Königliche Ziegel
Königsklasse IV im Schloss Herrenchiemsee

26. August 2019 • Text von

Kinder packt die Badehose ein, wir gehen ins Museum! Auch dieses Jahr wird wieder Gegenwartskunst aus der Pinakothek der Moderne, dem Museum Brandhorst und privaten Sammlungen im von König Ludwig II. errichteten Schloss Herrenchiemsee gezeigt. Die “Königsklasse IV” ist aber viel mehr als nur ein schöner Ausflug zum Chiemsee – hier wird den Besuchenden eine innovative Kunstvermittlung und ein Einblick in die Sammlungsarbeit der Museen geboten.  

Schloss Herrenchiemsee, Neues Schloss, Innenansicht des Nordflügels, Foto: Julia Anna Wittmann

Um die Pinakothek der Moderne zu besuchen muss ich mich nur in den Bus 100 (Museumslinie) setzen. Die vierte Ausgabe der “Königsklasse” zu erreichen ist da schon etwas aufwendiger. Mit einer Fähre setze ich zur Herreninsel im Chiemsee über, hier befindet sich Herrenchiemsee, ein Schloss umgeben von viel Wasser und Natur. König Ludwig II. hatte einen guten Geschmack bewiesen bei der Auswahl seiner Schlösserstandorte und als der Märchenkönig 1886 schließlich im Starnberger See verschwand, hatte das tatsächlich auch etwas Gutes, denn die Bauarbeiten an seinem letzten Schlossprojekt wurden eingestellt. Der nördliche Trakt des Gebäudes blieb unvollendet. Über ein Jahrhundert später ist dort ein eindrucksvoller Ausstellungsraum entstanden, in dem die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen seit 2013 im Rahmen der “Königsklasse” moderne und zeitgenössische Kunst zeigen können. 

Von außen unterscheidet sich der nördliche Flügel nicht vom restlichen Gebäude. Historismus vom Feinsten: viel Gold, Stuck und Ornament. Doch im Inneren verstecken sich hohe Räume, große Fenster und unverputzte Ziegelwände. Durch den Baustopp ist eine einzigartige Architektur entstanden, die die Kunstwerke, die größtenteils für den white cube konzipiert wurden, in einem neuen, spannenden Kontext zeigt. Jeder der zehn Kunstschaffenden füllt einen Raum mit Werken, die dadurch genügend Platz zum Atmen haben und in einer kuratorisch geschickten Abfolge platziert wurden.  

Wolfgang Laib: Ohne Anfang und ohne Ende, 2005-2018, Foto: Julia Anna Wittmann.

Direkt im ersten Raum türmen sich zwei architektonische Objekte auf, deren gelbgoldene Farbe an die prunkvollen Ornamente des Schlosses erinnert. Die zwei monumentalen Plastiken “Ohne Anfang und ohne Ende” (2005-2018) von Wolfgang Laib sind mit dicken Schichten Bienenwachs verkleidet, was einen angenehmen Duft hinterlässt und eines der wenigen Materialien ist, mit dem der Künstler arbeitet. Laib ist bereits in der Pinakothek der Moderne mit dem Werk “Blütenstaub von Kiefern” (1983-86) vertreten. Nun wurden auch die Wachsarchitekturen mit Hilfe der Vereine PIN. und den International Patrons of the Pinakothek angekauft. Die hier von privaten Sammlern zur Verfügung gestellten Arbeiten werden also mit Hintergedanken gezeigt und könnten sich bald im Münchner Museum befinden. So zeigt sich das Motiv der “Königsklasse”. Es handelt sich hier nicht um eine thematische Ausstellung, sondern um eine gezielte Erweiterung der Sammlungsbestände. Neben in der Pinakothek bereits bekannten Gesichtern werden auch Kunstschaffende (wie Etel Adnan oder Hans-Jörg Georgi) gezeigt, deren Werke den Sammlungsbestand bereichern würden.

Arnulf Rainer, Ohne Titel (Bretterkreuz), 1981-84, Foto: Julia Anna Wittmann.

Zurück zur Kunst. Besonders eindrücklich wirken die Arbeiten Arnulf Rainers im darauffolgenden Raum. Er bedient sich der Form des Kreuzes, ein Machtsymbol, und versucht auf dessen Oberfläche das Schwarz zu fassen. In einem white cube wären seine Gemälde bestimmt auch nett anzusehen gewesen, jedoch präsentieren sie sich in den unvollendeten Hallen des Schlosses geradezu sakral. Dieselbe Beobachtung lässt sich auch bei den Lichtarbeiten Dan Flavins machen. Seine Werke sind in so gut wie jedem musealem Kanon zu finden und das meistens im white cube, sie wurden schließlich auch dafür gemacht. Seine hier gezeigte Reihe “’monument’ for V. Tatlin”, die zwischen 1964-70 entstand, entwickelt plötzlich eine ganz neue Wirkung vor dem texturierten Hintergrund. Das Licht umfließt die Ziegel, Schatten entstehen und es ist unklar, wo genau das Werk endet, dessen Leuchtkraft bis in die letzten Ritzen vorzudringen scheint. 

Keine Wandtexte stören die Wirkung der Kunst. Schlichte, reduzierte Namenstafeln lassen die Objekte und Gemälde für sich selbst sprechen. Diese Art der Präsentation wird nur durch einen längst überfälligen pädagogischen Ansatz möglich, an dem sich viele Institutionen ein Beispiel nehmen sollten. Im Gegensatz zu in Stein gemeißelten Wandtexten, die sich normalerweise in Ausstellungen finden lassen, haben die Besuchenden in der “Königsklasse IV” die Möglichkeit auf einen Austausch, ein Gespräch. Durch das Vermittlungsprogramm “Königskunde” wandelt sich der kunsthistorisch elitäre Monolog in einen offenen Dialog. Auf jedem Stockwerk befinden sich mehrere Vermittelnde “Königskundler”, freundliche Menschen, die einem die Kunst näher bringen möchten.  

Ausstellungsansicht, Königsklasse IV, Etel Adnan, Foto: Julia Anna Wittmann.

Zurück in München ist ein Besuch der Pinakothek der Moderne dringend zu empfehlen. Die  Kunstwerke, die in Herrenchiemsee zu sehen waren, stehen im direkten Bezug zur Sammlungspräsentation. Besonders spannend ist es, hier nochmal die kleinformatigen Gemälde Etel Adnan mit den ausgestellten Werken Paul Klees zu vergleichen. Die Künstlerin, die eigentlich für ihre Prosa bekannt ist, hat überhaupt nur wegen Klee zu malen begonnen. Die Künstlerin hat den Spieß umgedreht, der Maler wird zur Muse. Zudem gibt es im Museumsareal ein Gebäude, welches dem Schloss Herrenchiemsee nicht unähnlich ist. Außen historisch und innen modern – das Türkentor.  

WANN: Noch zu sehen bis 3. Oktober.
WO: Schloss Herrenchiemsee, Chiemsee, Bayern.

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