Aus Alt mach Neu im Kunstpalais Erlangen
Die Städtische Sammlung erstrahlt in diversem Licht

19. Dezember 2022 • Text von

In der Ausstellung „Pattern Recognition. Wiedersehen mit der Städtischen Sammlung Erlangen“ stehen sich zeitgenössische Leihgaben und ältere Arbeiten jeweils im Duo gegenüber. Die Sammlungspräsentation im Kunstpalais Erlangen ist zeitgemäß aufgefrischt.

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“Pattern Recognition. Wiedersehen mit der Städtischen Sammlung Erlangen”, Ausstellungsansicht Kunstpalais, Erlangen, 2022. Foto: Ludger Paffrath.

Seit der Nachkriegszeit setzten die Verantwortlichen ihren Fokus beim Erwerb von Kunstwerken für die Städtische Sammlung Erlangen auf das stetige Nachverfolgen der sowohl ästhetischen als auch inhaltlichen Entwicklung innerhalb der internationalen westlichen Kunstszene. Vertreten sind verschiedene Strömungen von der Konzeptkunst, über die konkrete Poesie wie Fotografie und die Anfänge der Videokunst bis hin zu zeitgenössischen Werken aus kürzlich vergangenen Ausstellungen im Kunstpalais Erlangen. Seien es formale und technische Innovationen oder die Umbrüche und Entwicklungen der Gesellschaft, die sich in der Kunst und ihrer Veränderung ablesen lassen: Die Sammlung versucht, diese zu verfolgen und ein Abbild dessen aufzuzeichnen.

Wie lässt sich allerdings eine Sammlungsausstellung mit neuen Impulsen kuratieren, ohne nur Bestehendes zu zeigen? In „Pattern Recognition“ werden die Sammlungswerke Arbeiten von zeitgenössischen jüngeren Künstler*innen gegenübergestellt und bespielen im Duo jeweils einen Raum. Nun stellt sich die Frage: Wo hören zeitgenössische Kunstwerke auf und wann beginnen sie, historisch zu sein? Dieser Frage hat sich der Kurator Malte Lin-Kröger gewidmet und die Ausstellung auf dem Konzept aufgebaut, die Gegenüberstellung anhand formaler und inhaltlicher Überschneidungen zu formulieren.

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Pattern Recognition. Wiedersehen mit der Städtischen Sammlung Erlangen, Ausstellungsansicht Kunstpalais, Erlangen, 2022, Foto: Ludger Paffrath. // Jack Goldstein, The Quivering Earth, 1977, Schallplatte Seite 1, Pattern Recognition. Wiedersehen mit der Städtischen Sammlung Erlangen, Ausstellungsansicht Kunstpalais, Erlangen, 2022, Städtische Sammlung Erlangen, Foto: Ludger Paffrath.

Auf den ersten Blick lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den Kunstwerk-Paaren ausmachen und auf den zweiten Blick zeigt sich dann, inwiefern sich inhaltliche Auseinandersetzungen mit konkreten Themen weiterentwickelt haben. Manchmal bleibt der Grundtenor der Gleiche, aber die formalen Herangehensweisen ändern sich wie beispielsweise bei den Leuchttafeln von Alona Rodeh und den Gemälden von Jack Goldstein.

Beide Künstler*innen beziehen sich auf existenzielle Überlegungen zu künstlichen Lichtquellen und den Kippmoment von Schutz zu Bedrohung. Goldstein bezieht sich dabei auf beunruhigend wirkende Lichtphänomene, Rodeh eher auf künstliche Beleuchtungen im öffentlichen Raum oder Reflektoren wie bei Warnwesten oder in der Techno-Szene. So wie sich inhaltlich eine Anpassung an den jeweiligen Lebensumstand zeigt, manifestieren sich zugleich Entwicklungen in der Alltäglichkeit von Phänomenen. Die Arbeiten sind in einem Zeitabstand von knapp 40 Jahren entstanden.

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“Pattern Recognition. Wiedersehen mit der Städtischen Sammlung Erlangen”, Ausstellungsansicht Kunstpalais, Erlangen, 2022. Foto: Ludger Paffrath.

Die Arbeiten John Hilliards, die sich der konkreten Fotografie zuordnen lassen, stehen den Werken von Paul Mpagi Sepuya gegenüber. Zunächst entsteht der Eindruck, dass bei beiden Künstlern das Medium der Fotografie selbst im Mittelpunkt steht. Hilliards konkrete Überlegungen dazu, was das Kameraauge zu enthüllen oder zu verbergen vermag, münden in die Inszenierung verschiedener Szenarien von Porträtfotografie, bei denen die Kamera selbst die Protagonistin ist und nicht etwa die Porträtierten.

Ähnlich verhält es sich bei Sepuya, der meist Selbstporträts von sich mit anderen Personen in einem studiofotografischen Setting anfertigt, bei denen die Kamera und der Akt des Sich-Selbst-Porträtierens im Spiegel stets sichtbar sind. Bei genauerem Betrachten des Werks von Sepuya fällt allerdings auf, dass dieser sich vordergründig weniger für das Objekt der Fotografie selbst interessiert, sondern vielmehr für den Prozess des Entstehens von Intimität bei einem gemeinsamen Fotoshooting. Bei dem Raum-Duo Hilliard und Sepuya stehen sich also Objektivität und Subjektivität als Thema des Werks gegenüber und dennoch funktionieren die Werke im Einklang.

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“Pattern Recognition. Wiedersehen mit der Städtischen Sammlung Erlangen”, Ausstellungsansicht Kunstpalais, Erlangen, 2022. Foto: Ludger Paffrath.

Eine weitere spannende Gegenüberstellung geschieht zwischen der zeitgenössischen Künstlerin Sonja Yakovleva und dem vor allem während den 1980ern in New York City tätigen Keith Haring. Harings flächige, sich an die Graffiti-Szene anlehnenden Werke sind vor allem im Kontext der aktivistischen Kunst während der AIDS-Pandemie, der auch der Künstler selbst erlag, bekannt. Seine Arbeiten stehen symbolisch für die Kunst einer marginalisierten Gruppe, die erbittert um Anerkennung und gegen ihren Ausschluss kämpfte. Gleichgeschlechtliche Sexualität war ein tabuisiertes und stigmatisiertes Thema, das an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde – umso wichtiger war es, sich auch über das Medium der Kunst ein Gehör zu verschaffen.

Ebenfalls mit einer marginalisierten und tabuisierten Thematik beschäftigt sich Yakovleva. In ihrem wandfüllenden Scherenschnitt, der im Kunstpalais gezeigt wird, geht es um offen gelebte Sexualität und die Selbstbestimmtheit weiblich sozialisierter Personen im Themenkomplex von Nacktheit und Erotik. Über weibliche Sexualität und Lust wird oftmals immer noch nicht offen geredet und teilweise wird diese sogar als provokativ empfunden. Somit besteht die Gemeinsamkeit der beiden Künstler*innen zum Großteil in der schmerzlichen Erkenntnis, dass Sexualität marginalisierter Gruppen selbst nach 40 Jahren noch nicht entstigmatisiert werden konnte.

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Jack Goldstein, Untitled #1, 1983, Farblithografie mit Siebdruck auf Bütten, 76,5 x 102 cm, Städtische Sammlung Erlangen, Foto: Gerhard Tillmann.

Gerade in einer Zeit, in der gesellschaftskritische Diskurse vor dem Hintergrund postkolonialer, queerer und intersektionaler Auseinandersetzungen stehen, fällt auf, wo sich die Unterschiede abzeichnen – nicht zuletzt bei der Frage, wer Sichtbarkeit bekommt. Finden sich unter den Sammlungswerken hauptsächlich männliche und sogenannte westliche Künstler, sind unter den zeitgenössischen Positionen Künstler*innen verschiedener geografischer und kultureller Perspektiven sowie Genderzugehörigkeiten zu finden. Das ist, bereits ohne konkrete Kunstwerk-Paarungen zu benennen, der erste Indikator für die Entwicklung in Richtung Diversität innerhalb der europäischen Ausstellungsszene. Umso wichtiger und spannender, eine Sammlungspräsentation auf diese Weise aufzupeppen.

WANN: Die Ausstellung „Pattern Recognition. Wiedersehen mit der Städtischen Sammlung Erlangen“ läuft bis zum 5. März 2023.
WO: Kunstpalais Erlangen, Marktplatz 1, 91054 Erlangen.

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