Komponierte Stille
Innehalten. Betrachten. Fühlen.

23. Januar 2018 • Text von

Nur wenige Gehminuten vom Trubel des Bahnhofs Zoologischer Garten findet sich ein Ort der Ruhe. In der Galerie Springer wird die Hektik des Alltäglichen entschleunigt. Mit Werken der Fotografin Evelyn Hofer.

Text: Lilia Becker

Evelyn Hofer, Oaxaca Jar with Aubergine (Still Life No. 2), New York, 1996, Copyright: Estate Evelyn Hofer

Ein großes Backsteingebäude. Das eiserne Tor lädt die Augen des Vorbeigehenden zum Verweilen ein. Der Blick gleitet über die sachliche und doch romantische Fassade des Künstlerdomizils des Architekten Bernhard Sehring. Das denkmalgeschützte Haus ist auch heute noch Wohn- und Arbeitsraum für Kreative und Kunstschaffende. Auch die Berliner Galerie Springer hat hier seit Jahren ihren Sitz.

Evelyn Hofer, Roofs, Paris, 1967, Copyright: Estate Evelyn Hofer

Betritt man die Galerie, fällt an diesem Tag nicht nur der hohe weiße, lichtdurchflutete Raum auf, sondern auch die unaufdringliche Präsenz der deutschstämmigen Fotografin Evelyn Hofer, geboren 1922 in Marburg an der Lahn. Die Aufnahme „Roofs“ aus der Sechziger Jahren eröffnet den Blick auf einen Ausblick. Wie ein Fenster, das ein weiteres erschließt. Der untere Bildabschnitt zeigt einen Schreibtisch samt leerem Stuhl. Der obere, hellere, eine unverdeckte Fensterfront, die den Blick in die Ferne schweifen lässt, über die Dächer der Stadt Paris. Die Fassungen der Fenster gliedern die obere Bildhälfte. Vertikale Linien, die nicht ablenken, keine künstliche Barriere aufbauen, sondern Ruhe schenken. Fast so, als würden sie das Bild stützen, ihm Halt geben. Evelyn Hofer, so erzählen ihre Fotografien, war ein leiser und detailverliebter Mensch. Obwohl die abgebildeten Orte vielleicht unbekannt, die Personen fremd sind, so strahlen diese Aufnahmen Vertrautes aus.

Evelyn Hofer, Harlem Church, New York, 1964, Copyright: Estate Evelyn Hofer

All diese Werke sind dabei keine Zufallsprodukte, sondern Inszenierungen, Kompositionen und Ergebnisse einer Bindung zu ihrer Umgebung. Man möchte vor diesen verweilen und die vergangene Welt durch ihre Augen sehen. Evelyn Hofer schaffte es, leise Aufnahmen zu machen, die Gefühl transportieren. Der Stolz dreier New Yorkerinnnen, die vor einer Kirche in Harlem stehen, durchläuft das gesamte Bild von „Harlem Church“ und zaubert ein Lächeln auf die Lippen des Betrachters.

Evelyn Hofer, Diego Rivera’s Bedroom, 1983, Copyright: Estate Evelyn Hofer

Ein weiterer Abschnitt der Galerie ist ihren Stillleben gewidmet, welche durch das Weinrot der Galeriewand besonders zur Geltung kommen. Die Serie war das letzte Projekt vor ihrem Tod. Diese Fotografien vereinen das gesamte Können Hofers in sich. Die Rahmung der Bilder bildet keine Begrenzung für das Empfinden der Stofflichkeit, des Lebens, dem Geschmack der Früchte und der Schwere der Samtdecke, die in diesen Werken vermittelt werden, indem Kompositionsprinzipien der Malerei aufgegriffen werden. Evelyn Hofer starb 2009 in Mexiko-Stadt, wo sie auch das Foto des Schlafzimmer Diego Riveras aufnahm. Auch das finale Werk von dessen Ehefrau, Frida Kahlo, war ein Stillleben.

Evelyn Hofer, Andy Warhol, New York, 1965, Copyright: Estate Evelyn Hofer

Bemerkenswert ist im selben Raum auch die 1965 in New York entstandene Fotografie Andy Warhols. Er steht im Schatten, Hände leicht in die Hosentaschen gesteckt, seine Augen durch eine Sonnenbrille verborgen – er wirkt schüchtern. Nur die Haut seiner Hände und des Gesichts treten aus dem Dunkel hervor. Ein Lichtkegel lässt das neben ihm stehende Porträt der Schauspielerin Elizabeth Taylor erstrahlen. Warhol gewährt diesem ganz den Vortritt.

Evelyn Hofer, Girl with Bicycle, Dublin, 1966, Copyright: Estate Evelyn Hofer

Im hintersten Bereich der Ausstellung wird der Blick direkt auf das dem Türbogen gegenüber hängende Bild eines Mädchens gelenkt, das ein ihr viel zu großes Fahrrad hält. Hinter ihr ein Hund, der Szene bereits abgewandt. Das Bild kann als Höhepunkt der Ausstellung verstanden werden, der durch die Farbigkeit der Wand hervorgehoben wird. Eine Aura des Sakralen wird durch den Einfall der Deckenbeleuchtung verstärkt, der ein Schatten- und Lichtspiel um das Foto wirft, das an einen Nimbus erinnert. Das auf den ersten Blick trist wirkende Kind, scheint nun gar nicht mehr so freudlos, sondern neugierig und frech. Zwei eindrucksvolle Aufnahmen der Villa Medici in Rom leisten dem jungen Mädchen Gesellschaft. Den Fotografien, die Innenaufnahmen zeigen, gelingt es kunstvoll, das einzigartige Licht Roms einzufangen.

Evelyn Hofer, Villa Medici, Hall, Rome, 1982, Copyright: Estate Evelyn Hofer

Der Galerie Springer gelingt es mit ihrer liebevollen Auswahl und Anordnung von Evelyn Hofers Werk, die Neugier auf ihre Person und ihre Schaffen zu wecken. Vielleicht waren es die nicht bleiben-wollenden Schneeflocken an diesem Tag, vielleicht auch die leise Cembalo-Musik, die von der Empore der Galerie aus den Besucher empfing. Sicher ist, dass dieser Nachmittag ein besonderer war. Diese Ausstellung sei daher all jenen ans Herz gelegt, die Unbekanntes entdecken möchten und einen Ort der Stille und Inspiration suchen.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Februar zu sehen.
WO: Galerie Springer, Fasanenstraße 13, 10623 Berlin

 

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