist natürlich auch eine Klassenfrage, die Ärmsten sind besonders betroffen. Ein weiteres Thema ist, wie wir mit uns und den Künstler*innen umgehen und wie sich auch das Kunstfeld humanisieren kann. Das sind alles sehr politische und zuweilen auch traurige Fragen. In der kommenden Ausstellung gibt es dann erst mal wieder ein Kontrastprogramm. Dann wird es wunderschöne Malerei zu sehen geben, damit die Besucher*innen durchatmen können. Das gehört auch dazu.

Ein grüner Strauch mit dem Buch von Mary Angelou "And Still I rise" in der Mitte. Installationsansicht von Saddie Choua, lamb chops should not be overcooked, 2019.
Saddie Choua: lamb chops should not be overcooked, 2019. Installationsansicht Contour Biennale 9. Foto: Lavinia Wouters.

Wie sehen Sie, ganz unabhängig von Corona, ihre Rolle als Kunstverein?
Der Kunstverein ist dazu da, Kunst zu fördern, die noch nicht breit bekannt und noch nicht in den großen Institutionen angekommen ist. Diese Arbeit hat kein Riesenpublikum, aber sie ist wichtig. Irgendjemand muss damit anfangen, junge Kunst auszustellen. Kultur hat generell eine wichtige Aufgabe in der Gesellschaft: Sie fördert Empathie, demokratisches Verhalten und den gesellschaftlichen Austausch.

Wie sehen Sie Ihre Rolle konkret auf Hamburg bezogen?
Der Kunstverein hat ein sehr internationales Programm, durch mich ist das wahrscheinlich noch verstärkt worden, weil ich selbst viel gereist bin, etwa im Nahen Osten, Asien und Südamerika. Er hat die Aufgabe, die neuesten Künstler und Diskurse nach Hamburg zu bringen, und das sind in der heutigen Zeit nun mal globale Themen. Wir machen explizit kein lokales Ausstellungsprogramm. Zwar zeigen wir in Gruppenausstellungen immer wieder Künstler*innen der Stadt, aber nicht regelmäßig. Denn es gibt bereits viele Einrichtungen für Hamburger Künstler*innen und es bringt ihnen wenig, hier in vier Institutionen ausgestellt zu werden, aber nicht aus der Stadt herauszukommen. Stattdessen versuche ich hinter den Kulissen „unsere“ Künstler*innen über die Stadtgrenzen hinaus bekannt zu machen. Etwa, indem ich sie in Auswahljurys für Stipendien “mitnehme”, ich Texte für sie schreibe, an der HFBK unterrichte und so fort. Das ist eine Form der Unterstützung, die zwar nicht nach außen sichtbar ist, aber die ich als meine Aufgabe als Kunstvereinsleiterin begreife. Das ist auch effektiv, weil der Kunstverein eine gute Reputation hat. Diese Reputation würde er verlieren, wenn wir ein ausschließlich lokales Kunstprogramm zeigen würden. Ein international hochklassiges Ausstellungsprogramm und die effektive Förderung lokaler Künstler*innen geht also meiner Ansicht nach Hand in Hand.

Men sieht eine Installation mit pinken und lila Lichtreflexen und einen Bildschirm, auf dem zwei Lippenpaare zu sehen sind, sowie  Objekte, die an Körperteile erinern.
Peaches: Whose Jizz is This?, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2019. Foto: Fred Dott.

Apropos Ausstellungsprogramm, was dürfen unsere Leser*innen für Ausstellungen in der nächsten Zeit  erwarten?
Wir fangen, wie gesagt, im nächsten Jahr mit einer Gruppenausstellung mit Malerei an, die den Rahmen sprengt und in den Raum greift. Die wird sehr international besetzt, parallel zeigen wir im kleinen Saal im Erdgeschoss eine Aborigine Künstlerin, Nyapanyapa Yunupingu. Dann zeigen wir im Herbst Korakrit Arunanondchai, ein junger Künstler aus Bangkok, der in den letzten Jahren für viel Furore gesorgt hat, unter anderem auf der Venedig-Biennale. Darauf freue ich mich sehr! Ferner realisieren wir ein Projekt mit dem katalanischen Filmemacher Albert Serra, in dem es um die deutsche Geschichte geht. Zuletzt kann ich noch Simon Denny ankündigen, ein neuseeländischer Künstler, der mit mir gemeinsam eine Ausstellung zu technologischen Reliquien kuratiert.

Wir drücken die Daumen, dass alles planmäßig läuft und bedanken uns herzlich für das Gespräch!

WANN: Momentan ist der Kunstverein aufgrund der Corona-Pandemie zwar geschlossen, das Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung „Not Fully Human, Not Human at All“ läuft aber weiter. Darüber wird auf der Webseite des Kunstvereins und den üblichen Social-Media-Kanälen informiert. 
WO: Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, 20095 Hamburg.

Weitere Artikel aus Hamburg