Zwischen Löschen und Erinnern „Fix“ von David Moser bei JeanClaudeMaier
4. März 2021 • Text von Louisa Behr
„Is each new iteration of a thing a new thing or simply a repetition of the previous one?” fragt Karl Holmqvist im Begleittext zur Einzelausstellung „Fix” von David Moser, die aktuell bei JeanClaudeMaier gezeigt wird. Der Künstler versucht mit seinen Werken Antworten zu finden, bezieht sich auf existente Referenzrahmen und entwickelt dabei trotzdem neue Bedeutungen.
Wiederkehrende Objekte sind zum Beispiel die karierten, weißen Seiten eines einfachen Collegeblocks oder auch die billigen, standardisierten DIN A4 Plexiglasaufsteller. Der Künstler befragt die DNA dieser Objekte, um sie dann zu untersuchen, zu verfolgen und nicht zuletzt auszulöschen – er bezweifelt, das dies möglich ist. Alles hinterlässt Spuren und selbst, wenn diese nur die Schraubenlöcher in der Wand sind, wenn die Kunstwerke wieder abgebaut werden. Sie erinnern dennoch an das, was einmal dagewesen ist. Genauso wenig, wie sich Objekte einfach auslöschen lassen, können Orte vergessen werden. Mit seinen früheren „MEMORIAL DRAWINGS“ erinnert David Moser an Queer Spaces, die es nicht mehr gibt – mit den „MEMORIAL DRAWINGS“ in „Fix“ wollte er das Thema der Erinnerung abstrakter ansprechen. Auch hier tauchen die Collegeblock-Blätter auf: der Künstler malt in einem fast meditativen Prozess mit einem schwarz- und rosafarbenen Permanentmarker die Kästchen aus und klemmt die Blätter dann in Brandschutzrahmen. Solche, in denen sonst oft Notausgangspläne oder Rettungspläne hängen. Alle Objekte, die David Moser benutzt sind Massenware, die uns im Alltag geläufig ist.
Er nutzt also bereits Dagewesenes, bedient sich dem Referenzrahmen dieser Objekte und besetzt sie mit neuen Bedeutungen – sind sie dann also neu oder nur eine Wiederholung des Vorangegangenen? Diese Frage muss vielleicht auch nicht beantwortet werden, im Hinterkopf bleibt sie beim Betrachten der Werke dennoch. Die Konstellation der Blätter in den Rahmen ist nie die gleiche, denn sie sind nicht fixiert. Nimmt man das Werk von der Wand ab und hängt es wo anders wieder auf, verschieben sich auch die losen Blätter im Rahmen. Der Versuch, etwas massenhaft produziertes in neuen Kontexten mit neuen Bedeutungen zu besetzen ist eine starke Geste, um an so etwas wichtiges wie Queer Spaces zu erinnern und vor allem daran, warum sie so wichtig sind. Die leicht brennbaren Papierblätter kriegen in den Feuerschutzrahmen auf einmal die Zuschreibung „für immer“ und „unzerstörbar“. Die „MEMORIAL DRAWINGS“ sollen Erinnerungen an Orte sichtbar machen und ins Bewusstsein holen: In seinem Arbeitsprozess denkt der Künstler dabei an Mike Kelley und seine Serie „Educational Complex“, bei der er Orte aus seiner Kindheitserinnerung in Form von architektonischen Modellen rekonstruiert. Erinnerungslücken und die Frage, woher diese kommen, bilden manchmal Leerstellen in den Modellen.
David Moser interessiert sich in seiner Praxis für Gegensätze in und das Versagen der Kunst: Der Brandschutzrahmen vs. das leicht brennbare Papier des Collegeblocks. Der Rahmen soll zwar schützen und durch seinen UV-Schutz den Prozess verlangsamen, das Papier ist dennoch der Sonneneinstrahlung durch die Fenster der Räume ausgeliefert. Verblasst der eigentlich mit „für immer“ deklarierte Permanentmarke mit der Zeit durch die Sonne oder doch durch die billige Qualität der Produkte? Hinterlässt er trotzdem Spuren? Genauso wenig, wie es Zufall ist, dass der Rollladen in diesem Raum offen ist, ist es kein Zufall, dass er im letzten geschlossen ist und dass neben jeder Steckdose bei JeanClaudeMaier ein Werk installiert ist. Der Künstler, der während der Ausstellungsvorbereitung wie bei einer Art Künstler*innenresidenz in den Räumlichkeiten arbeitete und in den angeschlossenen Wohnräumen lebte, bemerkte irgendwann die überproportionale Menge an Steckdosen in den Räumen. Er entwarf die Regel, dass bei jeder eine Arbeit installiert werden sollte – die Steckdose wurde außerdem zum Symbolbild für das Vernetzen und Verbinden. „Fix“ ist somit eine sehr ortsspezifische Ausstellung, bei welcher alle Werke direkt vor Ort neu produziert wurden und die Präsentation ebenso zum Werk gehört.
Ebenso wie die Rollläden ist die Öffnung oder Schließung der Türen kalkuliert. Den Bedeutungsebenen von „Innen“ und „Außen“, „Dazugehören“ oder „Ausgeschlossen Sein“ kann sich das eigene physischen Körpergefühl kaum entziehen. Die Arbeiten „Whipe Out with Wite•Out and Cover the Holes“ im Raum mit den geschlossenen Rollläden sind eine Art Gegensatz zu den “MEMORIAL DRAWINGS”: sollte bei Letzterem die Identität der Blätter hervorgehoben werden, ist die Idee bei Ersterem eher diese zu löschen. Mit „Wite•Out“ (dem amerikanischem Pendant zu „Tipp-Ex“) malte David Moser jede Linie des karierten Blattes nach und ließ sie so unter dem Weiß verschwinden. Die Blätter liegen auf den bereits erwähnten DIN A4 Plexiglasaufstellern und sind an ihnen mit Glitzersteinohrringen oder Piercing-Ringen fixiert. So ist die Konstruktion an die Wand geschraubt.
Sind die „MEMORIAL DRAWINGS“ noch vom Licht von draußen abhängig, existiert diese Werkreihe durch die geschlossenen Rollläden in einem zeitlosen Raum. Der Versuch des Auslöschens lässt sich nicht trennen vom Prozess des Erinnerns. Die Kombination aus durchsichtigem Plexiglas, dem Weiß der Blätter und dem Thematisieren von Leerstellen erinnert unwillkürlich an die Ästhetik von beispielsweise Félix González-Torres, dessen Werk im Kontext der AIDS-Krise in den 1990er Jahren entstanden sind. Das soziale Stigma des Virus, das zum gesellschaftlichen Ausschluss führte, das Auslöschen von Identitäten und die entstehenden Leerstellen sind Themen, die den Betrachter*innen in den Kopf kommen. Es geht um Erinnerung und Körperpolitik.
Die Farbe Pink taucht in weiteren Werken der Ausstellung auf, wie zum Beispiel bei den gefärbten Schrauben der Arbeit „BODY 18 + 20 (Desire as a Symptom)“. David Moser benutzt die Farbe bewusst, sie ist eine Art Code. Wenn er die Farbe benutzt, hat sie eine bestimme queere Konnotation in Relation zu sich selbst, so David Moser. Er denkt dabei an den politischen Körper und die Frage, wer was macht und worauf dies wiederum verweist. Die Arbeiten „BODY 93 (Nom-du-Père) (Name-des-Vaters)“, „BODY 14 (Escalated Desire)“ und „BODY 18 + 20 (Desire as a Symptom)“ greifen das Gefühl auf, David Moser denkt hier über Subjektkonstitutionen nach und die Konstruktion von Identität. Die ineinander geschraubten Plastikaufsteller sind mit Unterschriften versehen und dann mit Schrauben an die Wände neben die Steckdosen im Raum gehängt.
Erneut geht es um Spuren, David Moser stellt die Frage, welche Autogramme hinterlassen? Was ist eigentlich ein Name? Eine Zuschreibung der Eltern, für die man sich nicht entscheiden kann. Das Thema der Identitätsfindung wird wieder präsent – die Arbeit „BODY 93 (Nom-du-Père) (Name-des-Vaters)“ spielt auf die Weiterentwicklung des Freudschen Kastrationskomplexes bei Lacan an. Diese Theorien stützen alle auf einem System der Dualität, also auf einem binären System. Was David Moser betonen möchte, ist das dazwischen – diejenigen Identitäten, die durch ein binäres System ausgeschlossen werden und trotzdem unbedingt sichtbar bleiben müssen, um ebendieses System zu dekonstruieren. Es ist eben nichts „fix” und vielleicht passt die englische Bedeutung des Titels besser als die deutsche. „To fix“ im Sinne von reparieren oder in Ordnung bringen. Die Arbeiten der Ausstellung „Fix“ sind ein Netzwerk aus Referenzen und Verknüpfungen – sowohl zu schon Vorhandenem als auch zu den neu entstandenen Werken. „Are they to be clearly seperated or put together in addition or division as many things or just one?“, fragt Karl Holmqvist.
WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum Freitag, den 26. März 2021. Der Künstler David Moser und der Galerist Jean-Claude Maier bieten digitale Ausstellungsbesichtigungen an. Mehr Informationen hierzu auf dem Instagram-Account von JeanClaudeMaier.
WO: JeanClaudeMaier, Münchener Straße 38, 60329 Frankfurt am Main.