Die Zukunft gehört den Artonomisten

4. Dezember 2015 • Text von

Frank und Patrik Riklin präsentierten in der PLATFORM ihr Projekt „Fliegen retten in Deppendorf“, das sie in Zusammenarbeit mit dem Insektenschutzmittelhersteller Dr. Reckhaus realisierten. Statt Fliegen zu töten, bestand die Idee der Kunstaktion darin kollektiv Fliegen zu retten. Gallerytalk traf die Schweizer Künstler vom Atelier für Sonderaufgaben im Rahmen des Montagsgesprächs aus der Reihe „Allianzen zwischen Kultur und Wirtschaft“.

Die Riklin-Brüder machen Konzeptkunst mit Rückkopplungseffekt. Für ihre Arbeiten suchen sie den Weg aus dem White Cube und setzen dabei auf soziale Partizipation. Ihre Kunst geht stets ein Verhältnis mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen ein und begibt sich dadurch in eine Grauzone, in der noch viel kreatives Potential liegt, das es auszuschöpfen gilt. Was entsteht sind Konzepte mit massenmedialer Resonanz, kluge Eyecatcher, die auf geringem Budget und viel Eigeninitiative basieren.

Foto: Frank und Patrik Riklin / Atelier für Sonderaufgaben

Foto: Frank und Patrik Riklin / Atelier für Sonderaufgaben

Gallerytalk: Eure Kunstaktionen finden abseits des gewöhnlichen Kunstbetriebs statt, ihr habt dem White Cube bewusst den Rücken gekehrt und agiert nun vorwiegend im öffentlichen Raum. Was sind eure Motive dafür? Was bietet der öffentliche Raum, was Museen und Galerien nicht leisten können?

Frank Riklin: Unser Motiv als Künstler ist, dass wir unsere Kunst direkt in den Alltag transferieren. Das Museum, die Galerie, das Atelier interessieren uns nicht, weil die Kunst dort anders wahrgenommen wird. Wenn man im öffentlichen Raum Kunst praktiziert, greift man direkt in die Systeme ein, allen voran in das Funktionssystem Alltag. Im Kunstbetrieb sind die Möglichkeiten sehr klein, im öffentlichen Raum jedoch hat man unendlich viele. Das ist unser Spielfeld.

Patrik Riklin: Anders als im Atelier bekommt man im öffentlichen Raum eine direkte Reaktion auf die Kunst. Dort gibt es gleich Konfrontation oder Irritation, Konflikte und Reibungspunkte. Wir arbeiten sehr intuitiv. Als Kinder haben wir im Sandkasten gespielt und diese Intuition des Spiels übersetzen wir heute ins Erwachsenenleben. Mit einem Unterschied: Wir haben beide Kunst studiert und haben dadurch einen Intellekt entwickelt, den wir dem Spiel beimischen. Es ist eine Mischung aus Intuition, Naivität und Intellekt mit einem Kalkül, einer Spekulation. Wenn das Spielfeld der Alltag ist, dann findet das Spiel eben nicht im Museum statt, sondern auf der Straße. Kunst im öffentlichen Raum schließt niemanden aus, anders als der klassische Kunstbetrieb, der immer etwas Elitäres hat. Und so erreichen wir durch unsere Arbeit sehr viel mehr Menschen, die mit Kunst vermeintlich nicht so viel zu tun haben. So schaffen wir auch einen bestimmten Zugang für ganz viele Leute.

Foto: Frank und Patrik Riklin / Atelier für Sonderaufgaben

Foto: Frank und Patrik Riklin / Atelier für Sonderaufgaben

Gallerytalk: Ihr habt für euch eine Nische gefunden, die abseits der klassischen Vorstellung von Kunst liegt. In vielen Projekten verbindet ihr die Kunst mit anderen gesellschaftlichen Feldern. Was fasziniert euch daran?

Patrik Riklin: Ich war oft frustriert bei Ausstellungen. Ich habe irgendwann bemerkt, dass es nie wirklich ein Feedback gibt. Und so kam ich zur Frage: Was macht ein Künstler, wenn er keine Lust mehr hat auszustellen? Und so haben wir uns einem anderen Bereich genähert. Und der wird immer interessanter, je größer das Spannungsverhältnis ist. Es wird immer Leute geben, die sagen, unsere Kunst sei keine Kunst. Und da lösen wir Reibung aus und haben somit einen Punkt gefunden, von dem wir sagen können: „Das können wir unterschreiben. Hier sind wir authentisch“.

Frank Riklin: Wir haben mit Kunst im klassischen Sinne begonnen, aber wir haben irgendwann gemerkt, dass wir uns dort nicht wohl fühlen. Sobald du dich aber nicht mehr aktiv am Kunstmarkt beteiligst, hast du auch keine Rezension mehr, keine Aufmerksamkeit. Wenn du nicht mehr ausstellst, sinkt deine Erfolgskurve. Und so haben wir für uns festgestellt, außerhalb der klassischen künstlerischen Erfolgskurve liegt unser Ort. So hat sich eine zweite Kurve entwickelt. Wir haben bemerkt, dass durch unsere Auffassung von Kunst und unsere Art uns zu bewegen sich unglaublich viele spannende Möglichkeiten auftun. Jetzt machen wir unsere Kunst in einem Feld, das nicht mehr nur Kunst ist, aber auch nicht nur Wirtschaft. In diesem Feld treffen sich die unterschiedlichsten Bereiche. Daraus entstehen Wirkungsfelder, die wir artonomistisch nennen. Je mehr wir uns vom eigentlichen Kunstfeld entfernen, desto interessanter wird die Arbeit.

Gallerytalk: Was versteht ihr unter dem Begrifft „artonomistisch“?

Frank Riklin: Wir träumen von einem neuen Berufsfeld. Wir sagen: „Die Zukunft gehört den Artonomisten.“ Der Artonomist ist eine Figur, die die Kunst und das Unternehmertum in sich vereint, das heißt er ist ein Kunstwirt ohne seine Identität aufzugeben. Und ohne zwangsläufig aus dem Kunstbereich zu kommen. Hier liegt ein unglaubliches Potential, denn ich behaupte, dass viele Leute die Fähigkeit und die Lust hätten artonomistisch zu handeln.

Foto: Frank und Patrik Riklin / Atelier für Sonderaufgaben

Foto: Frank und Patrik Riklin / Atelier für Sonderaufgaben

Gallerytalk: In diversen Projekten kooperiert ihr beispielsweise mit Vertretern aus der Wirtschaft. Für das Projekt „Fliegen retten in Deppendorf“ wurdet ihr vom Insektenschutzmittelhersteller Dr. Reckhaus engagiert und solltet mit den Mitteln der Kunst eine werbewirksame Aktion für das Unternehmen entwerfen. Wie kompromisslos, frei und unabhängig kann (eure) Kunst da noch sein?

Patrik Riklin: Viele Leute sehen das kritisch und werfen uns vor kommerziell zu werden, zu Auftragnehmern. Man könnte denken, wir erfüllen eine Dienstleistung, lösen einen Auftrag. Aber das stimmt nicht. Wir machen keine Dienstleistung, wir machen Kunst. Der Inhalt ist König, nicht der Kunde.

Frank Riklin: Wer mit uns kooperieren möchte, der muss sich öffnen und zwar soweit, dass er sich der Kunst unterwirft. Die Kunst regiert und nicht das Geld. Wir machen keine Kompromisse. Wir lassen uns da nicht instrumentalisieren. Wer das nicht möchte, hat immer die Option auszusteigen.

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