Flüsternder Plural
Fragmente sich transformierender Erzählungen im MAUVE

31. Januar 2020 • Text von

„Der Bote ist der Tote“ – was passiert, wenn die Überbringer*innen von Nachrichten fernbleiben und nur Objekte im Raum zurücklassen? Der Text fehlt. Die Botschaften sind in Gegenstände eingeschrieben. Im MAUVE flüstert ein Plural, der durch vier künstlerische Positionen gemeinsam erzählt.

Ausstellungsansicht „Der Bote ist der Tote,” MAUVE, Wien, 2020. Foto: Mauve.

Aber zurück zum Anfang und präziser: Toby Christian, Paul Knight, Gianna Virginia Prein und Vika Prokopaviciute zeigen aktuelle Arbeiten in einem Erdgeschosslokal in der Löwengasse. Titania Seidl und Lukas Thaler, die das kuratorische und künstlerische Projekt MAUVE betreiben, formten aus den einzelnen Werken und im räumlichen Verband des Ausstellungsraums eine kollektive Erzählung. Ihr Titel: „Der Bote ist der Tote.“ Sie ist fragil, privat und einfühlsam. Es ist eine Untersuchung des Zusammenspiels persönlicher Narrative der ausstellenden Künstler*innen, und den in Abreibung mit diesen Erzählungen entstandenen Objekten. Wie können nicht anwesende Referenzen und Narrationen durch Werk und Material sprechen?

Gianna Virginia Prein: „untitled“, 2020. Foto: MAUVE.

Kurze Berührungen, flüchtige Momente, ein hastig vorbei huschender Pfeil, der sich in die Decke des Ausstellungsraums bohrt. Die Augen heben sich. Sein Ziel? Vielleicht verfehlt, vielleicht über Umwege erreicht. Die zurückgelegte Flugbahn war nicht geradlinig. Die Krümmungen des Schafts beweisen einen mäandernden Luftweg. Ein zweiter Pfeil, ein dritter – und schon ist nicht mehr ganz so eindeutig, welches Objekt zuerst da war. Waren es die großformatigen Malereien von Vika Prokopaviciute – ihre „Chewing Gum Paintings,“ die als flüssige aber auch als erstarrte Masse zu lesen sind? Von Gianna Virginia Preins geschwungenen Pfeilen – „untitled 1-4“ fällt der Blick auf die Wände und auf Prokopaviciutes Momentaufnahmen geometrischer Operationen. Ihren Malereien falten, spiegeln, dehnen und verzerren Motive. Jedes der im Raum chronologisch gereihten Bilder greift einen Aspekt des Vorhergegangenen auf. Sie halten an ihm fest, und haben es doch schon wieder verlassen. Die sukzessive Modifikation des vorigen Motivs hält für einen Moment die verrinnende Zeit an; fast als wären es Abdrücke temporaler Stops; als wäre Zeit auf Pause gedrückt. Der eigentliche Beginn der Bildsequenz fehlt, da hier nur ein Auszug aus einer größeren zusammenhängenden Werkgruppe gezeigt wird.

Ausstellungsansicht „Der Bote ist der Tote,” MAUVE, Wien. Photo: MAUVE.

Aus einem in der Raummitte platzierten Astwerk an Zeitungsblättern stechen Laserpointer hervor. Toby Christians Skulpturen „Mauler“ und „Laserpenhead“ sind Text-Tragwerke. Die Seiten einer Londoner Gratiszeitung, zerknüllt und verknotet, werden von Holzstäbchen aufgespießt. Aus der Fülle an Text und Messages, Nachrichten und Information formt sich ein Gebilde, das einerseits dicht verflochten und anderseits trotzdem bis auf die Essenz abgemagert zögerlich im Raum verharrt. Es droht jederzeit umzufallen. Am Boden – Hundenasen – Preins „snoopers“. Sie schnüffeln um Christians Skulpturen und ertasten fühlend ihre Umgebung. Die auf Metallfüßen platzierten Schnauzen, sind Referenzen zu Suchhunden, die auf das Aufspüren elektronischer Datenträgern trainiert sind. Stöbernd werden die Nasen zu Überträger*innen der sich auf den Speichermedien befindenden Textdokumente. Jedoch verfügen die Tiere selbst über keine Möglichkeiten zur Entschlüsselung dieser von ihnen aufgefundenen menschlichen Nachrichten. Die Übermittelung ihrer Botschaft – die Entdeckung einer Festplatte – stützt sich auf eine Kommunikation aus Zeichen und Gesten und auf das räumliche Verharren am Ort des Funds.

Paul Knight: „perception reveals us to be plural (cream on pink),“ 2020. Foto: MAUVE.

In Paul Knights schwarz-weiß Fotografien „LSD pictures“ steht ebenfalls eine Form physischen Kontakts im Vordergrund. In vertrauten Berührungen begegnen sich zwei Hände, zwei Menschen: die Fingerspitzen auf einen Handrücken gelegt, ineinander gewebt, sich haltend. Die Alltäglichkeit dieser Gesten aus Gesprächen zweier sich gegenübersitzenden Liebenden erzählen über die Verschmelzung von Suchen, Finden und Vermitteln. Die gesprochenen Worte rücken in den Hintergrund. Eine andere Form von Kommunikation gewinnt Überhand. Die sensible Feinfühligkeit der Fotografien übersetzt sich in zwei gewebten Tüchern in Rosa auf Creme und Creme auf Rosa, die parallel zueinander von der Wand hängen. Sie verkörpern ebenso wie die Gesten der Hände eine Suche nach einer gemeinschaftlichen Sprache und ihrer intimen Produktion.

Eine lange Suche setzt nicht einen Moment des Findens voraus. Mit oder ohne Bot*in birgt jede Produktion das Risiko, des Missverständnis’. Die Objekte im MAUVE haben ihre Bot*innen entsendet. Zu hören sind klare Wörter, und Gemurmel, das sich schwerer entwirren lässt. Sie flüstern trotzdem weiter und produzieren Fragmente sich transformierender Erzählungen, die den Raum als gemeinsamen Plural durchschweben.

WANN: Die Ausstellung läuft bis zum 21. März. Besichtigen kann man sie nach kurzer Kontaktaufnahme. Mehr Infos dazu, gibt es hier.
WO: MAUVE, Löwengasse 18, 1030 Wien.

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