Worte, die wie Blut vom Himmel fallen Unica Zürn im Institut für moderne Kunst
4. November 2020 • Text von Marian Wild
Das Institut für moderne Kunst zeigt Unica Zürn. Die Ausstellung „Das Spiel von der Einverleibung“ würdigt auf einen Schlag das Werk einer vergessenen Dada-Meisterin, eines tanzenden Malers und eines mexikanischen Tattookünstlers.
Die Ausstellung fühlt sich an als würde man durch eine Zeitkapsel wandern: Fotografien, Zeichnungen, Scherenschnitte, eine gewaltige Collagenwand und diverse Malereien, Briefe – handschriftlich und maschinengeschrieben, Buchseiten, ein Videofilm und verschiedene Grafiken. Dem Institut für moderne Kunst ist in der kleinen, aber fast überkomplexen Werksammlung ein konzeptionelles Kunststück gelungen: Mehrere Kulturschaffende, jede und jeder für sich schon bemerkenswert in ihrem Oeuvre, wurden optisch und sprachlich mit einander verwoben, zum Zweck einer Ausstellung und einer anspruchsvollen Publikation.
ProtagonistInnen sind die nur einer kleinen Öffentlichkeit bekannten Surrealistin Unica Zürn, die ihren 50. Todestag begeht, der 1992 in Berlin verstorbene Maler und Tänzer Alexander Camaro, mit dem Zürn zwischen 1949 und 1953 in künstlerischem Austausch stand, und der spanische Zeichnungs- und Tattookünstler Toño Camuñas, der viele von Zürns Gedichten in seine vom mexikanischen Totenkult geprägten Bildwelten hat einfließen lassen.
Da singt ein Tiger am am Dach.
Das ist mein Rachetag am Ding.
Da nagt sein Drama im Gesicht,
das ist ein Anagrammgedicht.
(Anagrammgedicht von Unica Zürn. In: Natascha Gangl, Das Spiel von der Einverleibung, starfruit Nürnberg 2020, S. 16.)
Abgerundet wird das Projekt von der österreichischen Schriftstellerin Natascha Gangl, die als Autorin für die Publikation über das vielfältige Kunstgeflecht verantwortlich zeichnet. Das Institut wagt sich damit mutig an ein Ausstellungskonzept heran, das gleichsam elektrisierend wie furchteinflößend ist: „Was ist denn jetzt vom wem?“, hört man die panischen Besucher*innen vor dem inneren Ohr aufschreien. Aber das ist genau der Punkt: Kunst- und Kulturäußerungen sind wie bunte Flüssigkeiten, sie verteilen sich, laufen zusammen, bilden neue Farben, also neue Kunstwerke. Sie sickern in den Mainstream ein und in scheinbar fachfremde Regionen, und am Ende verändern sie dadurch die Welt. Diesen Prozess abzubilden, ohne ihn zu verniedlichen, vereinfachen oder zu sehr aufzuklären, die Komplexität und Überforderung des Sachverhalts also im besten Sinn auszuhalten, das ist die Leistung des kulturellen Duetts aus Ausstellung und mitreißender Publikation.
WANN: Die Ausstellung „Das Spiel von der Einverleibung“ läuft noch bis zum Sonntag, den 7. Januar 2021.
WO: Im Institut für moderne Kunst [moderne-kunst.org] im Atelier- und Galeriehaus Defet, Gustav-Adolf-Str. 33, 90439 Nürnberg