Der unsichtbare Präsident
Trump weigert sich, Obamas Portrait zu enthüllen

28. Mai 2020 • Text von

Nach 40 Jahren entscheidet ein amtierender US-Präsident sich gegen die Enthüllung des Portraits seines Vorgängers im Weißen Haus. Donald Trump fällt weder zum ersten Mal als Narzisst, noch zum ersten mal als Rassist auf. Sein Umgang mit der black community in der Vergangenheit erhärtet den Verdacht.

Das Präsidentenportrait von Kehinde Wiley zeigt barack Obama auf einem Stuhl vor Pflanzen

Kehinde Wiley, offizielles Präsidentenportrait von Barack Obama, 2018, Öl auf Leinwand © the artist

Das Gemälde von Barack Obama ist in der Reihe der offiziellen Präsidentenportraits einzigartig: Obama sitzt auf einem filigranen Holzsessel im Gründerzeitstil, nach vorne gebeugt, die Arme ruhen lässig auf den Oberschenkeln. Haltung und Mimik drücken sowohl Ernsthaftigkeit als auch Tatkraft und Souveränität aus. Der junge Präsident ist gleichsam smart wie fundiert, sagt das Bild. Besonders macht das Bild sein Hintergrund: kein Raum, kein Horizont. Stattdessen eine förmliche Groteskenlandschaft aus Pflanzenranken, Blüten und Blätterfächern.

Farbigkeit und Aktualität sind in diesem konservativen Metier der Präsidentenportraits so einzigartig wie die Konstellation aus Portraitiertem und Künstler. Obama ist der erste afroamerikanische Präsident der USA, der Maler Kehinde Wiley, Sohn eines nigerianischen Yoruba und einer afroamerikanischen Mutter, ist ein aktives Mitglied der black community. Konsequent zeitgenössisch hat er seinem Präsidenten 2018 ein Denkmal gesetzt. Das Bild, das dem bling-bling baroque zugerechnet wird, ist für die Ewigkeit geschaffen. Es ist ein weiterer Ausdruck von Barack Obamas Willen zum „Change“, und es ist garantiert ein modernistischer Dorn im Auge konservativer Exegeten der präsidialen Außendarstellung.

via giphy

Der im Titel erwähnte unsichtbare Präsident ist demnach nicht – wie jedem Beobachter auffällt, der in den letzten Jahren mal einen amerikanischen TV-Sender oder ein soziales Netz verfolgt hat – Donald Trump, sondern in diesem speziellen Fall ein mit zeitgenössischem Duktus in Öl auf Leinwand gebannter Barack Obama. Nun ist Unsichtbarkeit in der heutigen Zeit so eine Sache, nichts und niemand ist ja im Internet ernsthaft unauffindbar, aber wenn alles gleichzeitig sichtbar ist, ist irgendwie auch nichts sichtbar. Barack Obama, ehemaliger Präsident der USA und Donald Trumps Vorgänger, ist nicht per se unsichtbar, durchaus aber an einer sehr speziellen Stelle: im Weißen Haus.

Die amerikanische Demokratie definiert sich über Traditionen, Symbole und Regeln. Manche sind mächtige kollektive Erinnerungen, wie das Lincoln-Memorial oder das Kennedy-Attentat, andere sind Prozeduren des Miteinanders, damit auch Anstandsregeln. Das Portrait des Vorgängers im Weißen Haus einzuweihen, ist so eine Prozedur, die dem amtierenden Präsidenten gewährt wird. Er zeigt damit nicht nur gute Manieren dem Vorgänger gegenüber, sondern auch allgemeinen Respekt vor dem Amt. In 40 Jahren wurde diese Tradition nie gebrochen, trotz aller politischen Differenzen. Bis Donald Trump kam. Jener Präsident gab vor ein paar Tagen bekannt, das Präsidentenportrait seines Vorgängers nicht enthüllen zu wollen.

 
 
 
 
 
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#Process #kehindewiley

Ein Beitrag geteilt von Kehinde Wiley (@kehindewiley) am Feb 15, 2018 um 1:45 PST

Dass er die Weichenstellungen seines Vorgängers verachtet, daraus machte Trump nie ein Hehl, dreht er ja seit Jahren alle Entscheidungen Obamas zurück. Freilich ersetzt er sie so gut wie nie durch etwas Gleichwertiges oder Besseres, wodurch er unwillentlich Obamas Vermächtnis mitunter nur heller strahlen lässt. Das ist Machtdialektik wie aus dem Lehrbuch.

Man könnte Trump also einfach nur für einen Narzissten halten, der mit der Popularität seines Vorgängers nicht zurechtkommt und ihn deshalb nicht jeden Tag im Weißen Haus sehen möchte, aber so einfach ist es leider nicht. Denn er hat seit Beginn seiner Präsidentschaft eindeutige Signale an Nationalisten und Rassisten gesendet, an Verschwörungstheoretiker und Fans der im Bürgerkrieg unterlegenen Konföderierten, also der Bürgerkriegspartei, die für die Sklavenhaltung eintrat. Nicht zuletzt zögerte er lange, die rassistischen Ausschreitungen in Charlottesville als solche zu benennen, und den folgenden Abbau von Konföderiertendenkmälern überall in den USA bedauerte er ausdrücklich, die „schönen Kunstwerke“ sollten doch bitte erhalten bleiben.

All das macht seine Entscheidung, das offizielle Portrait des ersten afroamerikanischen Präsidenten im Weißen Haus nicht zu enthüllen, nicht zu einer narzistischen Entscheidung. Sondern zu einer rassistischen.

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