Hohe Erwartungen Bruce Nauman im Schaulager
28. Juni 2018 • Text von Leonie Huber
Er gilt als einer der einflussreichsten Künstler der Gegenwart, als Heroe der Postmoderne und als einsamer Cowboy der amerikanischen Kunstlandschaft der letzten fünfzig Jahre. In Zusammenarbeit mit dem New Yorker MoMA präsentiert das Schaulager Basel dieses Jahr die erste umfangreiche Retrospektive von Bruce Nauman in 25 Jahren.
Das Oeuvre von Bruce Nauman, geboren 1941 in Fort Wayne, Indiana, erstreckt sich über sechs Jahrzehnte und so ziemlich alle Medien, die in diesem Zeitraum aufkamen, weiterentwickelt und in Frage gestellt wurden. Im Mittelpunkt steht die Begegnung zwischen Betrachter*in und Werk. Dies mag wie der kleinste gemeinsame Nenner von künstlerischer Praxis erscheinen, ist aber – wenn man sich an die Messen, Biennalen und Eröffnungen der letzten Jahre erinnert – keine Selbstverständlichkeit. Viele zeitgenössische Kunstwerke wenden sich verstärkt dem intellektuellen Diskurs zu, der ihnen dadurch ihre Existenzberechtigung verleiht, oder kehren der soziopolitischen Realität der Gegenwart den Rücken und reduzieren sich selbst auf eine Funktion aus Form, Farbe und polierten Oberflächen.
Vor diesem Hintergrund scheint Naumans Aussage von 1972 heute aktueller denn je: „Wichtig ist, dass die Arbeit als solche funktioniert, dass es nicht irgendein phänomenologisches Experiment oder was auch immer ist, wo man irgendeine sonderbare Information zum Mitnehmen bekommt. Das kann auch passieren, aber die Arbeit muss gleichzeitig auch als Kunstwerk bestehen können, und in diesem Fall sind die Leute gezwungen, darüber als Kunst nachzudenken […].“
Ungeachtet der unterschiedlichen Schaffensphasen des Künstlers – von den post-minimalistischen Skulpturen und Wortspielen, sowie den Atelierfilmen der Sechziger, über die Surveillance-Videoinstallationen der Siebziger, die großen Skulpturen und Neonarbeiten der Achtziger und die disparaten Ausdrucksformen in raumgreifenden Installationen und Videos, denen Nauman sich um die Jahrtausendwende herum angenommen hat und die sein Spätwerk bestimmen – der Funktionsweise seiner Werke liegt meist ein einfaches Prinzip zugrunde:
„Es gibt zwei Arten von Informationen. […] Ich benutze zwei Arten von Information simultan, um eine andere Reaktion auszulösen. Oder ich benutze zwei Informationen, die einander widersprechen, und erzeuge eine Spannung zwischen dem, was man über eine Arbeit weiß, und der Weise, wie man sie erfährt. Ich benutze die Spannung als Hauptaspekt der Arbeit, nicht so sehr die Information sebst“, erklärt Nauman 1982.
Eine exemplarische Arbeit aus Naumans Frühwerk für dieses Prinzip ist „Storage Capsule for the Right Rear Quarter of my Body“, eine 1,83 Meter hohe Skulptur aus galvanisiertem Eisen aus dem Jahr 1966, die zu Beginn des Ausstellungsparcours präsentiert wird. Steht man der industriell aussehenden Stehle, die eine unregelmäßige, säulenartige Form mit konvexen Ausbuchtungen hat, gegenüber, erscheint diese wie eine standardartige minimalistische Skulptur. Doch der Titel der Arbeit zwingt die Betrachter*in sich vorzustellen, wie und aus welchem Grund jemand eine Aufbewahrungseinheit für (nur) die rechte hintere Hälfte seines Körpers benötigen würde.
Bekannt für die Manipulation der Wahrnehmung des Publikums sind vor allem die Korridorsituationen mit Videokamera und Liveübertragung, die Nauman zu Beginn der Siebziger Jahre zum großen Durchbruch verhalfen. In Basel ist das Werk „Corridor Installation (Nick Wilder Installation)“, benannt nach Naumans Galeristen an der amerikanischen Westküste, ausgestellt. Vier aus Sperrholz gebaute, parallel zueinander verlaufende Korridore: Am Ende des Ersten steht ein Monitor, der die Videoaufnahme des eigenen, sich von der Kamera am Eingang des Korridors entfernenden Rückens überträgt. Die Videokamera am Ende des Zweiten zeigt nur das weiße Bild der Überwachungskamera, die die Decke des Korridors filmt. Geht man um die Ecke in den dritten Gang, erhascht man gerade noch einen Blick auf seinen Fuß, der von der Kamera im zweiten Korridor aufgenommen wird. Nauman lässt die Erwartungshaltung der Besucher*innen ins Leere laufen und führt die Lächerlichkeit der Tatsache vor, dass wir davon ausgehen, unserem Videobild in Supermärkten und U-Bahnhöfen zuwinken zu können. Auch wenn man den Aufbau der Installation verstanden hat, stellt sich jedes Mal dasselbe befremdliche Gefühl ein, wenn man sich seinem eigenen Videobild nähert und sieht, wie man sich gleichzeitig mit dem Rücken zur Kamera immer weiter davon entfernt.
In der unteren Etage der Ausstellung, die in dem imposanten Gebäude des Schaulagers, erbaut von Herzog & De Meuron, hervorragend präsentiert wird, sind Werke ab den späten siebziger Jahren zu sehen, in denen Nauman sich verstärkt mit der gesellschaftlichen Realität seiner Zeit auseinandersetzt und die ebenfalls mit widersprüchlichen Informationen und enttäuschten Erwartungen spielen. Es ist die große Leistung der Schau, die unterschiedlichen Werke Naumans nach einer losen chronologischen Sortierung so anzuordnen, dass der Eindruck des vorherigen Werkes in die nächste Situation überschwappt und sich die einzelnen Arbeiten gegenseitig ergänzen, kontextualisieren oder in Frage stellen.
In der mehrkanaligen Videoinstallation „Clown Torture“ sind Clowns in vier verschiedenen Kostümen zu sehen: Ein Clown sitzt auf einer öffentlichen Toilette; ein anderer balanciert auf einem Besenstil ein Goldfischglas, das er am Ende fallen lässt; der nächste wird beim Betreten eines Raumes mit einem Eimer Wasser übergossen und ein zunehmend in Panik geratender Clown schreit „No! No! No!“. Manche Videobilder sind gekippt, kopfüber und wiederholen in Endlosschleife immer dieselbe Ungeschicklichkeit des Gauklers. Nauman benutzt den Clown, „weil daraus die abstrakte Idee einer Person hervorgeht.“ Es entsteht ein gewaltvolles, klaustrophobisches Environment, dem man ebenso sehr hofft zu entkommen, wie dass der Clown beim nächsten Mal nicht hinfällt.
In der Mitte des Ausstellungsraumes steht ein großer Stahlkäfig, genauer gesagt zwei ineinander geschachtelte Stahlkäfige. Durch eine Tür im Äußeren lässt sich der 20 Zentimeter breite, rundumlaufende Spalt betreten. Zwischen der inneren Zelle und dem äußeren Gitter, durch das sich der Ausstellungraum beobachten lässt, schieben sich die Besucher*innen Schritt für Schritt voran. Schonungslos den Blicken der Umstehenden ausgesetzt, wird nicht nur die Intensität der Entblößung durch künstlerische Arbeit spürbar, sondern es drängt sich vor allem die Frage auf, wer oder was aus welchem Grund in den Käfig eingesperrt werden soll. Ebenso wie dem Clown immer wieder der Eimer Wasser auf den Kopf fällt, müssen die Besucher*innen schrittweise durch die Enge manövrieren und können der Situation nicht entkommen. Gefangen zwischen Innen und Außen, Freiheit und Arrest, den Blicken ausgesetzt und hoffend, dass niemand die Käfigtür schließt.
WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 26. August 2018 und ist von Sonntag bis Dienstag, zwischen 10 und 18 Uhr, geöffnet. Danach zieht die Ausstellung ins New Yorker MoMA weiter.
WO: Schaulager Laurenz Stiftung, Ruchfeldstraße19, 4142 Münchenstein/Basel. Sowie online.