Malerei im Zeichen der Arbeit Lise Soskolne im Kunstverein Nürnberg
4. Oktober 2020 • Text von Gast
Der Kunstverein Nürnberg gibt mit „Humour Then“ Einblicke in das malerische Werk von Lise Soskolne. Für ihre großformatigen Gemälde verbindet die kanadische Künstlerin found footage aus Magazinen und Medien zu vielschichtigen, aktuellen Kommentaren, in denen auch ihr soziopolitisches Engagement zum Tragen kommt. (Text: Nora Gantert)
„Follow Lise through the rabbit hole!“, möchte man bei jedem Gemälde der Malerin und Aktivistin Lise Soskolne rufen und lässt sich gerne auf die von ihr dargebotenen Projektionsflächen ein. Oft sind es Schnipsel aus Magazinen, die für Soskolne bildwürdig werden. So setzt sie den ephemeren Bildern unserer Mediengesellschaft Denkmale und erhöht sie durch das bildnerische Mittel der Malerei. Das Verhältnis von Bild und Sprache und die daraus resultierenden Missverständnisse und Interpretationsspielräume sind es, die die Künstlerin interessieren und auf die sie unsere Aufmerksamkeit lenken will. Übersetzungsfehler oder fehlende Kontexte lassen Bilder zu Vehikeln für neue, andere Ideen werden. Und durch diesen Prozess werden die gefundenen Bilder durch die Arbeit der Künstlerin zu ihren eigenen Kreationen.
Lise Soskolne, 1971 in Toronto, Kanada, geboren ist eine nicht einfach zu greifende Künstlerinnenpersönlichkeit. Obwohl mehrere namhafte Galerien in den USA Einzelausstellungen von ihr zeigten, berichtet sie von jahrelangen Schaffenspausen, die aber immer wieder in einer neuerlichen Hinwendung zur Malerei mündeten. Gleichzeitig ist sie als Aktivistin mit dem von ihr mitgegründeten Netzwerk W.A.G.E. (Working Artists and the Greater Economy) in der Kunstszene äußerst umtriebig, gut vernetzt und eine Vorreiterin, wenn es um faire Bezahlung im Kunstsektor geht.
Institutionen können sich zertifizieren lassen, wenn sie sich an die von W.A.G.E aufgestellten Vergütungsrichtlinien für Honorare halten. Künstler*innen haben auf der Webseite des Netzwerks die Möglichkeit, angemessene Honorare zu kalkulieren, wenn sie von Institutionen dazu eingeladen werden, auszustellen, einen Talk zu geben, oder an einem Panel teilzunehmen. W.A.G.E arbeitet so aktiv an einer besseren Bezahlung von Künstler*innen und für höhere Transparenz, die der (Selbst-) Ausbeutung im Kunstsektor entgegenwirken soll. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in Deutschland immer wieder, denn Künstler*innenhonorare sind auch hierzulande oft ein Streitpunkt in der Budgetierung. Hier wie dort wird gegenüber Künstler*innen mit „Sichtbarkeit“ als adäquate Bezahlung argumentiert.
Konsequenter Weise hält das sozialpolitische Engagement der Künstlerin auch Einzug in ihr malerisches Werk. In ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland, die der Nürnberger Kunstverein aktuell ausrichtet, sind nun 14 Gemälde aus den Jahren 1998 bis 2020 zu sehen. Parallel hierzu zeigt der Kunstverein München Arbeiten in seiner aktuellen Gruppenausstellung „Not Working – Künstlerische Produktion und soziale Klasse“ Arbeiten von Lise Soskolne. Unter diesem Titel fügen sich ihr künstlerisches Schaffen und ihre politischen Aktivitäten in ein großes Ganzes. Die beiden Ausstellungen geben die Möglichkeit ihr Werk thematisch und als Einzelposition zu begreifen.
Auf Grund des überschaubaren Formats der Nürnberger Ausstellung ist es ratsam, sich auf jedes einzelne Bild einzulassen – visuell und intellektuell, verbirgt sich doch hinter jeder Leinwand eine ganze Abfolge von Elementen aus der persönlichen Geschichte der Künstlerin, verwoben mit aktuellem Alltagsgeschehen und kunsthistorischen Verweisen. Zur Entzifferung hat Soskolne zu jedem Gemälde ein „Provenienzprotokoll“ erstellt. Damit erfahren die Besucher*innen, auf welchen Wegen das Bildsujet gewählt wurde und was sich hinter den Motiven verbirgt. Durch die Erklärungen werden Schicht um Schicht die Bedeutungsebenen offengelegt, sodass die Künstlerin bei ihren Gedankengängen begleitet werden kann.
„Men and Memories“ (2005) springt zum Beispiel als große, fast quadratische, pinke Fläche ins Auge. Darauf ist der Werkstitel als schwarzer Schriftzug gemalt, deutlich als Jugendstil-Anleihe zu erkennen. Dass die Schriftart „Arnold Böcklin“ heißt und dass „Men and Memories“ die Reproduktion eines Kunstkatalogs ist, den Soskolne in einer antiquarischen Buchkiste fand, erfahren wir erst beim Lesen des Begleittextes. Aber auch ohne dieses durch die Künstlerin vermittelte Wissen, bleiben Assoziationsketten nicht aus, die sich dann erstaunlich engmaschig der Intention der Künstlerin nähern.
Männer und Erinnerung, Jugendstil, groß und leuchtend: all das kann sinnbildlich stehen für eine männerdominierte europäische Kunstgeschichtsschreibung, die im 19. Jahrhundert Großteile ihrer wissenschaftlichen Kanonisierung erfuhr. Dem Wort „Erinnerung“ haftet häufig das Subjektive an, Geschichtsschreibung meint hingegen, für sich die Objektivität gepachtet zu haben. Somit wird durch das Wort „Erinnerungen“ die unterstellte Objektivität der (Kunst-) Geschichte untergraben, sind diese doch anfällig für das Verrutschen von Fakten und Abläufen. Nehmen wir nun die Gedankenstränge zusammen, so wird das schlichte Gemälde „Man and Memories“ zu einem beißenden Kommentar zur oftmals einseitig männerdominierten und bis heute als objektiv verbrämten (Kunst-) Geschichtsschreibung.
WANN: Die Ausstellung ist noch bis Donnerstag, den 22. Oktober, zu sehen.
WO: Kunstverein Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft, Kressengartenstraße 2, 90402 Nürnberg.