Kontinuität fürs Jetzt Dirk Luckow über 30 Jahre Deichtorhallen
10. April 2020 • Text von Christina Grevenbrock
Ursprünglich war das Gespräch mit Direktor Dirk Luckow als allgemeiner Einblick in eine der größten Ausstellungshallen für Gegenwartskunst gedacht, aber dann kam die Corona-Krise dazwischen. Nun wandere ich auf dem Weg zum Interview durch das menschenleere Hamburg zu den Deichtorhallen und wundere mich, plötzlich vor einer riesigen Abbruchbaustelle zu stehen, wo früher die City-Hochhäuser standen. Es ist halt gerade wirklich alles anders.
gallerytalk.net: Wie geht es Ihnen?
Dirk Luckow: Mir geht es gut, trotz Corona. Die Deichtorhallen sind zwar vorerst geschlossen, was einen riesigen Einfluss auf alle Planungen hat, aber wir sind für mehrere Szenarien gewappnet. Zwei frisch angelaufene Ausstellungen, “Quadro” und “Jetzt!”, mussten geschlossen werden und wir konnten “gute aussichten” und “recommended” nicht wie geplant eröffnen. Das finden wir natürlich schlimm, andererseits ist uns die Bedeutung dieser Schließung bewusst. Es muss im Moment alles dafür getan werden, dass der Virus gebremst und ein katastrophaler Verlauf abgewendet wird.
Wie gehen Sie mit der Zwangspause um?
Wir haben zunächst unsere ganze Planung zwei, drei Monate nach hinten verschoben. Die Änderungen würden sich dann bis 2022 ziehen. Wenn es tatsächlich ab Mai/Juni wieder weitergeht, wäre das nicht ganz so dramatisch.
Das klingt trotzdem nach einem logistischen Albtraum. Was müssen Sie alles beachten?
Es ist viel Arbeit. Man muss zum Beispiel alle Künstler*innen informieren, die Leihgeber und Sammler*innen natürlich auch. Innerbetrieblich hat Corona, wie überall, auch Konsequenzen: Viele Mitarbeiter*innen, vor allem die, die eine Vorerkrankung, eine längere Anreise oder kleine Kinder haben, machen Homeoffice, der Rest arbeitet strikt getrennt in unseren Räumen. Der persönliche Kontakt fehlt uns, aber wir machen das Beste über Telefonkonferenzen und Videocalls daraus.
Wie steht es um den Kontakt zum Publikum?
Wir werden unsere Präsenz im Internet weiter ausbauen. In den sozialen Netzwerken lassen sich unsere Aktivitäten unter dem Hashtag #ClosedButOpen zusammenfassen. Empfehlen möchte ich den Instagram-Takeover des recommended-Stipendiaten Tobias Kruse vom 6. bis zum 10. April. Ferner gewinnt unsere vierte, digitale Ausstellungshalle, das Online-Magazin HALLE4, jetzt weiter an Bedeutung. Dort erscheinen Interviews, Kolumnen und Hintergrundberichte zu unseren Ausstellungen und die aktuelle Situation, etwa über die freien Künstler*innen in der Corona-Krise. Aber das persönliche Erleben der Kunst und Fotografien in den Ausstellungsräumen fehlt natürlich trotzdem. Die besondere Präsenz etwa von Malerei oder künstlerischen Installationen ist übers Internet schwer zu vermitteln.
Ihnen brechen aktuell die Eintrittsgelder weg, wie stehen die Deichtorhallen finanziell da?
Wir haben keine Einkünfte mehr durch die Ausstellungen, uns fehlen die Shop-Einnahmen oder auch die durch die Vermietungen auf unserem Parkplatz und vieles mehr. Gleichzeitig haben wir natürlich laufende Kosten. Das türmt sich schnell und wir werden zusehen müssen, wie wir das im Laufe des Jahres wieder ausgleichen. Außerdem müssen wir hoffen, dass unsere Sponsoren uns weiter unterstützen werden. Wir haben natürlich keine finanziellen Polster, mit denen wir größere Ausfälle bei weiterer Schließung auffangen könnten. Die Situation kann sich schnell dramatisch ändern.
Soweit die Lage der Deichtorhallen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu, wie sich die Coronakrise im restlichen Kulturleben der Stadt auswirken wird?
Wenn wir in zwei bis drei Monaten wieder zu einer Normalität zurückfinden, sind die Auswirkungen hoffentlich überschaubar. Die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen könnten natürlich drastisch ausfallen, was das Kulturleben auf jeden Fall beeinflussen wird. Nicht nur Theater, Musikhäuser und aufführende Künstler*innen trifft der Lockdown schwer, auch die bildenden Künstler*innen, Museen und Ausstellungshäuser. Deshalb müssen das Kulturleben und die Kunst in Hamburg nach Corona umso dynamischer zurückkehren. Aber die momentane Situation wird sich erst einmal drückend auf die gesamte Kulturwelt auswirken. In der Kunst etwa brechen Messeverkäufe weg, Galerien werden auf Online-Plattformen angewiesen sein. Inwiefern diese Veränderungen Folgen für die Museen in Hamburg haben werden, ist noch schwer abschätzbar.
Offensichtlich bleiben die Aufgaben auch in mehr als zehn Jahren Deichtorhallen nicht langweilig! Welche Projekte waren besonders wichtig?
Die Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven an den Deichtorhallen bleiben interessant – jede Ausstellung ist hier ja ein Großprojekt. Und persönlich fühle ich mich in Hamburg sehr wohl. Insbesondere auch in den Kooperationen mit zwei der größten Privatsammlungen in Hamburg, die Sammlung F.C. Gundlach, die 2005 als Dauerleihgabe ans Haus kam, und die Sammlung Falckenberg, die wir seit 2011 in Kooperation mit dem Sammler bespielen. So sind die Deichtorhallen ein bisschen mehr geworden als das reine Ausstellungshaus, als das sie ursprünglich konzipiert waren.
Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Zeit an den Deichtorhallen, welche Ausstellungen stechen heraus?
Da gibt es einige! 30 Jahre Deichtorhallen stehen ja auch für eine bemerkenswerte Kontinuität für ein Haus, das sich ganz dem Zeitgenössischen widmet. Schon über die erste Ausstellung “Einleuchten” mit Harald Szeemann als Kurator zeigten die Deichtorhallen mit den künstlerischen Polen Bruce Nauman und Sol LeWitt Positionen, die noch heute das Kunstverständnis in der Welt prägen.
Ausstellungen wie “Der zerbrochene Spiegel”, kuratiert von Kasper König und Hans-Ulrich Obrist, sind ebenso unvergesslich wie die Medienkunst Sammlung von Julia Stoschek. Weiter sind einige der großen Themenausstellungen wie “Hyper! A Journey into Art and Music” oder die Retrospektiven von Maria Lassnig oder Alice Neel zu nennen. In der Fotografie stechen die Ausstellungen von Annie Leibovitz, Martin Muncacsi oder Saul Leiter hervor, die hier kuratiert in der ganzen Welt tourten. In der Sammlung Falckenberg sind es Ausstellungen von Philipp Guston, Raymond Pettibon oder jetzt kommend Katharina Sieverding, die mich persönlich gefesselt haben oder noch fesseln werden. Ganz oben auf der Liste steht aber immer noch das “Horizon Field Hamburg” von Antony Gormley. Künstler und Künstlerinnen denken in diesen drei Hallen immer groß, das geht schon von den Räumen her nicht anders.
Und wie soll es weitergehen?
Städtebaulich werden die Deichtorhallen immer mehr zu einem Dreh- und Angelpunkt zwischen Hamburgs Stadtkern und neuer HafenCity. Allein daraus erwächst eine zunehmend größere Bedeutung als modernes Zentrum für zeitgenössische Kunst und Fotografie. Die Hallen müssen architektonisch optimal gerüstet sein, um im Reigen führender Ausstellungshäuser weiterhin glanzvoll mitmischen zu können. Das Außengelände um die beiden Hallen mit dem angrenzenden neuen Gruner & Jahr Gebäude soll sich noch besucherfreundlicher ins Stadtgefüge einpassen und wir werden alles dafür tun, dass die Kooperationen mit beiden Sammlungen, F.C. Gundlach und Harald Falckenberg, auch über 2023 hinaus verlängert werden. Wir sind in Hamburg angekommen als Institution, die über Hamburg hinaus ausstrahlt. So soll es bleiben!
Auch wenn das Programm gerade in der Luft hängt, es wird ja etwas Neues kommen. Worauf dürfen sich die Besucher*innen freuen, wenn der Betrieb wieder weiterläuft?
Unser Ausstellungsprogramm wird in Zukunft noch globaler aufgestellt werden etwa mit der Kooperation mit dem Zeitz Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt für eine große William-Kentridge-Ausstellung, der Sammlung der Sharjah Foundation in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder der kommenden Foto-Triennale über die weltumspannende Rolle der Fotografie. Die Deichtorhallen sind von Anfang an das Tor zur internationalen Kunst für Hamburg gewesen. Diesen Leitgedanken wollen wir gerne zeitgemäß fortspinnen. Die Kunst ist global und das soll sich auch in unserem Programm spiegeln, ohne dass wir die klassische Achse Europa – Amerika vernachlässigen.
Was wären da Beispiele?
Anlässlich der Präsidentschaftswahl in den USA im November dieses Jahres etwa zeigen wir die Projekte “Space Program” von Tom Sachs und “The Geography of Poverty” von Matt Black. Ich selbst bereite gerade eine Ausstellung mit Sarah Morris für Herbst 2021 vor. Die New Yorker Künstlerin hat in der ganzen Welt Metropolen gefilmt, deren urbanes Erscheinungsbild ihre abstrakten Gemälde inspirieren. Wir arbeiten immer eng mit Künstler*innen zusammen, bauen aber auch den Austausch mit Kurator*innen aus, und greifen so auf Ihre spezielle Expertise zurück. Die Deichtorhallen werden weiterhin anspruchsvoller Kunst eine außergewöhnliche Bühne bieten!
Vielen Dank für das Gespräch!
Klar ist, die Deichtorhallen haben sich in den letzten Jahren durch eine Aneinanderreihung von Großprojekten ausgezeichnet, darunter die Sanierung der Halle für aktuelle Kunst und die Angliederung der Sammlung Falckenberg als dritte Halle in Harburg. Es sieht ganz danach aus, als würde sich Luckow durch die aktuelle Zwangspause ganz und gar nicht bremsen lassen. Man darf deshalb gespannt bleiben, was die Zukunft für die Deichtorhallen noch bringt!