It’s your turn
Kalas Liebfried an der Schnittstelle zur Interaktion

31. Juli 2020 • Text von

Kalas Liebfrieds künstlerisches Medium ist seine Umgebung, die er mit Atmosphäre bespielt. Wie? In seiner Performance “Ports in Transition” im Garten des Lenbachhaus’ gelang ihm das über Sound, choreographierte Bewegung und ein Publikum, das zunächst verunsichert zurückblieb. In einem aktivierten Rezeptionsrahmen verhandelt Kalas soziale Dynamiken, bietet Schnittstellen für Interaktion und hofft auf mehr Aktion, vielleicht sogar auf einen Wandel in der Gesellschaft. Wie das Ganze ablief hat unsere Gastautorin Felicia F. Leu herausgefunden.

Man sieht den Garten des Lenbachhaus in München. Rechts die Installation von Kalas Liebfried.

Kalas Liebfried: Ports in Transition, 2020, Lenbachhaus, Fotografie: Ernst Jank.

Das Szenario im Lenbachhaus war folgendermaßen: Ausgestattet mit Funkkopfhörern, über die ein Sound-Piece läuft, einem Instruction Manual sowie Walkie-Talkies konnten Rezipient*innen Signale an eine Klangskulptur aus Gitarrenverstärkern senden und so Teil der Performance werden. 

gallerytalk.net: Für alle, die bei Deiner Sound-Performance nicht dabei sein konnten: Kannst Du mir den Sound beschreiben?
Kalas Liebfried: Der Sound ist vor allem sehr langsam und sehr atmosphärisch. Seine Referenz sind field recordings von Schiffshörnern am Hafen von Piräus in Griechenland, wo zu Epiphanias (6. Januar, Anm. d. A.) alle Schiffe ihre Hörner unisono erklingen lassen. Dieser Ort wurde musikalisch überführt.

Eine sinnlich-atmosphärische Erfahrung über das Hören. Wie nutzt Du Sound als künstlerisches Material und wie erklärst Du dessen Wirkmacht?
Sound ist omnipräsent, breitet sich in alle Richtungen aus, umgibt die Anwesenden, ist Atmosphäre, Ambient. Sound ist sehr eindringlich, kann immersiv werden. Mir haben Leute von Gänsehautmomenten erzählt. Mit Sound kann man Menschen sehr direkt ansprechen und intervenieren, die Rezipient*innen ins Boot holen.

Kannst Du mir mehr zu Sound in Verbindung mit Deinem Ausgangspunkt, der Ambient Music erzählen?
Bei Ambient geht es um die Verhandlung imaginärer Orte, um die Raum- und Kontextbezogenheit von Sound. Ich versuche darauf basierend eine Methodik zu entwickeln und durch Performance den Ort als Umgebung zu definieren. Beim ersten Einsatz laufen die Performer*innen quer durch den Garten, stecken ihn als Aktionsfeld ab.

Man sieht Besucher der Installation von Kalas Liebfried.

Kalas Liebfried: Ports in Transition, 2020, Lenbachhaus, Fotografie: Ernst Jank.

In diesem Fall war das Aktionsfeld der Garten des Lenbachhauses. Aber wie bist Du überhaupt zu diesem Thema gekommen und was kannst Du mir zu den unterschiedlichen Kontexten Athen und München sagen?
Das Sound-Stück ist für das Radio des „Movement 1920-2020“ Festivals in Athen entstanden, das sich mit kulturellen Migrationsbewegungen im Mittelmeerraum beschäftigte. In  Griechenland ist dieses Thema omnipräsent. Das akute Elend erleben wir in München nicht. Die Ausstellung „Kollektive mit Sendungsbewusstsein“ fügt einen weiteren Kontext hinzu, wobei diese Thematik im Kollektiv der Schiffshörner als Signal, das nach außen getragen wird, schon vorhanden ist. Die Sound-Performance ist kollektiv, im Dialog mit anderen Künstler*innen entstanden. Das Kollektiv, das bei der Performance agiert hat, ist unsere Gesellschaft.

Dein thematischer Ausgangspunkt war also die Beschäftigung mit dem Mittelmeerraum. Welche Bedeutung hat der Hafen als transitorischer Bereich in Griechenland für Dich?
Griechenland steht seit Jahren zum einen durch die Finanzkrise, zum anderen durch die Ströme von Geflüchteten im Fokus. Für mich waren die field recordings, in denen alle Schiffe ihre Hörner gleichzeitig erklingen lassen, so etwas wie eine Geste der Solidarität, natürlich metaphorisch gemeint.

Also machst Du politische Kunst?
Das Stück ist sehr politisch, aber ich möchte die Rezeption offen halten, nicht explizit politische Kunst machen. Das ist nicht meine Art Inhalte nach außen zu tragen. Mich interessieren Strukturen und nicht unbedingt spezifische Ereignisse.

Links die Installation von Kalas Liebfried, rechts sieht man eine Performerin, die in ein Mikrofon spricht.

Kalas Liebfried: Ports in Transition, 2020, Lenbachhaus, Fotografie: Ernst Jank.

Aber auch durch den Titel “Ports in Transition” – transitorische Häfen – werden die Betrachter*innen vor der Performance geprimt. Welche Rolle spielt der Titel in der Rezeption?
Das Wort ‘port’ bedeutet sowohl Hafen, als auch Schnittstelle. In Athen liest niemand Schnittstelle. Aber in München entsprach der gesamte Aufbau dieser Bedeutung –  mit Walkie-Talkies als Schnittstellen zwischen Senden, Empfangen, Sprechen, Hören und Gehört werden. Die Gitarrenverstärker sind auch im metaphorischen Sinne als Amplifier gedacht: man verschafft sich Gehör für eine Botschaft, wird lauter. Im Titel schwingt die Hoffnung mit, dass sich die Schnittstellen durch eine Sensibilisierung bei den Besucher*innen wandeln, dass sie eine Verschiebung erfahren. 

Du meinst, dass Kunst das Potential zur Transformation der Rezipient*innen haben kann?
Ja, aber nicht in einer didaktisch-belehrenden Weise, sondern insofern, dass Kunst eine Plattform sein kann, um die Wahrnehmung zu schärfen. Es ist zwar viel von mir bestimmt, aber in einem offenen Feld. Was performativ passiert, mag choreographiert sein, aber zwischen den Einsätzen performen die Menschen unbewusst.

Wie denkst Du das Publikum als Teil der Performance mit?
Die Performance war so angekündigt, dass das Publikum aktiv werden kann: Du kannst Signale senden! Das war der erste dramaturgische Griff, um das Publikum zu einer aktiven Rezeptionshaltung zu bewegen. Nicht passiv zu sein, das ist mir wichtig, weil das die Wahrnehmung komplett verändert. Im Garten des Lenbachhaus’ gab es eine ständige Kommunikation auf verschiedenen Ebenen zwischen den Teilnehmer*innen, durch Blicke, durch Sprache.

Man sieht die Installtion Habitat and Biosphere von Kalas Liebfried in der Sofia City Art Gallery.

Kalas Liebfried: Habitat and Biosphere (Installation view), Sofia City Art Gallery, 2020, © Radostin Sedevchev.

Auch das Instruction Manual, das alle bekommen haben, aktivierte die Teilnehmer*innen. Man fragte sich: Soll oder muss ich jetzt hier mitmachen?
Genau das ist der spannende Moment. Auf politisch-gesellschaftlicher Ebene gesehen: Diese Situation kann dazu führen, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen, dass und wie man sich positioniert. Eine Gesellschaft funktioniert nur demokratisch und horizontal, wenn im besten Falle alle Personen eine aktive Haltung sich und der Gesellschaft gegenüber einnehmen, sich selbst als Bestandteil wahrnehmen und sich ihrer Souveränität bewusst werden.

Genauer hingeschaut, steht da: „It’s your turn to interpret the first section when the signal fades in. Put your index and your middle finger on the artery at your throat.“ Um was geht es Dir hier?
Den eigenen Puls als Rhythmus und Tempo nehmen, nach eigenem Ermessen handeln, den Buchstaben entsprechend. Im Sound-Stück sind viele Transmission Noises aus Soundarchiven verbaut. Im Manual wiederum geht es um eine Art Lautgedicht:  t – t – t ist eine Überführung von Transmission Noises in eine abstrakte Sprachform.

Aber man merkte schnell, dass das zumindest zunächst der Part der Performer*innen bzw. Kompliz*innen war. Wie charakterisierst Du ihre Bewegungen zu diesen Sounds?
Es ist alles durchchoreographiert. Section 1: introvertiertes, passives Individuum, Section 2: aktives Individuum, Section 3: Kollektivbildung als Chor, Section 4: Solist als handelndes Individuum in der Gemeinschaft, Section 5: die aktive Weitergabe an das Publikum, Demokratisierung.

Man sieht einen Performer in der Installation Ports in Transition.

Kalas Liebfried: Ports in Transition, 2020, Lenbachhaus, Fotografie: Ernst Jank.

Was hättest Du gemacht, wenn einfach jemand aus dem Publikum vor Section 5 zum Walkie-Talkie gegangen wäre und performt hätte?
Das wäre kein Problem gewesen. Die Performer*innen hatten die Anweisung, sobald das jemand macht, ihren Part abzubrechen und dann wieder einzusteigen, wenn es möglich ist. Im letzten Einsatz, in dem die Weitergabe an das Publikum geplant war, ist das tatsächlich spontan passiert und jemand aus dem Publikum hat eingegriffen: die Performance ist aufgegangen.

Wir haben über das Publikum und Deine Performer*innen gesprochen. Was ist Deine Rolle?
Ich war Zuschauer, ich möchte nicht Performer sein. Ich weihe Dich jetzt ein: Die Performer*innen haben die Gitarrenskulptur nicht live aktiviert, das war Playback. Bei den anderen Skulpturen waren die Gitarrenverstärker nicht angeschlossen. Das war ganz wichtig, denn so wird alles in Frage gestellt. Stichwort Fake News, Kommunikation via Social Media. Wer spricht (wann)? Spricht die Person das wirklich? Ist es live oder gefakt? Sind das Performer*innen oder Zuschauer*innen? Einmal in dieser Beurteilungssituation gewesen, kommt es vielleicht auch in der normalen Welt, die nicht Performance ist, dazu, Dinge differenzierter wahrzunehmen.

Man sieht die Arbeiten Selected Ambient Works 85-92 in der Nir Altman Galerie.

Kalas Liebfried: Selected Ambient Works 85-92 (installation view), solo show at Nir Altman, 2019 ©Nir Altman.

Eine auf den ersten Blick fast widersinnig wirkende Frage an einen Performancekünstler, aber wieso möchtest Du nicht (mehr) Performer sein?
Ich versuche mich immer mehr rauszunehmen, weil es mir sehr wichtig ist, nicht als Persönlichkeit in den Vordergrund zu treten. Ich möchte nicht meine individuelle Haltung zu etwas verhandeln, sondern kollektive Strukturen erforschen, Schnittstellen für Interaktion und Infragestellung anbieten sowie durch flache Hierarchien eine Plattform für einen offenen Austausch schaffen. 

Und wie funktionieren nun alle Komponenten Deiner Performance zusammen?
Mit Performance versuche ich einen third space zu schaffen, in dem gesellschaftliche Themen verhandelt werden: ein vernetzter Raum, in dem der  physische first und der virtuelle second space zum third space verschmelzen. Ich schaffe mit Performer*innen eine Metaebene, welche für Gruppendynamiken, Verhalten und Kommunikation untereinander sensibilisiert. Referenzpunkte wie Piräus, Sprache, der Ambient des Mittelmeeres oder des Gartens kommen hinzu. Im performativen Moment verschränke ich alle Ebenen und  aktiviere ihre Elemente in Bezug zueinander. Die Performance funktioniert als Kleber für sämtliche Bestandteile.

Zum Abschluss, ein gesellschaftliches Thema, um das man momentan nicht herumkommt: Wie siehst Du Deine Performance im aktuellen Rahmen der Pandemie?
Ich glaube, dass soziale Interaktion gewissermaßen verlernt wurde. Man kann die Performance also auch als Wiedereinstieg aus der Vereinzelung in die interagierende Gemeinschaft verstehen.

WO: Einen Einblick in die Performance „Ports in Transition“ findet  ihr hier, das Sound-Piece und das Instruction Manual gibt es hier und weitere Informationen zu Kalas Liebfried hier.

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